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Rückblick auf ein Halbjahrhundert

- Gedicht von Karl Ernst Knodt

Rückblick auf ein Halbjahrhundert

(6. Juni 1907.)

Ach! heute kann ich nur vergang`ner Zeit gedenken,
Denn sieh! mein ganzes Leben zieht an mir vorbei.
Der Jahre 51 trag` ich. Dennoch fühl` ich jünger
Als wenn die Zahl ich umgekehrt erschaue.

... Ich war ein einsam Kind. Ich habe nie der Knaben
Erregtes, rohes Spiel gemocht. - - Ich hab` im Vater
Mehr als den gütigen - den Lehrer nur gekannt,
Und meinen Brüdern ging ich aus dem Wege,
Indem ich weite innre Wege ging.

Nur Einer sah mich bei sich sitzen, wenn er spielte
Beethoven`s Weisen auf dem alten Flügel,
Dem er allein noch Töne zu entlocken wußte.
Und Einen sah ich sterben wie am Kreuze:
Er war wohl Der, der für mich betete im Stillen,
Und meinem Weg die rechte Wende wies,
Als ich ins freie Wanderleben lief.

Doch meine Mutter ließ mich an die Liebe
Und an des Lebens heilige Quellen glauben:
Ihr dank` ich mit das Beste, was im Liede lebt!

... Und einmal ging ein sondrer Schauer durch den Jüngling,
Als ich den ersten Freund erlebt, den ersten Menschen,
Der fühlte - ganz wie ich, und gleich sich sehnte
Nach einem Land der Schönheit ohne Schuld.

Hör`! da erlebt` ich auch das erste Lied!
Die heiligen Monde jenes stillen Winters
- Zu Straßburg war`s, in der Studentenzeit -:
Wie Weihnachtsglocken läuten sie mich an
Jetzt, da nach 30 Jahren ich sie wieder höre.
Wir gingen darnach, weit, ein jeder eigne Wege,
Denn jeder lebte, liebte, litt auf seine Art.

Doch eine Läutrung ward uns Zwein das Leben.
Mir war die Trennungszeit von Schwermut überschattet.
In Holland`s Heide sang ich wehe Weisen,
Und nie seitdem ward ich das Heimweh los,
Das meine Seele nach den Sternen leitet.
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Dann kam das Weib ... Ich wählte es in Reinheit:
Denn nie zuvor hatt` ich ein Weib berührt.
Nicht rechn` ich mir`s als Tugend. Gnade war`s
Die meine Jugend vor Gemeinheit schützte
Und oft am Abgrund mich vorüberführte,
Ohn` daß ich seine Tiefe ward gewahr.

... Wie Kinder lebten wir durchs erste Jahr
In Einfalt, bis die höchste Liebe
Uns selbst ein Kind mit großen Augen schenkte,
Ein wundervolles Kind an Leib und Seele.
... Darnach ging ich durch Jahre wie im Traum,
Nicht wissend mehr, was Weibes Wonne ist.
Das heiße Herz, den hellen Blick umwallte
Des Priesters Mantel, - und der Mensch erstickte,
Und diese schöne Erde sah mich schon als Schatten,
Als puren Geist durch ihre Schönheit schweben.

Das waren tumbe Jahre ... Schwere Wolken
Umhüllten meinen Weg wie schwarze Nacht.

Von diesen Jahren laßt mich schweigen! ...
Genug! daß ich erwacht! Nicht weiß ich, wie`s geschehen.
Das Licht war eben stärker als die Nacht.
Das Licht in mir. Und dann die ew`ge Liebe,
Die nimmer noch durch Nächte führt ins Licht.
Ich fühl` mich wach. Und schau` fortan die Erde
Als einen Stern, auf dem ich schaffend stehe,
Ein Sohn der Erde ... Nur in sondren Zeiten,
In Abendstunden und an Nachmittagen
Des Sonntags und in tiefen Wäldern:
Da zittert, ein Magnet, die tiefste Seele
Den goldnen Sternen zu, die ich als Heimat spüre
Hoch über dieser Welt und über allen Wolken.
Und heute hör` ich lauter Glocken klingen
Der obren Heimat - wie von fernen Türmen,
Die mich in hohe goldne Tempel weisen.
Und ewige Jugend fühl` ich in mir leben.
Ich weiß: Kein Alter kann mich je umgrauen,
Denn meine Zeit streift schon die Ewigkeit!


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