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Goldtöchterchen - Märchen von Richard von Volkmann-Leander


Goldtöchterchen

Vor dem Tor, gleich an der Wiese, stand ein Haus, darin wohnten zwei Leute, die hatten nur ein einziges Kind, ein ganz kleines Mädchen. Das nannten sie Goldtöchterchen. Es war ein liebes, kregles kleines Ding, flink wie ein Wiesel. Eines Morgens geht die Mutter früh in die Küche, Milch zu holen; da steigt das Ding aus dem Bett und stellt sich im Hemdchen in die Haustüre. Nun war ein wunderherrlicher Sommermorgen, und wie es so in der Haustüre steht, denkt es: Vielleicht regnet's morgen; da ist's besser, du gehst heute spazieren. Wie's so denkt, geht's auch schon; läuft hinters Haus auf die Wiese und von der Wiese bis an den Busch. Wie's an den Busch kommt, wackeln die Haselbüsche ganz ernsthaft mit den Zweigen und rufen:"Nacktfrosch im Hemde, Was willst du in der Fremde? Hat kein' Schuh und hast kein' Hos, Hast ein einzig Strümpfel bloß; Wirst du noch den Strumpf verlier'n, Mußt du dir ein Bein erfrier'n. Geh nur wieder heime; Mach dich auf die Beine!"Aber es hört nicht, sondern läuft in den Busch, und wie es durch den Busch ist, kommt es an den Teich. Da steht die Ente am Ufer mit einer vollen Mandel Junger, alle goldgelb wie die Eidotter, und fängt entsetzlich an zu schnattern; dann läuft sie Goldtöchterchen entgegen, sperrt den Schnabel auf und tut, als wenn sie es fressen wollte. Aber Goldtöcherchen fürchtet sich nicht, geht gerade darauf los und sagt:"Ente du Schnatterlieschen, Halt doch den Schnabel und schweig ein bißchen!" "Ach", sagt die Ente, "du bist's, Goldtöchterchen! Ich hatte dich gar nicht erkannt; nimm's nur nicht übel! Nein, du tust uns nichts. Wie geht es dir denn?Wie geht es denn deinem Herrn Vater und deiner Frau Mutter? Das ist ja recht schön, daß du uns einmal besuchst. Das ist ja eine große Ehre für uns. Da bist du wohl recht früh aufgestanden? Also, du willst dir wohl auch einmal unsern Teich besehen? Eine recht schöne Gegend! Nicht wahr?"Wie sie ausgeschnattert hat, fragt Goldtöchterchen: "Sag einmal, Ente, wo hast du denn die vielen kleinen Kanarienvögel her?""Kanarienvögel?" wiederholt die Ente, "ich bitte dich, es sind ja bloß meine Jungen.""Aber sie singen ja so fein und haben keine Federn, sondern bloß Haare! Was bekommen denn deine kleinen Kanarienvögel zu essen?""Die trinken klares Wasser und essen feinen Sand.""Davon können sie ja aber unmöglich wachsen.""Doch, doch", sagt die Ente; "der liebe Gott segnet's ihnen; und dann ist auch zuweilen im Sand ein Würzelchen und im Wasser ein Wurm oder eine Schnecke.""Habt ihr denn keine Brücke?" fragt dann weiter Goldtöchterchen."Nein", sagt die Ente, "eine Brücke haben wir nun allerdings leider nicht. Wenn du aber über den Teich willst, will ich dich gern hinüberfahren."Darauf geht die Ente ins Wasser, bricht ein großes Wasserrosenblatt ab, setzt Goldtöchterchen darauf, nimmt den langen Stengel in den Schnabel und fährt Goldtöchterchen hinüber. Und die kleinen Entchen schwimmen munter nebenher."Schönen Dank, Ente!" sagte Goldtöchterchen, als es drüben angekommen ist."Keine Ursache", sagt die Ente. "Wenn du mich mal wieder brauchst, steh ich gern zu Diensten. Empfiehl mich deinen Eltern. Schön adje!"Auf der anderen Seite des Teiches ist wieder eine große grüne Wiese, auf der geht Gold-töchterchen weiter spazieren. Nicht lange, so sieht es einen Storch, auf den läuft's gerade zu: "Guten Morgen, Storch", sagt's; "was ißt du denn, was so grünscheckig aussieht und dabei quakt?""Zappelsalat", antwortet der Storch, "Zappelsalat, Goldtöchterchen!""Gib mir auch was, ich bin hungrig!""Zappelsalat ist nichts für dich", sagt der Storch; geht an den Bach, taucht mit seinem langen Schnabel tief unter und holt erst einen goldenen Becher mit Milch und dann eine Wecke heraus. Darauf hebt er den rechten Flügel und läßt eine Zuckertüte herunterfallen. Goldtöchterchen läßt sich's nicht zweimal sagen, sondern setzt sich hin und ißt und trinkt. Wie's satt ist, sagt's:"Ein'n schönen Dank, Und gute Gesundheit dein Leben lang!" Darauf läuft's weiter.


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