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Die Zwillingsbrüder - Märchen von Svend Grundtvig: Dänische Volksmärchen


Die Zwillingsbrüder

Draußen am offenen Meeresstrand lag ein kleines Anwesen, in dem ein paar einzelne Leute wohnten. Sie waren schon bei Jahren und hatten keine Kinder. Es ging ihnen nicht besonders gut; die Erde war mager und trug nur wenig Frucht, sie waren daher hauptsächlich auf den Ertrag der Fischerei angewiesen und der Mann pflegte immer dazu auszufahren, wenn das Wetter zum Fischen günstig war. Aber da geschah es, daß einmal ein ganzes Jahr kein einziger Tag dazu günstig war. Es war beständig Sturm und Landwind, so daß kein Mensch ins Meer hinaus und fischen konnte, bis zum Pfingstmorgen, an dem sich endlich der Wind drehte und das Wetter so umschlug, daß es ein rechtes Fischwetter war.

Da wollte der Mann auch aufs Meer hinaus. Die Frau stimmte aber nicht dafür und sagte, es bringe kein Glück an einem so hohen Feiertag zu fischen oder sonst etwas zu arbeiten. Aber der Mann erwiderte ihr, daß es ihnen so knapp ginge, daß man die günstigste Gelegenheit beim Schopf fassen müsse, wenn sie sich darböte; es sei nun das ganze Jahr hindurch kein solches Fischwetter gewesen wie heute. Und er ruderte hinaus mit Netz, mit Ruthe und mit Angel.

Aber wie er auch fischte und wie immer er sich an stellen mochte, er konnte rein gar nichts fangen, bis endlich hoch am Tage, da zog er einen einzigen Fisch heraus, aber das war ein so ungewöhnlicher, großer und häßlicher, wie er früher noch nie einen ähnlichen gesehen hatte. Er wußte nicht, was er mit dem anfangen sollte, deshalb warf er ihn wieder ins Meer zurück. Er fischte wieder weiter und konnte vor einer Stunde abermals nichts fangen und da zog er den häßlichen Fisch zum zweitenmal heraus, aber auch jetzt warf er ihn eiligst ins Meer zurück. Er fischte weiter und fing wieder nichts, bis er endlich zum drittenmal den ungewöhnlichen, großen und häßlichen Fisch herauszog. Im Boot löste er ihn von der Angelschnur, um ihn wieder zurück zu werfen und wollte es dann für diesmal mit der Fischerei gut sein lassen. Seine Frau hatte also wohl damit recht gehabt, daß man an einem so hochheiligen Tag mit der Arbeit kein Glück haben könne.

Aber da begann der Fisch noch im selben Augenblick zu reden und sagte: »Du darfst mich nicht so sehr mißachten, denn ich bin besser als du glaubst; nimm mich nur mit nach Hause, du kannst viel aus mir herausschlagen!« – »Wie so denn?« fragte der Mann. »Ja, gieb nur wohl acht,« sagte der Fisch. »Wenn du nach Hause kommst, mußt du mich aufschneiden. Alle Eingeweide nimmst du und wirfst sie auf den Misthaufen. Darauf schabe meine Schuppen ab und gieb genau Obacht darauf, daß keine verloren geht. Dann schneide mir den Kopf ab und begrabe ihn unter einem Rinnstein bei deinem Hause. Das Rückenstück mußt du kochen und deiner Frau zu essen geben, du selbst aber darfst nichts davon anrühren und neun Monate darauf wirst du von ihr zwei Söhne bekommen.

Was von meinem Körper noch übrig bleibt, mußt du so lange aufheben, bis deine Knaben sieben Jahre alt sind, dann schneidest du ihn in drei Theile und giebst das Bauchstück deiner jungen Stute, die noch kein Füllen gehabt hat, das Nabelstück der jungen Hündin und den Schwanz lege auf den hohen Baum bei deinem Hause, indem sich ein Sperbernest befindet. Dann wird deine Stute zwei Füllen, deine Hündin zwei Hündchen und der Sperber zwei Junge bekommen, die du alle behalten, zu dir nehmen und aufziehen mußt.

