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Am Todestag der Mutter

- Gedicht von Friedrich Emil Rittershaus

Am Todestag der Mutter

(4. Oktober 1853)

Schon hat es Mitternacht geschlagen
Und keinen Laut vernimmt mein Ohr;
Es steiget aus vergang’nen Tagen
Ein Bild aus meiner Brust empor.
Auf schau‘ ich zu den Wolkenscharen;
Durch meine Seele schleicht der Schmerz.
An diesem Tag vor dreizehn Jahren
Brach meiner lieben Mutter Herz.

Ich denk‘ des Tag’s, da Du verschieden!
O Mutter, tief bewegt’s mich, tief.
Du gingest ein zum ew’gen Frieden,
Als zum Altar die Glocke rief.
Der Vater brachte mir die Kunde,
Du trügest nun die Himmelskron‘
Und hättest in der Sterbestunde
Gebetet für den einz’gen Sohn.

Ich hab’s, o Mutter, nicht vergessen,
Was Du mir einst gewesen bist,
Wenn ich an Deiner Seit‘ gesessen
Und Du erzählt vom heil’gen Christ,
Von dem Palast im Meeresgrunde
Und von des Elfenkönigs Thron:
Wie hat so gern gelauscht der Kunde
Dein kleiner Sohn, Dein einz’ger Sohn!

Dann kam die Nacht mit ihren Träumen.
Ich schlief, von Sehnsucht oft gequält,
Und träumte von den Palmenbäumen,
Wovon Du Abends mir erzählt.
Wenn ich die Augen aufgeschlagen,
So saßest Du am Bett. Mir däucht,
Ich hätt‘ gesehn in jenen Tagen
Oft Deine Wimpern tränenfeucht.

O, kehrtest Du zum Leben wieder!
Wo ward solch Mutterherz erspäht?
Du, Mutter, hast die Saat der Lieder
In diese Brust hineingesät.
Du zeigtest mir die Sonnenbahnen,
Wo licht die Geistesblume spross.
Mich dünkt, um früher Trennung Ahnen
Vom Auge Dir die Träne floss!

Dann sah ich Dich im Leichenkleide.
Wie lagst Du da so starr und bleich!
Ich stand am Sarg, erfüllt vom Leide –
Du lagest drinnen friedensreich.
Du warst erlöst von allen Schmerzen,
Mit Blumen warst Du wie besät;
Mir aber war’s, als wär‘ im Herzen
Mein Blumengarten abgemäht!

Schlaf, Mutter, sanft im Grabesgrunde;
Umsonst des Sohnes Träne taut.
Es blutet meiner Seele Wunde;
Die alten Klagen werden laut.
Komm, Gott der Träume, still den Kummer
Und kränz‘ die Schläfen mir mit Mohn!
Wer weiß, es küsst vielleicht im Schlummer
Der Mutter Geist den einz’gen Sohn.


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