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Das dumme Hänschen - Märchen von Emil Karl Blümml: Schwänke und Schnurren des französischen Bauernvolkes


Das dumme Hänschen

Eine Frau, die bei Doullens wohnte, hatte einen Sohn, namens Johann oder besser Hänschen, den die Bewohner des Ortes nicht mit Unrecht das dumme Hänschen nannten. Eines Tages füllte sie einen Korb mit Butter, befahl ihrem Sohn, diese am Markt zu Doullens zu verkaufen und dafür ein Ferkel zu erstehen. »Da hast du noch eine Börse mit Geld, damit bestreite alles. Halte dich am Weg nicht auf!« – Er nahm die Butter und die Börse und ging nach Doullens. Am Wege bemerkte er Risse. »Halt, hier sind Löcher im Boden. Stopfe ich sie nicht zu, so werden sie immer grösser und ich werde am Rückweg hineinfallen.« Er schnitt ein Stück Butter ab und verstopfte damit einige Risse. Der grösste Teil der Butter wurde auf diese Art verbraucht.

»Es bleibt mir nur wenig über, es lohnt sich gar nicht, den Rest am Markt zu verkaufen. Wenn ich jemanden begegne, so werde ich ihm die Butter zum Kaufe anbieten.« – Bald darauf kam er an einer Strassenkreuzung zu einer Kalvarienbergdarstellung. – »Da werde ich meinen Handel abwickeln«, sagte er sich. »Lieber Jesus, hier hast du ein Pfund Butter. Willst du mir vierzig Sous dafür geben?« – Christus gab keine Antwort. – »Du antwortest nicht. Da es aber heisst, wer nichts sagt, der willigt ein, so lasse ich dir meine Butter.« – Er legte seine Butter hin und ging nach Doullens, um ein Schwein zu kaufen. Er zahlte, was man begehrte und führte dann das Tier an einem Strick, der am Hinterfuss des Schweins befestigt war, heim. Da das Schwein aber einmal nach links, einmal nach rechts ging, so wurde er müde.

»Du willst allein gehen! Gut, geh' allein! Unser Haus ist das dritte auf der rechten Seite und hat ein grosses, grünes Tor. Gute Reise, mein liebes Schwein!« – Er liess das Tier, das sofort querfeldein rannte, los. Ruhig kam er nach Hause.

»Wo ist das Geld für die Butter? Wo ist das Schwein?« – »Ach, sprich mir von der Butter nichts, liebe Mutter! Ich habe damit die Löcher am Weg verstopft. Was das Schwein anbelangt, so habe ich es vorausgeschickt und es sollte schon längst hier sein.« – »Dummkopf! Änderst du dich denn gar nicht? Ich muss deine dummen Streiche bezahlen!« – Sie nahm einen Stock und schlug ihn, der über einen solchen Empfang ganz erstaunt war, tüchtig.



* * *



Einige Zeit nachher wollte seine Mutter ins Nachbardorf gehen. Vorher empfahl sie ihm aber noch, die Kuh auf die Weide zu führen. Sobald sie weg war, zog er mit der Kuh ab. Da er aber am Dach grünes und saftiges Gras erspähte, so schnitt er der Kuh den Kopf ab und stellte ihn neben dem Gras auf.

Als die Mutter nach Hause kam, prügelte sie ihn dafür tüchtig durch. »Du richtest mich noch zugrunde! Deinethalben werde ich zur Bettlerin werden. Ach, Gott, wie unglücklich bin ich doch.« – Die gute Frau begann zu weinen.