Wenn dann deine Knaben fünfzehn Jahre alt sind, grabe unter dem Rinnstein nach, wo du meinen Kopf hingelegt hast und du wirst finden, daß aus meinen Kieferbeinen zwei Schwerter und aus den Ohrenbeinen zwei Messer geworden sind. Ein Schwert und ein Messer mußt du dann jedem deiner Söhne geben und ebenso jedem ein Pferd, einen Hund und einen Sperber, die du ja paarweise aufgezogen hast und die Schuppen, die du aufheben mußtest, sind bis dahin zu Goldgeld geworden, das du deinen Söhnen zu gleichen Theilen geben sollst. So sind sie dann gut ausgerüstet: denn die Thiere werden ihnen von großem Nutzen sein; die Schwerter haben die Eigenschaft, daß alles fallen muß, was mit ihnen gehauen wird und an den Messern wird man immer sehen können, ob dem Eigenthümer ein Unglück oder eine Lebensgefahr drohe, weil sie dann rostig werden, während sie sonst immer blank sein müssen.

Du selbst sollst von diesem Tag an keinen Mangel und keine Noth mehr leiden und auch nicht mehr nöthig haben, auf den Fischfang auszufahren, weil deine Erde so viel Früchte tragen wird, daß du ein wohlhabender Mann davon werden kannst und die Mittel haben wirst, zuerst die Knaben und dann die Thiere auf das beste und sorgfältigste zu erziehen. Merke dir nur alles recht gut, was ich dir gesagt habe und befolge es in jeder Weise ganz genau! Sonst würde es dir schrecklich schlecht gehen!«

Weiter sprach der Fisch nichts und war zu gleicher Zeit auch schon todt. Aber der Mann beeilte sich, mit seinem Boote heimwärts zu fahren und sobald er ans Land gekommen war, ging er in sein Haus und machte alles bis ins kleinste genau so, wie es der Fisch gesagt hatte. Er schnitt ihn auf, warf die Eingeweide auf seinen Misthaufen, schabte alle Schuppen von ihm ab und hob sie auf, schnitt ihm den Kopf ab und grub ihn unter dem Rinnstein ein und kochte das Rückenstück und gab es seiner Frau zu essen. Was von dem Fisch noch übrig blieb, legte er in Salz und hob es auf.

Neun Monate darauf gebar die Frau zwei Knaben; diese wuchsen schnell und gediehen so vortrefflich, daß sie die raschesten und stärksten, flinksten und hübschesten Buben waren, die man nur sehen konnte; ihre Haare glänzten wie lichtes Gold und sie waren einander so ähnlich wie zwei Wassertropfen. Sie waren allezeit beisammen, wenn sie lernten und wenn sie spielten und liebten sich gegenseitig so sehr, daß sie nie auch nur den geringsten Streit mit einander hatten und daß ihre Eltern, welche wirklich nachderhand recht wohlhabende Leute geworden waren, nichts andres als Freude an ihnen erlebten.

Als die Knaben sieben Jahre alt waren, erinnerte sich der Mann wieder, was der Fisch befohlen; er nahm das Hintertheil desselben, was er aufgehoben hatte, und zerschnitt es in drei Stücke. Das Bauchstück gab er seiner jungen, schwarzen Stute, das Nabelstück seiner jungen, gelben Hündin und das Schwanzstück hängte er auf den großen Baum vor dem Hofe, in dem sich ein Sperbernest befand; und die Sperbermutter kam auch sogleich darnach heruntergeflogen und trug den Fischschwanz ins Nest hinauf. Die junge, schwarze Stute warf zur rechten Zeit zwei wunderschöne schwarze Hengstfüllen und die große gelbe Hündin bekam zwei hübsche junge Hunde und zwar Männchen, und bald befanden sich auch zwei junge Sperber im Nest oben, welche der Mann fing, zähmte und abrichtete, weil man in alten Zeiten abgerichtete Sperber zur Vogeljagd gebrauchte. Und die beiden Füllen, die beiden Hündchen und die zwei jungen Sperber glichen sich paarweise so einander, daß man keins vom andern unterscheiden konnte.

Als die beiden Knaben ihr fünfzehntes Jahr erreicht hatten, ging der Mann hinaus und grub unter dem Rinnstein nach und fand darunter richtig zwei blanke Schwerter und zwei scharfe Messer. Und als er bei den Schuppen, welche er aufgehoben hatte, nachsah, war lauter funkelndes Goldgeld daraus geworden. Dies vertheilte der Mann in zwei gleichen Theilen zwischen die Brüder und gab ihnen jedem ein Schwert und ein Messer und erklärte ihnen zugleich, welche guten Eigenschaften diese Waffen hatten. Weiter gab er jedem ein Pferd, einen Hund und einen Sperber; diese Thiere glichen ebenso eins dem andern, wie die beiden Knaben selbst. Zaum, Sattel und gute Kleider gab er ebenfalls jedem von gleicher Art und sagte, daß sie nun mündig und ihre eigenen Herren sein müßten und thun könnten, was sie wollten; entweder zu Hause bleiben oder in die Welt hinaus ziehen, um ihr Glück zu versuchen.

