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Der Blumenbote

- Gedicht von Ludwig Storch

Der Blumenbote

  Der erste Frühling hielt die Welt
  Im prächtigen Feierkleid umschlossen.
  Die Sonne hat als junger Held
  Ihr neue Reize ausgegossen.
  Die Bäume blühn, die Blumen glühn,
  Die bell aus dem smaragdnen Grün
  Als junge Erdensterne sprossen.
Als glänzende Wolkensäule durchzieht
Der Herr des Paradieses Gebiet,
Auf daß er sein Werk sich beschaue.
Da neigen sich Bäume und Blumen zumal
Vor seiner Herrlichkeit sonnigem Strahl
Und beben im funkelnden Thaue.

  Und er erfreut sich ihrer Pracht.
  Wie duften sie ihm Dank entgegen!
  `Du hast so reizend uns gemacht,
  Geschmückt mit deinem schönsten Segen;
  Hast uns im Thal, auf Berg und Au`
  Als Zierde hingestellt zur Schau
  Hast uns gepflanzt auf allen Wegen.
Es fehlt uns nur Eins, und wir bitten dich schön,
Du wollest gewähren uns, was wir erflehn!
Wir haben nicht Füße, nicht Flügel!
Wir möchten nicht immer so stille stehn,
Wir möchten gern stiegen, wir möchten gern gehn
Von der Au` in das Thal, auf den Hügel.`

  Der Herr mit ernstem Angesicht
  Versetzt noch milder und gelinder
  Als er zu andern Wesen spricht:
  ``Ihr kleinen unzufriednen Kinder!
  Kaum habt ihr Duft und Farbenschein,
  So wollt ihr gleich den Vögeln sein,
  Und doch erlebt ihr keinen Winter!

Ich war dir mit köstlichen Reizen gerecht,
D`ran laß dir genügen, du thöricht Geschlecht,
Daß die Himmlischen selber entzücket.
Zum Auge der Erde dich hab` ich gemacht.
Kein Läufer, kein Flieger mit Duft und mit Pracht
Ist gleich dir begabt und geschmücket.``

  Da neigt die Königin der Au`
  Sich tief auf ihrem schlanken Stengel,
  Die Rose, voll von süßem Thau:
  `So gib uns einen kleinen Engel
  Als Boten, der uns Kunde bringt,
  Von Einer sich zur Andern schwingt,
  Dann denken wir nicht unsrer Mängel.
Er bring` mir die Grüße der Lilie gern;
Ich send` ihn mit Botschaft nach nah und nach fern.
Auch mag er uns schöne Geschichten
Von Blumen und Sträuchen in Ost und in Süd,
Aus Gärten und Wäldern, wo`s duftet und blüht,
Von Lieb` und von Festen berichten!`

  ``Zu schaffen giebt`s für Engel mehr,
  Als eure Neugier zu bedienen.
  Ihr habt der Käfer summend Heer,
  Ihr habt die gerngeschäft`gen Bienen.``
  So schallt des Herrn verweisend Wort,
  Und weiter zieht die Wolke fort.
  Doch gnädig zeigt er gern sich ihnen.
Da beugte die schneeige Lilie sich tief.
`O höre mich, Vater! O weile!` sie rief,
`Und habe mit mir nur Erbarmen!
Ich liebe die Nose, und Sehnsucht verzehrt
Mein Leben; denn ewig — ach! — ist mir`s verwehrt
An ihrem Kelch zu erwarmen.`

  `Ich welke vor Verlangen hin
  Nach ihrem Mund, dem purpurrothen.
  O mache drum mich, wie ich bin,
  Zum leichtbeschwingten Blumenboten!
  Sieh, deine Schöpferweisheit hat
  Zum Flügel schon geformt mein Blatt.
  So reiße mich denn los vom Boden!
Erhebe zum kleinsten der Engel mich mir
Und laß mich der Blumen prächtige Flur
Durchflattern auf duftenden Schwingen!
Vergönne mir, Vater, den höchsten Genuß,
Der Liebe berauschenden seligen Kuß
Der theuern Rose zu bringen!`

