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Aschenbrödel - Märchen von Heinrich Zschalig: Die Märcheninsel. Märchen, Legenden und andere Volksdichtungen von Capri


Aschenbrödel

Es war einmal eine Familie mit fünf Töchtern, vier häßlichen und einer schönen. Das war die jüngste. Daß diese von den anderen sehr beneidet und drangsaliert wurde, darf uns nicht wundern, zumal die Eltern schwach und ungerecht waren.

Weder zu Hause, noch auf der Straße durfte sie mit den Schwestern zusammen erscheinen, weil diese wohl wußten, wie dabei ihre Häßlichkeit nur um so auffallender hervortreten würde, wie sehr sie sich auch zierten und putzten.

Während sie in schönen Gewändern spazieren gingen, mußte die Ärmste in alten Röcken alle Schmutzarbeit im Hause und in der Küche verrichten, wofür sie noch obendrein als »Aschenbrödel« verhöhnt wurde.

Nur der Vater hatte zuweilen Mitleid mit ihr, wagte es aber in Gegenwart der älteren Töchter nicht zu zeigen. Aschenbrödel ließ sich nicht irremachen. Sie erfüllte unverdrossen ihre Pflichten und war dabei zufriedener und vergnügter als alle.

Eines Tages aber hatte sie Unglück. Als sie die Schale mit den Goldfischen reinigen wollte, fiel diese ihr aus der Hand auf den steinernen Fußboden der Küche und zerbrach. Mutter und Schwestern eilten herbei, sie zu schelten. Schluchzend nahm sie die zappelnden Fische, tat sie in einen Topf mit frischem Wasser und sprach: »Ihr armen kleinen Dinger seid wohl gehörig erschrocken! Zum Glück hat sich aber keiner am Glase geschnitten! Nun müßt ihr in den häßlichen Topf!«

Da reckte sich ein kleines, niedliches Fischlein empor und sprach: »Gräme dich nicht über uns und verzweifle nicht an deinem Schicksal! Dein Vater muß demnächst in Geschäften nach Afrika reisen. Bitte ihn, dir ein goldenes Waschbecken und ein Dattelbäumchen in einem Blumentopfe mitzubringen! Und wenn später einmal deine Schwestern auf ein Fest gehen, ohne dich mitzunehmen, wasche dich in diesem Becken und dann sprich zum Bäumchen:



›Latteri, latteri, latteri mein,

spende mir was und kleide mich fein.‹



Da erhältst du sogleich ein wunderschönes Kleid mit dem dazugehörigen Schmuck, um zu Balle zu gehen! Sorge aber dafür, daß du immer vor den anderen daheim bist! Und wenn dich die Kavaliere verfolgen, wirf dieses Geld unter sie, sie aufzuhalten!«

Nicht lange darnach unternahm der Vater seine Reise, und Aschenbrödel bat ihn, ihr ein goldenes Waschbecken und ein Dattelbäumchen mitzubringen, wozu er sich auch gern bereit zeigte. Da aber die Wünsche der Mutter und Schwestern zuerst befriedigt werden mußten, wurde das arme Aschenbrödel, wie gewöhnlich, vergessen. –

Schon hatte die Rückkehr begonnen, als plötzlich das Schiff stillstand und sich nicht von der Stelle bewegte.

Da ließ der Kapitän alle Fahrgäste um sich versammeln und sprach: »Wir kommen nicht weiter. Das Schiff will nicht von der Stelle. Das ist ein Zeichen, daß ein Mitreisender seine Pflicht nicht erfüllt hat. Hat vielleicht jemand etwas zu besorgen versäumt?« – »Das bin ich,« rief erschrocken Aschenbrödels Vater, »ich habe vergessen, was ich meiner Jüngsten versprochen, zu kaufen. Ich möchte, wenn möglich, es wohl noch besorgen!«

Augenblicklich fuhr das Schiff zurück. Sobald er es aber mit dem goldenen Becken und dem Dattelbäumchen wieder betrat, schien es mit um so größerer Geschwindigkeit gleichsam über die Wogen dahin zu fliegen und gelangte wie durch ein Wunder in wenigen Stunden zum heimatlichen Hafen, und Aschenbrödel nahm dankbar die kostbaren Geschenke entgegen.

Nicht lange darauf wurde am Hofe ein großes Fest veranstaltet. Drei Tage sollte es dauern, und es hieß, der Sohn des Königs, der heiraten wollte, würde sich bei der Gelegenheit wohl mit der schönsten Signorina des Reiches verloben. Darum hatte man alle adeligen und reichen Familien des Landes, die mit Töchtern gesegnet waren, eingeladen, auch die Eltern unserer armen Freundin.

Als dann die vier Schwestern zum Feste aufbrachen, riefen sie der am Herd Zurückbleibenden höhnend zu: »Lebwohl, Aschenbrödel, wir gehen zum Hofball. Möchtest du nicht auch mitkommen?« – »Lebt wohl, liebe Schwestern!« versetzte sie lächelnd. »Ich werde mich zu trösten wissen.« – »Jawohl, du hast ja doch deine Arbeit!« fügte die Mutter noch streng hinzu.

Sobald sie fort waren, eilte die Gute, sich im goldenen Becken zu waschen, ging dann zu ihrem Bäumchen und sprach:



»Latteri, latteri, latteri mein,

spende mir was und kleide mich fein!«



Da lag auch schon ein prachtvolles rosafarbenes Kleid mit vielen Juwelen und niedlichen Ballschuhen auf dem Tische, und alles paßte ihr wie angegossen.