Und beide wollten in die weite Welt hinaus ziehen und zwar sogleich. Beide brannten vor Begierde, hinauszukommen, sich draußen umzuschauen und ihren Muth und ihre Männlichkeit zu erproben. Da sagten sie »Lebewohl« zu Vater und Mutter, gürteten die Schwerter um die Lenden und steckten das Messer in den Gürtel. Jeder setzte sich dann auf sein Pferd; das lange Haar fiel über die Schultern und glänzte wie lauteres Gold. Jeder hatte seinen Sperber auf dem Arm sitzen, ihre großen gelben Hunde sprangen vor ihnen her und so ritten sie zusammen in die weite Welt hinaus.

Einige Tage zogen sie miteinander und wo sie vorbei kamen, mußte alles stehen bleiben und die zwei jungen Ritter und ihre Thiere betrachten, weil sie so hübsch waren und einander so ähnlich sahen und besonders das letztere war es, was überall die Neugierde der Leute erweckte. Dies wurde den beiden Jünglingen auf die Dauer langweilig; aber am langweiligsten und unangenehmsten war ihnen das, daß ihnen nichts in den Weg kam, woran sie ihren Muth und ihre Kraft hätten beweisen können. Als sie daher im Walde an eine Stelle kamen, an der sich der Weg theilte, kamen sie miteinander überein, nicht mehr beständig zusammen zu reiten, sondern einzeln ihrer Wege zu ziehen. Bevor sie sich jedoch trennten, zogen sie ihre Messer heraus und steckten sie in einen Lindenbaum, der gerade hier stand und verabredeten miteinander, daß sie jedes Jahr zu diesem Baum kommen wollten, um nachzusehen ob, keines derselben rostig geworden sei, damit der eine wissen könnte, ob der andere in Gefahr wäre. Dann sagten sie einander zärtlichst »Lebewohl«, und derjenige von den Zwillingen, der zuerst zur Welt gekommen und also der ältere war, sagte: »Ich reite jetzt zur Rechten und du zur Linken.« Und so ritt jeder seinen eigenen Weg weiter und die Thiere kannten ihre Herren und jedes blieb bei dem seinigen.

Folgen wir nun dem älteren Bruder. Er ritt von einer Stadt zur andern und zog von Land zu Land, bis er eines Abends spät in eine Königsstadt kam und dort in eine Herberge ging. Diese lag dem königlichen Schloß gerade gegenüber und als der junge Ritter am andern Morgen aufstand und zum Fenster hinausblickte, sah er das Schloß und auch das, daß es von oben bis unten ganz schwarz verhängt war. Da rief er den Wirth und fragte, was dies bedeuten solle. »Ach Herr!« antwortete da der Wirth, »Ihr müßt aus weiter Fremde kommen, daß ihr nichts von der großen Trauer wißt, die hier wegen des Königs einziger Tochter herrscht. Der König mußte nämlich die liebliche, sechszehnjährige Prinzessin einem greulichen Seeungeheuer versprechen, welches sonst das ganze Land verheert und verwüstet hätte. Und heute ist gerade der Tag, an dem er sie bekommen soll. In einer Stunde fährt man mit ihr zum Strand hinaus und deshalb ist sowohl das Schloß als die ganze Stadt schwarz verhängt und alle Leute trauern und weinen um die liebliche junge Prinzessin. Der König versprach auch, derjenige, der sie vor dem Ungeheuer retten könne, solle sie zur Frau bekommen und nach seinem Tode das ganze Reich erben, denn er hatte keine andern Kinder als die Prinzessin. Es ist auch ein Hofmann, welcher Ritter Roth heißt, da, der allerdings gesagt hat, daß er sie entweder retten oder sein Leben für sie lassen wolle. Aber es ist kein Mensch da, der auf diesen Ritter vertrauen möchte. Und so wird das Seeungeheuer die Prinzessin doch bekommen müssen und behalten dürfen.«

Es währte auch nur eine Stunde, da fuhr ein geschlossener Wagen zur Schloßpforte heraus, der ganz schwarz überzogen war und von sechs schwarzen Pferden gezogen wurde und der Kutscher, sowie alle Diener waren schwarz gekleidet. Der Wagen fuhr dem Strande zu und in demselben saß die Prinzessin schneeweiß gekleidet; und an der Seite des Wagens ritt der Ritter Roth in Panzer und Harnisch, mit Helm und Schild und Schwert und Spieß. Und überall, wo der Wagen vorbeifuhr, standen die Leute auf den Gassen und weinten und jammerten, denn niemand glaubte, daß Ritter Roth der armen Prinzessin würde helfen können.

