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Von einem Landwirte - Märchen von August Schleicher: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder


Von einem Landwirte

Es war einmal ein Landwirt, der auch Handel trieb, der steckte einmal hundert Thaler ein und reiste in die Stadt, um allerhand Waren ein zu kaufen. Unterweges traf er einen Menschen, den fragte er, wohin die Wege führten, denn es waren zwei Wege da. Der Mensch sagte zum Wirte ›Gib mir hundert Thaler, so werde ich dirs sagen; das eine Wort von mir ist hundert Thaler wert.‹ Da dachte der Landwirt »Ei zum Teufel, was mag das für ein Wort sein, das hundert Thaler wert ist? Na (sagte er), sags nur, ich werde dir das Geld geben.« Und er zählte ihm hundert Thaler zu. Da sagte der Mensch ›Höre nun zu; der Weg da geht gerade aus, das ist für heute, und jener Weg, der eine Biegung macht, das ist für morgen.‹ Da sagte er ferner zu dem Landwirte ›Ich will dir noch ein Wort sagen, aber du must abermals hundert Thaler geben.‹ Dem Wirte gieng das sehr im Sinne herum, aber er sagte endlich doch »Wenn ich schon einmal gezahlt habe, so kann ich auch das andre Wort kaufen.« Und er gab ihm das zweite Hundert. Da sagte der Mensch ›Wenn du auf der Reise sein wirst und in ein Wirtshaus kommst, wo ein alter Wirt und eine junge Wirtin ist, da kehre niemals ein, sonst geht dirs nicht gut. Und gibst, du mir noch hundert Thaler, so sage ich dir noch etwas.‹ Jetzt denkt der Wirt »Was wird das doch für ein Wort sein; aber zwei Worte habe ich schon gekauft, so will ich auch das dritte kaufen;« und so zählte er ihm das dritte Hundert zu. Da sagte der Mensch ›Wenn du eines Tages sehr in Zorn gerätst, so laß die Hälfte deines Zornes auf den kommenden Tag, laß nicht deinen ganzen Zorn an einem Tage aus!‹ Der Wirt gieng nun nach Hause zurück und jener seines Weges. Die Frau des Wirtes fragte ihn »Was hast du eingekauft?« Er sagte ›Nichts als drei Worte und für jedes gab ich hundert Thaler.‹ Die Frau sagte »Für nichts und wider nichts wirfst du dein Geld hinaus.« ›Aber, Frauchen (sagte er), mir thut das Geld nicht leid; du wirst schon sehen, was das für Worte sind‹. Da sagte die Frau »Na, sprich!« Da erzählte er, daß er einem Menschen dafür, daß dieser ihm den Weg ausgelegt, hundert Thaler habe zahlen müßen; dann sagte er ihr das andre Wort, für das er ebenfalls habe hundert Thaler geben müßen, und das dritte, das er um denselben Preis gekauft habe. Die Frau sagte »Für nichts und wider nichts; du wirfst dein Geld hinaus!«

Da geschah es später, daß ein Kaufmann mit zwei Frachtwagen voll Waren auf dem Wege gefahren kam, der beim Landwirte vorbei führte, und gerade vor dem Hause des Wirtes starb des Kaufmanns Fuhrknecht, den er in die Stube des Wirtes brachte und dann bestattete. Da forderte der Kaufmann den Wirt auf, er solle ihm den zweiten Frachtwagen fahren, weil er keinen Fuhrknecht habe, und bot ihm fünfzig Thaler für die Woche und die ganze Zehrung. Da sagte er zu seiner Frau ›Ich werde fahren.‹ Sie sagte »Fahr nur und verdien dir etwas.« So fuhren sie denn weg, der Kaufmann auf einem, der Landwirt auf dem andern Frachtwagen. Sie kamen an jene zwei Wege und der Kaufmann fragte, wohin zu fahren sei. Der Landwirt sagte ›Wir wollen den Weg für morgen fahren, denn das ist der beßere.‹ Der Kaufmann will aber den Weg für heute1 fahren; der Landwirt aber sagte ›Und gäbest du mir hundert Thaler, so führe ich doch nicht den Weg, auf dem du fahren willst.‹ So fuhr denn jeder einen andern Weg. Der Landwirt, der den beßern Weg gewählt hatte, war schon Mittags in der Schenke, jener aber brach auf dem Wege für heute ein und litt da manchen Schaden, und während er sich abplagte und im Sumpfe waten muste, ward es Abend, ehe er die Schenke erreichte.

In der Schenke war eine junge Frau und ein alter Mann. Der Kaufmann wollte da über Nacht bleiben, aber der Landwirt gedachte jenes Wortes und wollte da nicht bleiben und hätte ihm jemand auch hundert Thaler geboten. Der Kaufmann aber blieb da. Der Schenker gieng ins Dorf, und während seiner Abwesenheit empfieng die junge Frau den Besuch ihres Liebhabers, eines jungen Herrchens, dergleichen es wol zu geben pflegt. Der Wirt traf bei seiner Rückkehr noch diesen Menschen, ergriff ein Meßer, stach ihn todt und nahm dann die Leiche und legte sie, während der Kaufmann schlief, auf dessen Wagen. Der Kaufmann stund früh auf und gieng sich zur Reise zu rüsten, und da fand er, daß man ihm einen todten Menschen auf seine Ware gelegt habe. Das ganze Dorf vernahm das Ereignis; man lief zusammen, ergriff den Kaufmann und sagte ›Du hast das gethan; er wird wol gekommen sein, um dir von deinen Waaren zu stehlen, und da hast du ihn erstochen.‹ So sehr er auch sich wehrte, so ward ihm das doch nicht geglaubt, man brachte ihn ins Gefängnis und seinen Wagen sammt Waren und Pferden verkaufte man wegen des Menschen, und er war doch ganz unschuldig.

Als der Landwirt, der weiter gefahren war, hörte daß man den Kaufmann ins Gefängnis gebracht und ihm alles weggenommen habe, da kehrte er mit dem Frachtwagen voll Waren in seine Heimat zurück. Als er nach Hause gekommen, gieng er in die Stube und da fand er seinen Sohn, der vom Dienste als Soldat heim gekommen war und mit seiner Mutter plauderte, er aber erkannte ihn nicht gleich wieder und meinte, daß ein Liebhaber bei seiner Frau sei, ergriff ein Meßer und wollte schon auf den Fremden los springen und ihn erstechen, da aber bedachte er sich: ›Halt!‹ ich habe für das Wort ›Laß die Hälfte deines Zorns auf morgen‹ hundert Thaler gegeben und er zog sich sogleich zurück. Er legte sich also zu Bette ohne den Menschen erstochen zu haben, und am andern Morgen als er aufstund, erkannte er in jenem Menschen seinen Sohn. Da sagte er zu seiner Frau ›Habe ich nun jene Worte zu theuer bezahlt? Hör zu, ich will dir erzählen was geschehen ist.‹ Da erzählte er ihr seine ganze Reise. Die Frau freute sich, daß es sich so getroffen habe, und er behielt den ganzen Wagen mit Waren und lebte nachher in Freude und Frieden.





Fußnoten

1 Wahrscheinlich so zu verstehen: für heute wol, aber weil er zu schlecht ist, wird für morgen der andre gewählt.


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