»Liebe Mutter, weine nicht! Ich werde trachten, mich zu bessern. Zunächst will ich die Haut unserer Kuh verkaufen.« – »Es wird aber gleich Nacht sein.« – »Das macht nichts. Übrigens ist heute Mondlicht, ich kann mich daher nicht verirren und die Diebe fürchte ich nicht.«

Er lud sich die Kuhhaut auf und ging nach Doullens. Die Nacht brach herein und Hänschen, der schon müde war, beschloss, auf einen Baum zu klettern und dort den Morgen zu erwarten. Als er sich auf einer grossen Eiche häuslich eingerichtet hatte, kamen Diebe, setzten sich am Fuss der Eiche nieder und wollten ihre Beute teilen. Sie konnten sich jedoch nicht einigen. – »Wenn ich euch betrüge,« schrie der Anführer, »so möge mich augenblicklich Gottes Zorn treffen!«

Das zitternde Hänschen hatte das gehört und liess sofort seine Kuhhaut auf die Diebe hinabfallen, die, unter Zurücklassung des Geldes, nach allen Seiten flohen. Als er glaubte, dass sie weit genug seien, stieg er vom Baum und füllte seine Kuhhaut mit dem Geld, dem Gold und den Schmucksachen der Diebe an. Dann schaffte er alles nach Hause.

Dieses Mal war seine Mutter mit ihm zufrieden. Sie waren nun die Reichsten des Ortes.



* * *



Eines Tages sprach Hänschen zur Mutter: »Da wir nun reiche Leute sind, so brauchen wir auch eine Dienerin. Ich gehe nach Doullens, um eine aufzunehmen.« – »Liebes Kind, du hast recht. Führe mir eine Dienerin her.«

Hänschen nahm einen starken Strick mit. In der Stadt nahm er eine Magd auf und als er ausserhalb der Stadt war, band er ihr, trotz ihres Schreiens, einen Strick um den Hals und schleppte sie hinter sich her. »Das Schwein hat mir einen Streich gespielt, das soll mir heute nicht mehr zustossen.« Als er nach Hause kam, war das Mädchen tot.

»Das Frauenzimmer ist ohne Beichte gestorben«, dachte er sich. »Ich werde den Pfarrer holen.« – Er schleppte das Mädchen bis zur Kirchentüre und weckte dann den Pfarrer auf. – »Schnell, schnell, Herr Pfarrer, eine Frau stirbt in der Kirche und will noch beichten.« – Der Priester lief mit ihm zur Kirche und da es stockfinster war, so rannte er an das tote Mädchen an und fiel mit ihr zur Erde. – »Ach, Gott, Herr Pfarrer, ihr habt sie getötet. Ich werde euch anzeigen und ihr werdet gehängt werden!« – Der Pfarrer glaubte wirklich, die Frau getötet zu haben. – »Sage nichts, liebes Hänschen, sage nichts!« – »Ich werde darüber schweigen, wenn ihr euer ganzes Geld holt und es mir gebt.«

Der Pfarrer lief ganz bestürzt ins Pfarrhaus und brachte einen grossen Beutel voll Louisdor. Dann beerdigte er unter Mithilfe Häuschens die Frau und kehrte hierauf ins Pfarrhaus zurück. – »Der Pfarrer hat mich vielleicht getäuscht. Ich werde ein wenig an seiner Haustüre horchen.« – Die Wirtschafterin sagte soeben zum Pfarrer: »Ihr könnt mir meinen Lohn nicht mehr bezahlen, bei euch bleibe ich nicht mehr.« – »Schweig', Marianne. Ich habe ja noch einen vollen Geldbeutel im kleinen Schrank meines Zimmers.« – Hänschen trat sofort ein und liess sich vom armen Pfarrer auch dieses Geld geben.



* * *



Bald darnach kam er beim Christus vorbei, dem er seine Butter verkauft hatte. – »Guten Tag, lieber Jesus. Du schuldest mir noch vierzig Sous. Um mich bezahlt zu machen, werde ich mir das Geld aus dem Opferstock nehmen. .. Du entgegnest nichts? Wer nichts sagt, heisst es, ist einverstanden. Ich nehme mir das Geld.«

Hänschen nahm das Geld an sich und lebte noch lange Jahre glücklich und zufrieden bei seiner Mutter.



(Picardie.)


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