Man fuhr mit ihr zur Stadt hinaus durch einen großen Wald und hinunter zum Ufer am Waldesabhang, denn das war die Stelle, welche das Ungeheuer bestimmte. Und sobald die Diener die Prinzessin hier aus dem Wagen herausgehoben hatten, hieb der Kutscher in die Pferde und fuhr mit den Dienern allen davon, was nur das Zeug halten konnte. Sie fürchteten sich alle schrecklich davor, daß das Seeungeheuer hinter ihnen drein kommen möchte. Und sobald sie fort waren, beeilte sich auch der Ritter Roth, der so furchtsam wie ein Hase war, aus der Nähe der Prinzessin zu kommen und ritt schleunigst in den Wald hinein. Dort band er sein Pferd an einen Baum, auf den er dann selbst hinaufkletterte um zu sehen, wie das Seeungeheuer kommen und die Prinzessin nehmen werde. Denn er dachte sich, wenn das Ungeheuer die Prinzessin genommen habe, könne er zurück reiten und erzählen, wie männlich er für sie gekämpft und gestritten habe; es war ja niemand da, der Zeuge gewesen wäre und ihn hätte widerlegen können. Und für seinen guten Willen und den bewiesenen Mannesmuth mußte er natürlicherweise in der Gunst des Volkes und des Königs steigen, so daß er nach dessen Tod die meiste Aussicht hätte, der Erbe seines Reiches zu werden.

Der junge Ritter sah von seinem Fenster aus die Ausfahrt der Prinzessin. Und kurze Zeit darauf setzte er sich auf seinen schwarzen Hengst und ritt hinaus mit seinem Sperber, seinem Hund und seinem guten Schwert. Er nahm zwar einen andern Weg aus der Stadt, kam aber auf seinem Umweg bald zu der Straße hin, die zum Strande hinunter führte. Nun gings in sausendem Galopp und bald näherte er sich der Prinzessin, die allein unter dem grünen Abhang saß und auf das Kommen des Seeungeheuers wartete. Er sprang vom Pferd, ging hin und grüßte sie und that, als ob er gar nicht wüßte, warum sie hier sei und fragte sie, warum sie so dasitze und weine und so betrübt sei. Sie erzählte ihm alles im Zusammenhange und fügte zum Schlusse noch bei: »Und Ritter Roth, der versprochen hatte, mich zu retten, wenn er könnte, hat sich ebenfalls aus dem Staube gemacht und – und – da kommt das Ungeheuer schon!« schrie sie und fiel bei diesen Worten in Ohnmacht.

Im selben Augenblick hörte man ein Sausen und Brausen vom Meere her kommen und eine ungeheuer große dunkle Woge wälzte sich weiß schäumend gegen das Land und in derselben befand sich das Seeungeheuer, es hatte nicht weniger als neun Köpfe und die brüllten alle zu gleicher Zeit: »Wer ist da bei meiner Liebsten?« – »Sie ist mein und nicht dein!« antwortete der junge Ritter und saß im selben Moment auch schon im Sattel. »Da wollen wir laufen und raufen drum!« brüllte das Ungeheuer. »Ja, da wollen wir reiten und streiten drum!« antwortete der Ritter. Er zog sein Schwert und rief: »Steht mir bei in dieser Stund', Sperber, Pferd und du, mein Hund!« und stürzte sich mit diesen auf das Ungeheuer. Der Sperber hackte ihm in die Augen, der Hund biß ihn in den Hals und das Pferd biß und schlug um sich, so sehr es nur konnte, während der Ritter auf drei Hiebe dem Ungeheuer drei Köpfe vom Rumpfe trennte, die der Hund ans Land trug.

»Warte bis morgen! ich muß ein wenig nach Hause, um neue Kräfte zu sammeln!« heulte das Ungeheuer und fuhr mit seinen sechs Köpfen wieder in die Tiefe hinunter und der Schaum der Wellen färbte sich roth, so heftig blutete es. Aber der Jüngling riß den drei abgehauenen Köpfen die Mäuler auf und schnitt die Zungen heraus, hüllte diese in das Taschentuch der Prinzessin und nahm sie mit sich. Darauf trocknete er sein Schwert im Grase, setzte sich auf sein gutes Roß und ritt mit Hund und Sperber denselben Weg, den er gekommen war, wieder zurück und zu einem andern Stadtthore hinein, als demjenigen, das nach dem Meeresufer führte und vor dem alles Volk versammelt war. Und so kam er ungesehen in seine Herberge zurück.

