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Episteln - I. Deutsches Dichterloos

- Gedicht von Heinrich Leuthold

Episteln - I. Deutsches Dichterloos

(An einen jungen Poeten.)

Hoch träumst du von den Kränzen des Ruhms
Einer glänzenden Carriere,
Du Kandidat des Märtyrthums
Der deutschen Dichtermisere.

An eines Abgrunds blumigem Saum
Tänzelst du harmlos den Reigen,
Dir wachsen Wunder an jedem Baum
Dein Himmel hängt voller Geigen.

Du sendest die Erstlinge aus; dir glüht
Die Wange; du weinest in süßer
Erwartung ... ein Blatt für `Geist und Gemüth`
Behält sie als Lückenbüßer.

Du ladest dich bei den Göttern zu Gast
Und erhebst dich übers Gesindel
Gewöhnlicher Menschen im Flug; dich erfaßt
Der bekannte Unsterblichkeitsschwindel.

So schwärmst du ... Jahre geh`n herum,
Du erscheinst, in Goldschnitt gebunden
So wirksam verlegt, daß das Publikum
Dich immer noch nicht gefunden.

Doch ja; man bittet dich dort und hier
Zum Thee ... du vernimmst ein Gewimmer,
Es lispelt mit oder ohne Klavier
Deine Verse ein Frauenzimmer.

Der Hofrath gähnt ... der Banquier ruft:
`Nicht übel!` Die Gattin: `wahrhaft Beautyfull!`
Doch der Weihrauchduft
Ist mehr berauschend als nahrhaft.

Und wenn die Weihrauchwolken verweh`n
Und der Beifall hysterischer Frauen,
Dann wirst du allmählig Dinge seh`n,
Die dich nur mäßig erbauen.

- - Du hoffst noch immer, indeß mit der Zeit
Die Schwingen den Dienst versagen;
Du fühlst eine seltsame Nüchternheit
Im Kopf und besonders — im Magen.

Wohl kann man als Pensionär zur Frist
Noch deutsche Höfchen umlungern;
Doch wenn du wirklich ein Dichter bist,
Dann wirst du auch wirklich verhungern.

Zwar, wie es verschiedene Pflanzen hat
Im deutschen Dichtergarten,
So gibt es - bist du lebenssatt -
Auch verschiedene Todesarten.

Und wenn du gestorben — was immer dein Theil:
Noth, Selbstmord, Gemüthsvergiftung —
Dein Bildniß bringt das Organ des Herrn Keil,
Dich begräbt die Schillerstiftung.

Und schlüge noch das teutsche Herz
Des alten Ludwig von Baiern,
Du würdest in Marmor oder in Erz
Deine Auferstehung feiern.

Herr Ludewig und sein Künstlertraum,
Sie wurden beide zu Staube;
Die Jungfer Marlitt beherrscht den Raum
In den Spalten der Gartenlaube.

Und befaßt sich die Schillerstiftung nicht mehr
Mit deutschen Dichterschatten,
Dann lebt noch ein Recensentenheer ....
Das wird dich sicher bestatten,

So sicher — kein Hahn wird nach dir schreien,
Es schweigen alle Trompeten ....
Du brauchst deßhalb nicht in den Verein
Für `prunklose Bestattung` zu treten.


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