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Märchen Ging ein Mägdlein abends spät Über grünes Wiesenland, Drauf von niemand noch gemäht, Hohes Gras in Fülle stand. An dem Bach der es begrenzt, Sang mit leisem, tiefem Schall Im Gebüsch die Nachtigall – Und des Mägdleins junges Herz Pochte laut in Lust und Schmerz, Wußte selber nicht warum. Plötzlich schaut es: ... weiterlesen |
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Mythe In uralter Zeit ehelichte die goldene Sonne den glänzenden Mond. Lange lebten sie glücklich und unzertrennlich beisammen. Sie gingen um dieselbe Stunde zu Bett und verließen ihr Lager zur selben Zeit; auch viele Kinder wurden ihnen beschert – die himmlischen Sterne. Einst aber begab es sich, daß Frau Sonne, erwachend, den Gatten nicht neben sich fand. Eifersüchtig durchspähte sie den ... weiterlesen |
Der Riese und der See An der Landstraße, welche die Rittergüter Lubahn und Seßwegen mit der Stadt Riga verbindet, etwa fünfzig Kilometer von der letzteren entfernt, liegen auf einem von den großen Kangarbergen gen Südosten sich erstreckenden Abhange zwei Hügel, etwa hundert Schritt voneinander entfernt. Von diesem Orte erzählt man sich folgende Mär: Einst lebte daselbst ein Riese, dessen Schlafstelle der ... weiterlesen |
Von Geld- und Korndrachen Ein Bauerwirt fuhr nach Riga, um sich dort einen Korndrachen1 zu holen. Nach längerem Feilschen wurde er mit dem Kaufmann handelseinig und wollte sich den Drachen ordentlich ansehen. Der Verkäufer aber gab ihm ein zusammengebundenes Stückchen Zeug und sagte: »Sieh zu, daß du es uneröffnet nach Hause bringst und bezähme deine Neugier! Daheim aber öffne es und schüttele es über dem ... weiterlesen |
Wie der Wasserfall bei Goldingen entstand In grauer Vorzeit, als die Liven noch an den Küsten Kurlands saßen, befanden sich die Letten in schwieriger Lage. Sie mußten, wollten sie auf den wenigen Flüssen das offene Meer erreichen, sich durch die livischen Wächter hindurchschlagen, so daß der Kämpfe zwischen beiden Völkern kein Ende war. Die Liven beteten böse Geister an, die Letten aber verehrten den Donnerer Pehrkon. Einst ... weiterlesen |
Der fliegende See Was nicht wo, nicht wann geschehn Und doch nimmer kann vergehn, Wundermär aus alten Tagen Drängt es mich euch anzusagen. .. Auf der fetten Weide gehn Still die schön gehörnten Rinder, Während braune Hirtenkinder In dem weichen Grase liegen, Nach den Schmetterlingen sehn, Die von Blum' zu Blume fliegen, ... weiterlesen |
Der Stiefbruder Es war einmal ein Vater, der hatte einen starken, furchtlosen Sohn. Auf der ihm gehörigen Weide gab's eine Stelle, wo's nicht geheuer war und sich schon viele fast zu Tode erschreckt hatten. Manche sahen dort Gespenster, andere hörten, namentlich wenn es gewitterte, ein banges Winseln und Stöhnen. Da kam es, daß eines Abends der Sohn auf den Weideplatz ritt, um dort die Nacht zu verbringen. ... weiterlesen |
Sagen und Kurbad Es war einmal ein Wirt,1 der alles hatte, was das Leben angenehm macht, nur keine Kinder. Er selbst grämte sich deswegen nicht sonderlich, um so trauriger aber war sein Weib. Und als nun gar der Mann eines Tages krank wurde und starb, war des Klagens und Weinens kein Ende, denn nun hatte die Wirtin nichts Liebes mehr auf der Welt. Da hörte sie eines Tages von einem armen mit neun Kindern ... weiterlesen |
