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Gastein

- Gedicht von Rudolf Kögel

Gastein

(Den 20. August 1876.)

Woher ragen hier die Berge,
Mächtiger rauschen hier die Ströme,
Kühner streben hier die Tannen,
Als wo an der stillen Selke
Sanft der Buchenhöh`nzug schwebte,
Und die Annenvilla grüßte - -
Dennoch zieht mein Herz mich hin!

Wißt ihr noch, ihr lieben Töchter!
Von der Fahrt zum Falkensteine,
Wo der wettergraue Förster
Uns den `Gang der Fräulein` zeigte
Und die ernste Schloßkapelle
Und den alten Bischofsring,
Auch auf Füchse und auf Falken
Schalt, die ihm Hasanen würgten?
wie dann auf gestirnter Heimfahrt
von dem „tollen Invaliden`
Lieb` Mamachen schön erzählte —
Graun und Spaß wie Punsch gemischt?!

Wißt ihr noch, wie einst am Sonntag,
Kurz nachdem wir Schlangen schlugen,
Durch der Felder Korngewoge,
Durch der Lerchen Himmelsgrüße,
Von dem Kirchgeläut` gezogen,
Gottes Wort wir suchen gingen
In dem alten Harzgerode —
Um uns Stille, Still` in uns?!
Wißt ihr noch, wie wir am Quickborn,
Wo die Tannen traulich standen,
Und Libellen tändelnd schwirrten,
Und die Quelle unterm Steine
Murmelnd Selbstgespräche hielt, —
Wie wir da, Homer in Hände,
Von dem edlen Dulder lasen,
Der die Heimat, der den Vater,
Den Laertes, wieder findet,
Wie er Bäume pflegt und bindet, - -
Heiß bejammert, froh begrüßt?!

Wißt ihr noch, wie`s uns am Abend
Zog zum namenlosen Thale,
Wo die Herden stiller trieben,
Und der Salamander glühte,
Und Vergißmeinnicht euch grüßte?
Wißt ihr, wie das Rot verglühte
Überm Waldsaum, und im Dämmer,
Im Gehölz sich noch die Vöglein,
Wie die Kinder in den Betten
Abends pflegen, plaudersüchtig,
Plauderselig sich besprachen,
Bis das letzte müd entschlief?!

Wißt ihr all das, liebe Töchter? —
Dann begreift ihr, daß die Berge
Von Gastein zwar höher ragen,
Kühner hier die Tannen streben,
Mächtiger hier die Wasser brausen,
Daß mein Herz zum Harz sich wendet,
Und die Bitte motiviert:
Schickt mir aus dem Harz mein Herzchen,
Schickt mir mein Mamachen her!


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