Wie sie dann den strahlenden Ballsaal betrat, richteten sich sogleich aller Blicke auf sie: sie war die Schönste von allen und darum auch von allen beneidet und zumal von den Müttern mißgünstig gemustert, dafür aber von den flottesten und vornehmsten Ballherren um so eifriger umworben, während die Schwestern sich mit dem Zusehen begnügen mußten. Besonders der Prinz zeichnete die Ballrose aus und tanzte fast nur noch mit ihr.

Vergeblich aber war sein Bemühen, Namen und Herkunft der Fremden zu erfahren. Schon vor dem letzten Tanze war sie plötzlich verschwunden. Die nachgesandten Kavaliere wußte sie fernzuhalten durch das auf die Straße geworfene Kleingeld, das diese, reichere Spende vermutend, begierig aufrafften.

Als die Schwestern verdrießlich nach Hause kamen, erzählten sie dem schon wieder im schmutzigen Hauskleid am Herd sitzenden Aschenbrödel von der schönen Unbekannten. »Sei froh,« spotteten sie, »daß du nicht da warst! Hättest du sie gesehen, du wärst wohl geplatzt vor Mißgunst und Neid. Zum Glück war es nur eine Fremde, die für den Königsohn nicht weiter in Betracht kommt!«

»War es vielleicht gar eine ausländische Prinzessin?« lachte Aschenbrödel. »Hättet ihr sie nur genauer betrachtet, hättet ihr gewiß ihre Herkunft entdeckt.« –

Am zweiten Abend gewährte das Bäumchen der Glücklichen ein Prachtgewand von himmelblauer Farbe mit Perlen, worin sie wieder die glänzendsten Ballgäste überstrahlte und den Königsohn noch stärker an sich fesselte. Wieder entfernte sie sich heimlich beizeiten und warf beim Nahen der vornehmen Verfolger blinkende Silbermünzen auf die Straße, was ihre Aufmerksamkeit ablenkte. Und die Schwestern rühmten abermals mit schlecht verhohlener Mißgunst die Fremde, die ja doch kaum ernstlich in Betracht komme, wie sehr auch der Prinz ihr scheinbar den Hof gemacht habe. –

Der dritte Abend brachte die Entscheidung. Die Schwestern, erschienen im prunkvollsten Ballschmuck, den ihr Reichtum gestattete.

Aschenbrödel wusch nur im goldenen Becken den Küchenruß ab, trat dann vertrauensvoll zum Wunschbäumchen und bat:



»Latteri, latteri, latteri mein,

spend' heute was Schönes und kleide mich fein!«



Da kam ein Kleid von weißer Seide mit Diamantschmuck, goldener Schärpe und goldenen Schuhen zum Vorschein. Voll Staunen und Bewunderung verneigten sich alle im Saale vor ihr, sogar der König und die Königin reichten ihr huldvoll die Hand. Und die Neider verstummten. Sie war die unbestrittene Königin des Balles und die vom Königssohn zur künftigen Königin erkorene Braut. Aber nochmals entwich sie rechtzeitig seiner Werbung. Den nacheilenden Kavalieren streute sie zur »Unterhaltung« Goldstücke auf den Weg. Der Prinz selber beteiligte sich diesmal an der Verfolgung, kam aber im Gedränge zu Falle und verlor ihre Spur, doch fand er einen ihrer goldenen Schuhe, der im lehmigen Boden steckengeblieben war. –

Nun ging der Königssohn in alle Häuser seiner vornehmen Gäste, um persönlich die erforderliche Schuhprobe zu leiten. Die vier Schwestern taten ihr Mögliches, dem Prinzen zu gefallen; aber den Schuh, der den Ausschlag geben sollte, hatte keine verloren und keiner wollte er passen.

»Habt ihr nicht noch eine Tochter?« erkundigte sich der Prinz. »Allerdings«, erwiderte zögernd die Mutter; »aber die sitzt in der Küche und kann sich in ihrem Kittel nicht sehen lassen.«

»Laßt sie nur kommen! Arbeitskleider sind Ehrengewänder.« –

Aber wie erstaunten jetzt alle, als Aschenbrödel im weißen Seidenkleide mit goldener Schärpe hereintrat und sich vor dem Königssohne schamhaft errötend verneigte! Ihre Schönheit war ganz unbeschreiblich.

»Setzt Euch, holde Signorina! Ich möchte gern Eure Füße, die so wunderbar tanzen, einmal näher betrachten!«

Zögernd streckte sie den Fuß mit dem goldenen Schuh vor. Der Prinz wünschte jedoch, auch den anderen zu sehen. Da zeigte sie den zierlichsten Frauenfuß, von seidenem Strumpfe umschlossen.

»Wo habt Ihr den Schuh?« – »Der blieb unterwegs im Schmutze stecken.« – »Paßt Euch dieser vielleicht?« fuhr der Prinz lachend fort, indem er den goldenen Schuh aus der Tasche zog. Natürlich saß er wie angewachsen.

»Du also warst mir die liebste Tänzerin heute und die vorigen Male!« rief er frohlockend. »Die Schönste der Schönen! Nun sollst du meine Eheliebste werden! Und nun können andere die Küche besorgen.«

An der glänzenden Hochzeit, die bald darauf im Königspalaste gefeiert ward, nahmen die Schwestern aber nicht teil. –


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