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Des Sängers letzter Frühling

- Gedicht von Karl Gerok

Des Sängers letzter Frühling

    Stellt den Stuhl mir unters offne Fenster,
Wo der Apfelbaum von Blüten duftet,
Wo durch Wälder blühnder Obstgelände
Über helle, frischbegrünte Matten
Zu den blauen, schön geschweiften Bergen
Aug und Seele sanften Flugs sich schwingen!

    Nicht im Dunkel eines Krankenzimmers,
Wenn der Todesschmerz mein Aug umdüstert,
Rein im Sonnenschein, im Frühlingsglanze
Will ich Abschied nehmen von dem Leben;
Nicht im Graun der letzten bangen Stunden,
Wenn die Ewigkeit mein Herz durchschauert,
Nein, dieweil ich Erdenluft noch atme,
Sag ich meinen Scheidegruß der Erde.

    Alter Baum, der oft mir Frucht getragen,
Deine Blüten darf ich nochmals schauen,
Deiner Früchte wird ich nimmer kosten:
Sei gesegnet noch auf hundert Lenze!
Schöne Welt, in der ich lang gewandelt,
Willst mir noch im Frühlingsschmuck dich zeigen,
Wirst dein herbstlich Laub aufs Grab mir streuen:
Sei gesegnet noch auf tausend Jahre!

    Süßes Leben, sollt ich dich verachten,
Weil der Tag des Scheidens vor der Türe?
Holde Erde, sollt ich dich verlästern,
Weil dein Pilger hingeht in der Kürze?

    Nein du hast mir Herberg lang gegönnet,
Hast mit bunten Blumen mich ergötzet,
Hast mit süßen Früchten mich gelabet,
Warest meiner Kindheit weiche Wiege,
Warst mein Paradies der Jugendträume,
Warst das Saatfeld meiner Mannesjahre,
Gönnest meinem Staub das letzte Bette,
Bist und bleibst ein Garten meines Gottes,
Voll von Wundern seiner Macht und Güte!

    Habe Dank für jedes Frühlingsblümchen,
Das in deinen Tälern mir entsprossen;
Habe Dank für jedes Maienlüftchen,
Das auf deinen Bergen mich umsäuselt;
Habe Dank für so viel goldne Stunden,
Die mir traumschnell ach! auf die entschwunden;
Grüne fort, in tausend goldnen Lenzen
Kommenden Geschlechtern zu erglänzen! –

    Siehe, wie durch grüne Schattengründe
Rötlich sich der sanfte Fußpfad schlängelt;
Dort verliert er sich in Blütenbäumen,
Bald erscheint er neu am Erlenbache,
Klimmt empor am sonnenhellen Hügel,
Schwindet still im fernen Waldesdunkel.

    Stiller Pfad, du mahnst mich an die Pfade,
Die mein Fuß durch diese Welt gegangen,
Bald im Schatten, bald im Sonnenscheine,
Bald auf Höhen, bald im finstern Tale,
Bald im Morgentau beblümter Wiesen,
Bald im Staub der heißen Mittagsstunden,
Oft gekrümmt und doch zum Ziele führend,
Oft am Ziele schiens, doch neu geöffnet; --
Seid gesegnet, all ihr Pilgerpfade,
Zeugen ihr von meines Gottes Gnade;
Habe Dank, o Hirte, der mich führte
Und mit großer Treue mich regierte! –

    Schau, nun überläuft ein Wolkenschatten
Ahnungsvoll die sonnenhellen Fluren,
Dass die kaum noch lachenden Gefilde
Wie mit Schwermut plötzlich sich umfloren.
Ach! so schien auch mir die Welt umschleiert,
Schien die Sonn am Himmel mir erschloschen,
Schien die grüne Erde mir verödet
In der Trübsal banger Trauerstunde! –

    Aber sieh, die Wolke zieht vorüber,
Aber sieh, der Schatten ist verflogen,
Und die Sonne glänzt im alten Glanze
Und vergoldet wieder Flur und Hügel;
Ja, was seid ihr, Leiden dieser Erde?
Wolken seid ihr, die vorüberfliehen;
Alles Weh, darum ich trostlos klagte,
Aller Gram, der mir am Herzen nagte,
Ist er wie ein Schatten nicht verflogen?
Und aus Wolken glänzte stets aufs Neue,
Herr, mein Hirte, deine Gnad und Treue! –

    Horch! des Hündleins zorniges Gebelle,
Plötzlich tönts empor vom Mühlengrunde;
Durch des Maiennachmittags Frieden,
Durch der Vögel wonnevoll Gezwitscher;
Heiser tönts herauf und will nicht enden,
Will den Wandrer nicht vorüberlassen,
Bis sein Schritt sich im Gebüsch verlieret.

    Wandrer, ziehe ruhig deines Weges,
lass das Hündlein hinter dir nur bellen,
Ist auch mir, dem Wandrer so ergangen:
Harmlos zog ich meine Pilgerstraße,
Plötzlich mir zur Seite scholl Gebelle;
Fried und Liebe trug ich allen Menschen,
Doch der Hass fuhr ungereizt von Lager;
Wenig wars, was ich vom Glück erstrebte,
Doch das Wenige hat der Neid beschrieen;
Schön‘ und Edles hegt ich in der Seele,
Doch die Bosheit wusst es bös zu deuten.
O das waren bitter herbe Stunden,
Und mir blutete das Herz im Busen,
Fragte: womit habe ich das verschuldet?
Doch am Ziel ists lange nun verschollen,
Und der Gram ist lange schon verschwunden,
Ist mir doch nur Menschliches begegnet,
Ist mir wie dem Wandrer nur ergangen,
Dem das Hündlein um die Fersen bellet.
Litt ich dies und jenes unverschuldet:
Bessre haben Schlimmeres erduldet;
Wer mir je das weiche Herz gekränket,
Tausendmal sei ihm die Schuld geschenket;
Wem ich wehtat, woll auch mir vergeben,
Und so scheid ich ausgesöhnt vom Leben. –


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