So lange der Kampf währte, lag die Prinzessin in Ohnmacht und Ritter Roth saß oben auf dem Baume und zitterte und bebte. Er sah wohl das Ungeheuer kommen, doch den Platz, an dem der Kampf stattfand, konnte er nicht sehen; er hörte nur das Sausen und Brausen, das Wiehern und Brüllen, das Heulen und Tosen und Schreien und Rufen. Er hörte auch des Ungeheuers Abschiedsworte wegen der Fortsetzung des Kampfes zur gleichen Zeit des nächsten Tages. Dann sah er, wie das Seeungeheuer sich ins Meer zurückstürzte und blutend in die Tiefe fuhr, daß sich der Schaum der Wellen hinter ihm roth färbte. Da stieg er eilig vom Baume herunter und ging zur Prinzessin, bespritzte sie mit Wasser, bis er es dahin brachte, daß sie wieder zu sich kam. Dann sagte er zu ihr, daß er mit dem Ungeheuer gekämpft und ihm die drei Köpfe abgehauen habe. Die Prinzessin sagte aber »Nein«, so sei es nicht gewesen, es wäre kurz zuvor ein anderer Ritter zu ihr gekommen und der war nach ihrer festen Ueberzeugung derjenige, der mit dem Ungeheuer gekämpft hatte. Aber da sagte der Ritter Roth darauf, wenn sie ihm nicht versprechen und beschwören wolle, daß sie alles, was er sagte, bestätigen werde, so wolle er sie sogleich umbringen. Da blieb ihr denn nichts anderes übrig als zu versprechen, was er von ihr verlangte.

Und er setzte sie dann vor sich auf sein Roß und band diesem einen Kopf des Ungeheuers an den Schweif und zwei an die Mähne und so ritt er in die Stadt und in die Gassen und alles Volk war wie verrückt vor Freude und jubelte und rief ihm und der Prinzessin Hurrah's entgegen und folgte ihm bis zum Schlosse, aus dem der König herauskam und ihnen entgegenschritt. Und da erzählte der Ritter Roth ein Langes und ein Breites davon, wie er mit dem Ungeheuer gekämpft und ihm die Köpfe abgehauen habe. Aber das Ungeheuer käme morgen wieder und deswegen müsse die Prinzessin noch einmal zum Strande hinaus. Aber er wolle ihr dann schon das Leben sicher retten. Die Prinzessin sprach nichts dagegen und sagte nur, was wirklich wahr war, daß sie in Ohnmacht gelegen habe, so lange der Streit währte. Von einem andern Ritter aber sagte sie nichts, denn das durfte sie nicht, des Eides wegen, den sie ablegen mußte.

Ritter Roth dachte sich im stillen, daß der verwegene Kämpe, wer es nun auch sein mochte, wohl auch morgen sein Leben aufs Spiel setzen könne. Gelingt es ihm dann, das Ungeheuer ganz umzubringen, um so besser: denn dann war dem Ritter Roth die Prinzessin und das Königreich sicher. Sollte aber das Seeungeheuer den Sieg davontragen und die Prinzessin fortschleppen, so hatte er doch immerhin wegen seiner bewiesenen Tapferkeit die schönste Aussicht auf den Thron. – Vor allem aber müsse man sein eigenes Leben hüten und beschützen, meinte er.

Am nächsten Vormittag mußte die Prinzessin wieder zum Strande hinausgefahren werden; aber jetzt hofften alle schon das Beste für sie und vertrauten auf den Ritter Roth, welcher sich gestern so brav gehalten hatte. Und an diesem Tag fuhr man sie in einem Silberwagen mit sechs Grauschimmeln bespannt hinaus und der Kutscher und alle Diener waren grau gekleidet. Sie selbst hatte, wie am vorigen Tag, ein schneeweißes Kleid an. Und an der Seite des Wagens ritt ebenso Ritter Roth in Harnisch und Panzer, Helm und Schild und Schwert und Spieß. Und alle Bewohner der Stadt waren auf den Gassen; aber sie weinten und jammerten nicht mehr, sondern riefen für die Prinzessin Hoch und Hoch für den Ritter Roth, dem sie viel Glück auf den Weg wünschten.

Als der Zug wieder am gestrigen Platz angelangt war, fuhr der Wagen abermals fort, aber es wurde bestimmt, daß er in der Nähe im Innern des Waldes warten solle. Da aber der Kutscher und die Diener sich noch immer schrecklich fürchteten, fuhren sie gleich bis zum andern Waldende. Und sobald sie fort waren, machte sich auch Ritter Roth aus dem Staube: – um sich in den Hinterhalt zu legen – wie er sagte. Er beeilte sich, zu seinem Schlupfwinkel zu kommen, wo er sein Pferd anband und auf den Baum hinaufkletterte.

