A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z


zurück zu Ludwig Storch

Die Geburt des Kusses

- Gedicht von Ludwig Storch

Die Geburt des Kusses

  Stolz zu der Sonnenrosse Bahnen
  Durch Eos` rosenfarbnes Thor
  Stieg des Prometheus Muth empor;
  Dort raubt der kühnste der Titanen
  Vom Feuergeist in seinem Rohr. —
  Jüngst seinen kunstbegabten Händen
  Gelang ein Menschenbild aus Thon,
  Doch um die Schöpfung zu vollenden,
  Muß er die Götterglut entwenden,
  Nur sie giebt Leben seinem Sohn.
Aurora verhüllt ihn mit duftigem Schleier.
So ist der Titan mit dem himmlischen Feuer
Herab zu seinem Gebilde geflohn.

  Der Hauch der lieblichen Aurore,
  Der ihres Schleiers Bausch entweht,
  Hat sanft des Feuers Reiz erhöht,
  Das nun aus des Titanen Rohre
  In seine Schöpfung übergeht.
  Ha! strahlt nicht aus des Menschen Auge
  Des Sonnengottes Flammenkraft,
  Umschleiert, wie von Opferrauche,
  Leis von des Stoffes trübem Hauche,
  Vom Hauche ird`scher Leidenschaft?
Doch über die Lippen ihm, über die Wangen
Hat Eos den göttlichen Schleier gehangen,
Gefärbt mit der Rose süßduftendem Saft.

  Wird sich der Mensch der Götterstamme,
  Umhaucht von Eos` Rosenblust,
  Im höchsten Wonnerausch bewußt,
  Dann zuckt sie lodernd aus dem Damme,
  Dann schlägt sie zündend aus der Brust.
  Auf Wang` und Lippe Impfen Funken,
  Die werden wohl zum ros`gen Strahl.
  In Flammenborn die Augen tunken,
  Und glühn von jenem Feuer trunken,
  Das trotzig einst Prometheus stahl.
Und wieder Aurora`s mildfreundliche Gabe
Beschwichtigt das Feuer zur köstlichen Labe,
Sie sänftigt die Lust und sie mildert die Qual.

  Einst Psyche taucht den liebefeuchten
  Entzückten Blick in Amors Haar,
  Das heut ihr doppelt reizend war;
  Da sah er einen Funken leuchten
  Auf ihrer Lippen Nosenpaar.
  Den flücht`gen Gaukler möcht` er haschen,
  Den neuen, niegesehnen Fund,
  Drum preßt er heftig seine raschen
  Begier`gen Lippen, ihn zu naschen,
  Dem Mädchen auf den Purpurmund.
Da lodern aus ihm die urgöttlichen Flammen,
Entzündet vom Funken. Sie zucken zusammen.
Sie schließen den neuen olympischen Bund.

  Ha, welch ein junges sel`ges Leben,
  Gemischt aus heil`ger Sonnenglut
  Und morgenrother Rosenblut
  Durchrieselt sie mit Wonnebeben,
  Wie Hippokrenes reine Fluth!
  Da hat das schöpferische Feuer
  Die Herzen innig erst vermält.
  Mit diesem Bund beginnt ein neuer,
  Glücksel`ger Tag; sie lieben treuer,
  Als hätten sie sich heut erwählt.
So sind sie, vom prometheischen Funken
Berauscht, an die wogende Brust sich gesunken,
Zum Kampfe des Lebens gestärkt und gestählt.

  Und rauschend wie mit Taubenschwingen
  Und flüsternd wie der Abendwind
  Seht da ein leuchtend Götterkind
  Von den vereinten Lippen springen,
  Wie Flammen heiß und Lüfte lind!
  Es ist der Kuß! Er war gehören,
  Des Sonnenfeuers jüngster Sohn.
  Zu seiner Amme auserkohren,
  Nährt ihn die reizendste der Horen
  Mit Honig, Milch und süßem Mohn.
Doch schlürft er bald gierig die purpurne Traube,
Dann ist er auf schwirrendem Flügel der Taube
Der zärtlichen Göttin mit Lachen entflohn

  Wie er, dem Blitze gleich, ins Leben,
  Ein neuer Götterbote, sprang,
  So mußten, wo sein Flügel klang,
  Die Herzen all sich ihm ergeben,
  Die er mit keckem Muth bezwang.
  Noch heut ist er der Herzenszwinger,
  Der Liebe schönster Genius.
  Der kühne Siegesfahnenschwinger
  Schließt uns auch mit dem Rosensinger
  Den Himmel aus, der süße Kuß!
Er flattert empor vom gedoppelten Munde,
Er würzet noch heut uns die seligste Stunde
Mit Amors und Psyche`s olymp`schem Genuß.

  Wenn sich zwei Herzen schnell gefunden
  Zum leichten flüchtigen Verein,
  Gleich stellt er sich als dritter ein.
  Wenn sich zwei Herzen eng verbunden,
  Wird er des Bundes Priester sein.
  So waltet mit dem Zauberstabe
  Er herrschend aus dem Erdenrund
  Und reicht, der buntbeschwingte Knabe,
  Gern seines Nektars süße Labe
  In goldner Schale jedem Mund.
Da naschen schon Kinder, da schlürfen noch Greise,
Und leidende Herzen, sie wurden schon leise
Von seiner ambrosischen Gabe gesund.

  Die in des Lebens schönster Feier
  Das holde Flügelkind gesehn,
  Die sahn, wie Blüthenflocken schön,
  Der Morgenröthe zarten Schleier
  Vom Haupt ihm zu den Füßen wehn;
  Die sahen aus dem Feuerweben
  In seinem Blicke stark und lind,
  Wer ihn zuerst gezeugt in`s Leben,
  Daß Honig und die Kraft der Neben
  Und Milch und Mohn genährt das Kind.
Die Glücklichen wissen auch, daß sie nicht minder
Als Amor und Psyche, die seligen Kinder,
Erzeuger des Kusses, des göttlichen, sind.


Anzeigen