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Von dem reichen und dem armen Bruder - Märchen von August Leskien und K. Brugman: Litauische Volkslieder und Märchen


Von dem reichen und dem armen Bruder

Es waren zwei Brüder, der eine war reich und hatte keine Frau, der andre aber war arm und verheiratet. Jetzt wollte auch der reiche Hochzeit machen, und er ladete den armen dazu ein. Aber der hatte nichts, was er dem Bruder zur Hochzeit schenken konnte, und da sagte er seiner Frau, sie solle Plinsen von Buchweizenmehl backen und solle sich dann zur Hochzeit fertig machen. Sie machten sich nun mit dem Plinsen auf den Weg, und als sie damit zum reichen Bruder kamen, fragte der ›Was hast du mir denn da mitgebracht?‹ und der Arme antwortete ›Ich hab dir Plinsen mitgebracht, mehr kann ich dir nicht schenken!‹ Da sagte sein Bruder ›Scheer dich mit deinen Plinsen zur Hölle!‹ Da ging der Arme denn auch mit den Plinsen fort nach der Hölle. Unterwegs begegnete ihm ein altes Männchen, und das alte Männchen war der liebe Gott. Es fragte ›Wohin geht die Reise?‹ Er erzählt' es ihm, und da sagte das Männchen ›Wenn er dich hingeschickt hat, so geh nur hin! Und wenn du bei der Hölle ankommst, leg an die erste Thür dein Crucifix, an die andern aber deine Betschnur, an jede Thür eine Perle, und gib allen Teufeln ein bischen von deinen Plinsen, dem Lucifer aber gib eine ganze Plinse. Die Teufel aber werden dir Geld dafür geben wollen, nimm das nicht an, sondern bitt dir nur Schaum aus dem Kessel aus.‹ So that er denn auch: er legte das Crucifix und den Rosenkranz an die Höllenthüren, gab allen Teufeln ein bischen von seinen Plinsen, dem Lucifer aber gab er eine ganze. Da sprachen die Teufel ›Wir müssen ihm doch für seine Plinsen auch was zahlen!‹ und sie brachten ihm Geld. Das nahm er aber nicht, sondern bat nur um Schaum aus dem Kessel, und da füllten sie ihm seinen Schnappsack mit Schaum. Darauf machte er sich wieder auf den Rückweg, sammelte an den Thüren seinen Rosenkranz wieder auf und sein Crucifix und ging hinaus. Unterwegs aber kam er an eine grosse Wiese, dort streckte er sich hin, um auszuruhen, legte die Tasche neben sich und schlief ein. Wie er nach einer Weile wieder aufwachte, da sah er die ganze Wiese voll Schafe, und war der Herde kein Ende zu sehn. Und als er jetzt seines Wegs weiter ziehn wollte, liefen alle Schafe mit ihm, und er dachte bei sich ›Wenn all die Schafe mit mir laufen, wie werd ich sie füttern können?‹ Indem kam wieder das alte Männchen auf ihn zu, und es bat ihn, er solle ihm doch die Schafe verkaufen; die Schafe aber waren Menschenseelen. Und das Männchen bot ihm für die Schafe ein Beutelchen, in dem waren nur etliche Groschen, und sagte ›Die Groschen wirst du nie aus dem Beutel alle herausschütten können.‹ Sie tauschten, und der Arme ging weiter. Zu Hause drehte er das Beutelchen um und wollte die Groschen herausfallen lassen, da regnete es einen grossen Haufen Geld. Am nächsten Morgen schickte er sein kleines Mädchen zum reichen Bruder, dass es sich dessen Scheffelmass geben lasse, mit dem wollte er das Geld messen. Er mass es, und wie er den Scheffel wieder zurückschickte, klemmte er ein paar Groschen in die Bandreifen. Und da sah sein Bruder, dass Geld damit gemessen worden war, und er kam und fragte ›Wo hast du das viele Geld gekriegt?‹ ›Ei‹, antwortete der Arme, ›das hab ich in der Hölle für die Plinsen gekriegt.‹ Da befahl der reiche Bruder seiner Frau, sie solle von Weizenmehl eine grosse Masse Plinsen backen, und er sprach ›Er hat nur ein paar Plinsen von Buchweizenmehl hingetragen und so viel Geld gekriegt, da fahr ich Plinsen von Weizenmehl hin und gebe jedem Teufel etliche und dem Lucifer geb ich gleich eine ganze Schüssel voll!‹ Und er lud einen ganzen Wagen voll und fuhr damit nach der Hölle. Unterwegs begegnete auch ihm das alte Männchen. Das fragte ihn ›Wohin fährst du, guter Mann?‹ ›Was geht das dich an, du Schafskopf, wohin ich fahre!› antwortete er. Und das alte Männchen sprach ›So fahr nur zu! fahr nur zu!‹ Er kam zur Hölle, und da gab er allen Teufeln mehrere Weizenplinsen und dem Lucifer gab er eine ganze Schüssel voll. Sprachen jetzt die Teufel ›Wir müssen ihm für seine Plinsen doch auch zahlen!‹ und da packten sie ihn und steckten ihn in einen Kessel, und er ist aus der Hölle nimmer zurückgekommen; schade nur, dass er so viel schöne Plinsen dahin gefahren hat! Seine Pferde aber liefen von allein nach Haus zurück.


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