Als der junge Ritter die Prinzessin hinaus fahren gesehen hatte, schwang er sich aufs Pferd und war im Nu auf demselben Weg, den er gestern genommen, am Strande unter dem Waldabhang angelangt und fand da die Prinzessin wieder allein sitzend. Er sprang vom Pferd, ging zu ihr hin und sprach mit ihr. Als sie ihn erblickte, wurde sie ungemein froh und war nun vollständig überzeugt, daß nur er und nicht der Ritter Roth es gewesen sein könnte, welcher gestern mit dem Seeungeheuer gekämpft hatte. Sie schämte sich in ihr Herz hinein, daß sie sich von dem Ritter Roth zwingen ließ, diesen Jüngling und seine Heldenthat zu verschweigen und zu verleugnen. Nur das konnte sie nicht begreifen, warum er sie im Stich und in Ritter Roth's Gewalt gelassen habe.

Sie konnten nicht viel mit einander sprechen, als sie schon wieder wie gestern das Sausen und Brausen vernahmen, während sich eine große, dunkle Woge mit weißem Schaume gegen das Land wälzte, aus der man ein rasendes Gebrüll aus vielen Kehlen hörte: »Wer ist bei meiner Liebsten?« Es war das Seeungeheuer, das wieder gut zu Kräften gekommen war seit gestern, denn es waren ihm drei neue Köpfe für die tags zuvor verlorenen gewachsen. Aber der Jüngling antwortete unverzagt: »Sie ist mein und nicht dein,« und saß im selben Augenblick auch schon im Sattel. »Da wollen wir laufen und raufen drum!« brüllte das Ungeheuer. »Ja, da wollen wir reiten und streiten drum,« antwortete der Ritter und hatte dabei schon sein Schwert aus der Scheide gezogen. »Steht mir bei in dieser Stund', Sperber, Pferd und du, mein Hund!« rief er und drang auf das Ungeheuer ein und traf mit diesem gerade hart an der Grenze des Wassers und des Landes zusammen. Und nun ging es allen Ernstes los; der Sperber hackte, der Hund biß und der Ritter schlug dem Ungeheuer Hieb auf Hieb sechs Köpfe ab, die weit ins Meer hineinflogen und die der Hund alle ans Land schleppte.

Da hatte das Ungeheuer genug für heute, aber es wollte sich doch noch nicht für verloren geben. »Ja – warte nur bis morgen! Ich muß heim, um neue Kräfte zu sammeln!« heulte es und fuhr wieder in die Tiefe hinunter und blutrother Schaum stand dann auf den Wellen hinter ihm.

Der Jüngling schnitt den sechs Köpfen die Zungen heraus und legte sie zu den dreien, die er schon in dem Taschentuch der Prinzessin aufbewahrt hatte, dann trocknete er sein Schwert im Grase ab, pfiff seinem Sperber und seinem Hund und wandte sich dem Pferd zu. Aber heute war die Prinzessin nicht in Ohnmacht gefallen, sondern hatte ihre Augen gut offen gehalten und dem furchtbaren Kampf vom Anfang bis zum Ende zugesehen und ehe der Ritter wieder aufs Pferd kommen konnte, war sie bei ihm, fiel ihm um den Hals und küßte ihn und dankte ihm mit Thränen in den hübschen Augen. Der Jüngling küßte sie wieder; dann aber sprang er auf sein Pferd, winkte ihr mit der Hand noch ein »Lebewohl« zu und war ihr bald mit Hund und Sperber aus dem Gesichtskreis verschwunden und ebenso, wie am vorhergehenden Tag, kam er ungesehen in seine Herberge zurück.

Als Ritter Roth gesehen, daß sich das Ungeheuer mit der Drohung, am nächsten Tag wieder zu kommen, zurück in die Tiefe geflüchtet hatte, kletterte er von dem Baum herunter und kam aus seinem Versteck hervor. Er ging gleich zur Prinzessin hin, setzte ihr das Messer an die Brust und fragte: »Willst du alles von mir verschweigen und nur meine Worte bestätigen oder willst du noch in dieser Stunde dein Leben lassen?« Da blieb ihr ja nichts andres übrig, als ihm zu versprechen, zu thun, was er verlange. Aber sie baute auch fest darauf, daß der junge Ritter morgen schon wieder kommen und dann die Wahrheit endlich doch noch an den Tag bringen würde. Dann sammelte Ritter Roth die abgehauenen Köpfe zusammen und ritt geschwinde durch den Wald und holte den silbernen Wagen, in welchen die Prinzessin gesetzt wurde; darauf hielten sie ihren Einzug in der Stadt.