Victor von Andrejanoff Eine der merkwürdigsten Erscheinungen des litterarischen Lebens unserer Zeit ist in dem jüngst verstorbenen Victor von Andrejanoff dahingegangen. Ein Anwohner und geistiger Pionier jener westöstlichen Kulturgrenze in den Ostseeprovinzen Rußlands, wo das vordringende Jungrussentum auf uralten, festgewurzelten deutschen Geistesbesitz stößt und in den harten Widerhall dieses gewaltigen ... weiterlesen |
Das goldene Beil Im Meluppgesinde1 saß eine junge Magd spät abends beim Kienspanlicht und spann. Die Wirtin und ihre Tochter – der Bauer war schon seit drei Jahren tot – schliefen bereits, denn sie waren sehr bequem, spielten gern die »großen Damen« und luden der Magd alle häusliche Arbeit auf, so daß diese von Sonnenaufgang bis Mitternacht die Hände regen mußte, ohne doch die Zufriedenheit ... weiterlesen |
Von Werwölfen Einst mähten Arbeiter Gras auf einer Wiese. Da sprach einer von ihnen: »Wenn ich doch jetzt ein Schäflein hätte! Mich gelüstet sehr nach solchem Braten.« Der andere lachte, er aber ging hinter einem Balkenhaufen fort und verschwand am Waldessaum. Als er nach längerer Zeit nicht wiedergekommen, gingen ihm die übrigen Arbeiter nach. Hinter jenem Balkenhaufen fanden sie seine Mütze und ... weiterlesen |
Der Bärenmensch Ein Mädchen ging einst in den Wald, um Pilze zu sammeln. Da begegnete ihr ein Bär, der sie ergriff und in seine Höhle schleppte. Dort mußte sie drei Jahre bleiben und dem Bären dienen. Als sie aber Mutter eines Kindes wurde, welches zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Bär war, jagte das Untier sie fort. Ihr Sohn, den man »Bärenmensch« nannte, gedieh und ward außerordentlich stark und ... weiterlesen |
Das Vergessene Kindlein Kindlein schläft am Waldessaum, Eingelullt in süßen Traum, Vor der Sonnenglut beschützt Es ein junger Birkenbaum, Dessen Blattwerk, naß vom Thau, Wie ein Perlenkleid erblitzt. Bunte Schmetterlinge schaukeln Sich auf duft'gen Blutendolden, Fliegen, Käfer, farbig, golden, Um den kleinen Schläfer gaukeln – Und die ... weiterlesen |
Die Hundsköpfe Es wohnten einmal in irgend einer Waldgegend Hundsköpfe1 und Menschen nahe bei einander. Die ersteren waren Jäger, die letzteren Ackerbauer. Einst fingen die Hundsköpfe ein junges Mädchen, welches aus einer entfernten Gegend stammte und sich im Walde verirrt hatte. Sie brachten dasselbe nach Hause und fütterten es lange Zeit mit Nußkernen und süßer Milch. Dann und wann aber stachen sie ... weiterlesen |
Was sich die Hexen in der Johannisnacht erzählten Es waren einmal zwei Brüder, die wollten auf Wanderschaft gehen, um in der weiten Welt ihr Glück zu versuchen. Sie stießen ihre Messer in den Stamm einer mächtigen Tanne und trafen folgende Vereinbarung: wer von ihnen zuerst wieder heimkehren würde, der solle die Messerklinge des andern besehen, ob sie noch blank sei; das würde ein Zeichen sein, daß der andere noch lebe. Dann trennten sie ... weiterlesen |
Von Schätzen Es war einmal ein arger Trunkenbold, der all sein Hab und Gut versoffen hatte. Als er sah, daß ihm kein Wirt mehr Kredit geben wollte, ging er zu einem nahen Berge, um daselbst Geld zu leihen. Am Fuße des Berges, unter einer uralten Eiche, stand ein schwarzer Mann; zu dem sprach er: »Leihe mir Geld!« Der aber antwortete: »Wozu brauchst du, Trunkenbold, Geld? Du würdest es doch im ... weiterlesen |