  Im Weiterziehn berührt der Hauch
  Des Ewigen sie zum sanften Zeichen.
  Und dankbar blickt das Blumenaug`
  Ihm nach mit duftendem Verneigen.
  Und als der Tag verglommen war,
  Erschien das schöne Menschenpaar,
  Geschmückt mit frischen Blüthenzweigen.
Sie lachen und scherzen so selig und laut.
Ihm reißt von der Brust sich die blühende Braut
Und eilt sich im Busch zu verstecken.
Da faßt er den Kelch der Lilie geschwind
Und pflückt ihn und wirft dem enteilenden Kind
Ihn nach, sie zu schrecken und necken.

  Die Lilienblume trifft und fällt
  Sanft auf die Rosenknospen nieder,
  Die, als die schönsten in der Welt,
  Geschmückt des Weibes zarte Glieder.
  Kaum hat die Knöspchen sie berührt,
  Als eine neue Kraft sie spürt:
  Im Fallen bebt sie sich schon wieder.
Die glückliche Blume flattert empor;
Sie bat für das Leben, das sie verlor,
Ein neues gewonnen im Tausche.
Und wie auf der Welle der Luft sie sich wiegt,
So fühlt sie mit Wonne: sie fliegt! sie fliegt!
Und sie taumelt im seligsten Rausche.

  Sie eilt, ein schöner Schmetterling,
  Sich in die Rose zu versenken.
  Die öffnet ibres Kelches Ring.
  Mit ihrem Nektar ihn zu tränken,
  Er schlürft im herrlichsten Genuß
  Und giebt dagegen Kuß auf Kuß
  Der trunkne Gast dem seligen Schenken.
Und eh` er`s gewahrt, so hat er die Nacht
Mit Kosen und Küssen und Naschen vollbracht,
Auf dem Rosenborde geschaukelt.
Doch als der Morgen sich dehnt und regt,
Da hat er die Flügel geprüft und bewegt
Und ist durch den Garten gegaukelt.

  Getragen von des Morgens Hauch
  Hoch durch der Lüfte blaue Wogen,
  Von Blum` zu Blume, Strauch zu Strauch
  Ist er geflattert und geflogen.
  Von Blumenlippen nimmt er Kost
  Und stürmt davon, hat er mit Most
  Und süßem Kuß sich vollgesogen.
Doch seht den tleiueu geflügelten Wicht!
Der Rose bewahrt er die Treue nicht,
Für die er als Lilie geschwärmet.
Zwar liebt er sie noch, doch die andern auch;
Er liebet sie Alle am Stengel, am Strauch,
Und hat sich um Keine gehärmet.

  Und Jede reicht ihm Trank und Kost
  Und wiegt ihn gern auf ihrem Stengel;
  Denn immer bringt er neue Post,
  Der kleine holde Blumenengel.
  Er hat so viel gehört, gesehn;
  Er schmeichelt und er klatscht so schön
  Und rügt so scharf der Andern Mängel.
Mit Grüßen beladen von nah und von fern,
Von Blumenstern eilt er zu Blumenstern
Und weiß so pikante Geschichten
Von Blumen und Sträuchen im Ost und im Süd,
Aus Gärten und Wäldern, wo`s duftet und blüht,
Dem staunenden Ohr zu berichten.

  Bald streift er leicht der Wiese Saum,
  Bald weilt er an des Waldes Schwelle,
  Berauscht von Blumennektarschaum,
  Halb Lilie noch und halb Libelle,
  Bald stürmt der Liebe bunter Sohn
  Als Blumenliebespostillon
  Fort mit des Stromes grüner Welle.
O glücklicher Falter, der Blumen Freund,
Du hast sie vergessen, die einst du geweint,
Der Sehnsucht schmerzliche Thräne!
Du nimmst dir, vortrefflicher Postillon,
Für deine Bestellungen süßesten Lohn,
O Schmetterling, schöne Phaläne!


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