Die sechs Köpfe wurden alle am Bock des Wagens befestigt, drei auf jeder Seite und Ritter Roth ritt voran in Panzer und Harnisch und blähte sich auf und brüstete sich aufs beste, während ihm Schaaren von Volk zum Schlosse folgten, wo ihm der König entgegenkam, sowohl seine Tochter als den Ritter küßte und vor Freuden weinte. Er bekam allerdings zu hören, daß man noch ein drittesmal hinausziehen müsse. Nachdem sich aber Ritter Roth schon die zwei Tage so tüchtig gehalten, ohne daß man an ihm Spuren des Kampfes oder Sieges bemerken konnte, außer daß er seine Nase jetzt noch höher trug, als er es früher gethan hatte, so zweifelte weder der König noch irgend ein anderer Mensch daran, daß es ihm auch beim dritten- und letztenmal gelingen werde, die Prinzessin zu retten und dann ihr Bräutigam und des Reiches Erbe zu werden. Die ganze schwarze Umhüllung des Schlosses und der übrigen Häuser in der Stadt wurde am selben Abend noch heruntergerissen und überall war Jubel, Fest und Freude, im Schlosse sowohl als auch in der ganzen Stadt.

Am nächsten Vormittag fuhr die Prinzessin wieder aus der Stadt hinaus. Aber jetzt war es kein Trauerzug mehr, es glich vielmehr einem Siegeszug. Sie fuhr in einem goldenen Wagen mit sechs scharlachbedeckten Pferden bespannt; und Vorreiter waren auch da, die ebenso wie die Kutscher und Diener in rothe Scharlachlivree mit goldenen Tressen vorn und hinten gekleidet waren. Die Prinzessin war aber wieder weiß, wie an den vorigen Tagen. Sie wollte keine andere Farbe. Und das Volk jubelte und rief Hoch für die Prinzessin und Hoch für den Ritter Roth, dem es viel Glück auf den Weg wünschte.

Es ging nun alles wieder gerade so wie gestern; nachdem sie die Prinzessin an dem bewußten Platze am Strande aussteigen ließen, fuhr der Kutscher mit Dienern und Vorreitern wieder davon, ein gutes Stück in den Wald hinein, aber doch nicht so weit vom Strande weg, als tags zuvor. Ritter Roth blieb bei seiner Politik: – er wußte wohl, daß er der Prinzessin jetzt keinen Bären mehr aufbinden konnte, er sagte blos, daß er gut auf sie aufpassen wolle und das that er auch auf seine Weise, denn er beeilte sich in sein altes Versteck und auf den Baum hinaufzukommen.

»Sollte es nun heute wieder gut gehen,« sagte der Ritter Roth zu sich selbst, »und der fremde Kämpe auch zum drittenmal den Sieg davontragen, so sage ich doch, daß er erst dazugekommen sei, nachdem ich das Ungeheuer schon erschlagen hatte. Und das wird mir sowohl der König als alle andern glauben. Und sollte auch die Prinzessin sagen wollen, daß er und nicht ich es gewesen sei, welcher an allen drei Tagen gekämpft und gesiegt habe, so können ihre Worte bei niemandem Glauben finden, denn dann hätte sie ja die beiden vorhergehenden Tage gelogen, als sie meine Worte, daß ich es gewesen sei, der das Ungeheuer überwältigt, bestätigte. Man würde ihre heutige Aussage dadurch erklären, daß sie in den Fremden entweder verliebt oder von ihm verhext sein müsse, weil sie ihn so hintenher zu Ehren bringen wolle. – Daraufhin wird der fremde Ritter wohl gehenkt oder verbrannt werden. – Wenn aber das Ungeheuer und der Ritter sich heute gegenseitig umbringen und die Prinzessin dabei gerettet wird, so ist mir der ganze Lohn für ihre Rettung gewiß. Und sollte das Ungeheuer den Fremden überwinden und die Prinzessin davonschleppen, so bin ich doch der einzige, der etwas davon erzählen kann, also bin ich auch der einzige mögliche Erbe des Reiches!«

