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Kamerad Anna

- Gedicht von Otto Julius Bierbaum

Kamerad Anna

(An die Dichterin Anna Croissant-Rust.)

Sommerabend!
(`Mild und labend`
Reimen drauf die deutschen Dichter);
So ein schöner Sommerabend,
Der mit leisem, warmem Athemzug
Ueber die Erde Segen und Frieden weht.
Nur das Kirchenbimmeln stört mich,
Dies aufdringliche Erinnern:
Bum - die Dummheit, bam - regiert noch,
Bum - sie schlägt dich, bam - noch todt.
Also gut, stultitia sacra,
Bimbambumle immer weiter,
Schönheit lässt uns dich vergessen,
Schönheit wiegt uns in die goldenen
Höhen schweigenden Gebetes,
Wo des Herzens Glocke einzig
Tönt, die klare, helle Stimme
Heissen, rothen Menschenblutes.

Sommerabend.
Kamerad Anna
Sitzt vor`m Schusterveitlhause
Im geliebten Brannenburg.
Schweigend, eine Riesengarde
Von Bewunderern, steh`n die Berge.
Diese grossen, lieben Kerle,
Und die Bäume rauschen leise,
Und die Wiese wellt im Winde,
Und der Himmel giebt in Farben
Ein symbolisches Konzert.
Gleissend, ein goldener Ball, versank
Langsam die Sonne am Horizonte,
Farbenlos.
Aber, da nun die Herrscherin ging,
Kommt der Cortége der Pagen und Zofen;
Rosawölkchen und duftige Streifen
Zartesten Veilchenblaus schweben und weben,
Schweigenden Reigen am westlichen Himmel.
Umrissscharf wie schwarzgrauer Stahl,
Stehen die Berge, die grimmigen Ritter,
Bis ironische Wolkengeister
Ihren Häuptern wattene Hauben
Ueberstülpen, wie Philistern.
Ach!
Gilt dies Ach den armen Rittern
In den Wolkenwattenhauben,
Oder gilt es etwa mir?

Kamerad Anna, Kamerad Anna,
Wisse, dass ich dich beneide
Um dein Schusterveitlhaus.
Sieh, ich sitze hier fünf Treppen
In der lauten Sonnenstrasse.
Und vom Sonnenuntergange
Seh` ich kaum ein blasses Streifchen,
Und um dies zu sehen muss ich
Erst noch auf den Schreibtisch klettern
Stehend dann auf allen meinen
Unglückseligen Manuskripten
(Fünfzig Centimeter Lyrik!)
Wird mir klar doch nur das Eine:
Dass ich mich von Sehnsucht nähren
Und dabei verhungern muss.
Und das Lärmen von der Strasse,
Droschkenknattern, Trambahnbummern,
Klingeln, Knarren, Schreien, Preifen, -
Ach, der schöne Sommerabend
Ist doch hier nicht ganz komplett.

Und ich steige von dem Tische,
Steige von dem Lyrikberge,
Und ich wandle wie ein Eisbär
Hin und wider in dem Käfig,
Der fünf Treppen hoch gelegen
In der lauten Sonnenstrasse,
Und ich monologisiere:
Wie hundsföttisch niederträchtig
Das Geschick doch mit mir umgeht,
Dass ich lyrisches Herrgottsschäfchen
Zwischen Steinen kriechen muss,
Statt dass ich auf grünen Wiesen
Blaue, rothe, gelbe, weisse
Stimmungsblüthen pflücken darf.

Da, in meine Missvergnügtheit,
Bläst ein Wirbelwind; durchs Fenster
Fährt er hin mit Hui und Hasten,
Und, als wär` es Pflicht und Amt ihm,
Saust er schnell durch alle Bücher,
Hebt und dreht und jagt die Blätter,
Raschelt durch Novellen, Dramen,
Lyrik und Kritik, - na! na!
Lieber Freund, nicht unmanierlich!
Brrr! Da packt er die `Gesellschaft`,
Wirbelwüthend schlägt er auf,
Saust entsetzt durchs `Dichteralbum`,
Heult durch die `Kritik` mit Keuchen,
Plötzlich aber wird er lieb -
Leise schlägt er Blatt um Blatt um,
In gefällig weicher Rundung
Legt er jedes zart aufs andre,
Ganz unhörbar, wie mit feinen,
Lieben, weichen Mädchenhänden,
Und dann ist er fortgeweht.

Sommerabendwind, was hast du
Launenhafter aufgeschlagen?

Und ich lese: `Feierabend`.
Ah, Respekt, Posaunenengel,
Mehr Geschmack hast du, beim Zephyr,
Als das deutsche Publikum,
Und du bist ein guter Rather.

Und ich las den `Feierabend`,
Las ihn wohl zum sechsten Male,
Und dein klares Auge sah ich,
Kamerad Anna, das dem Leben
In das tiefst Verborgene sieht.
Und ich fühlte, wie dein warmes
Herz, das mitschlägt allem Leiden,
Heiss in dieser Wahrheit pocht.

Wahrheit, herzensgluthdurchpulst,
Das ist deine Kunst, Frau Anna,
Und mich dünkt, das ist das Trumpfwort
Unsrer ganzen neuen Kunst.

Aber eh das Wort gemünzt ward,
Prägtest du aus seinem Sinne
Schon den fertigvollen Werth,
Dichterin!
Mit diesem Worte
Leg` ich aus der Hand die Feder,
Kamerad Anna, Dichterin!


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