Während Ritter Roth so zu sich sprach, war der fremde Jüngling auf dem gleichen Umweg wie sonst zur Prinzessin mit Sperber und Hund geritten gekommen. Aber heute konnte er ein wenig später daran, als sonst, oder es hatte sich das Ungeheuer mehr beeilt; denn im selben Augenblick, als er zum Strande, wo die Prinzessin unter dem Abhang saß, kam – die gleich aufgestanden war und ihm mit ihrem Schleier entgegenwinkte – wälzte sich auch schon die dunkle Woge sausend und brausend aus der Tiefe ans Land und mit ihr auch das Ungeheuer, das heute rasender als jemals war. Und es war gut zu Kräften gekommen, denn es hatte alle seine neun Köpfe wieder auf dem Rumpfe. Aber der Ritter stürzte darauf los und am Uferrand trafen sie zusammen; der Kampf war ein furchtbar hartnäckiger und dauerte schrecklich lange, aber das Ende vom Lied war, daß unter des Ritters wuchtigen Schwertstreichen alle neun Köpfe fallen mußten. Nun war das Unthier todt und konnte sich nicht mehr flüchten; sein Körper blieb zur Speise für die Fische des Meeres, des Himmels Vögel und die wilden Thiere des Waldes am Uferrande liegen.

Sobald der Kampf zu Ende und der Sieg errungen war, kam die Prinzessin eiligst zu ihrem Retter hin gesprungen. Er war aber von der Anstrengung ganz müde und ermattet und sie führte ihn zu dem grünen Abhang hin und sein Kopf sank auf ihren Schoß und er fiel in einen tiefen Schlummer. Sein schwarzer Hengst ging ruhig auf der Wiese herum und graste, sein Sperber flog auf einen Baumgipfel hinauf, steckte den Kopf unter seine Flügel und schlief ebenfalls ein. Sein großer gelber Hund aber lief in den Wald hinein und legte sich gerade unter den Baum, auf den Ritter Roth geklettert war, in das weiche Moos.

Ritter Roth hatte zwar das Ungeheuer gesehen, wie es sausend und brausend daherkam, aber diejenige Stelle des Strandes, an der die Prinzessin saß, konnte er ja nicht sehen. Er hörte nur den entsetzlichen Lärm, das Brüllen und Wiehern, das Heulen und Tosen, das Zischen und Kreischen, denn es war ein schauderhaftes Gekreische, das das Ungeheuer jedesmal von sich gab, so oft ihm ein Kopf abgeschlagen wurde. Zuletzt wurde es ganz stille; aber er sah das Ungeheuer nicht wieder in die Tiefe zurückfahren. Darum saß er zitternd und bebend auf seinem Aste, denn es konnte ja leicht möglich sein, daß das Ungeheuer den Ritter überwunden und nun gerade damit beschäftigt wäre, die Prinzessin aufzufressen. Und ebenso leicht konnte es dem Ungeheuer dann in den Sinn kommen, in den Wald hereinzukommen, um sich ihn zu holen. Er dachte just daran, sich leise vom Baume gleiten zu lassen und zu sehen, daß er sich heimlich fortschleichen könnte, da hörte er ein Brechen und Knistern in den Gebüschen und er glaubte schon, daß jetzt sein letztes Stündlein geschlagen habe, und er war nahe daran, gerade aus in die Luft hinaus zu schreien vor Angst, aber er ließ es doch lieber bleiben, duckte sich so klein zusammen als nur möglich und hielt den Athem an, während ihm kalter Schweiß aus allen Poren drang. Da sah er, was es war, das im Walde knisterte und knackte: – es war nicht das Ungeheuer, sondern ein großer, gelber Hund, der sich einen Weg durchs Gebüsche brach und gerade auf den Baum zukam und sich unter demselben niederlegte, auf dem der arme Ritter saß und zitterte. »Aha!« dachte er sich, »das ist einer von den Meerhunden des Ungeheuers! – aber er hat mich doch noch nicht entdeckt!« Und er hielt sich jetzt mäuschenstille und schwitzte vor lauter Angst.

Inzwischen lag der junge Ritter schlafend und ließ sein Haupt auf dem Schoße der Prinzessin ruhen und sie konnte es nicht übers Herz bringen, ihn zu wecken, denn nach solch' einem harten Strauß konnte er wohl der Ruhe bedürfen. Aber sie nahm einen Goldring vom Finger und flocht ihm diesen in sein goldenes Haar und blieb dabei ruhig sitzen, während sie ihre Blicke auf dem schönen, jungen Manne ruhen ließ, bis er erwachte. Sie glaubte aber nichts anderes, als daß der junge Ritter sie jetzt heim ins Schloß führen und den Ritter Roth mit all' seinen Siegen zu Schanden machen werde. Aber sobald er die Augen aufschlug, sagte er sogleich zu ihr, daß er das nicht könnte. Er müsse auf der Stelle fort, um seinen Bruder aufzusuchen, denn es war gerade ein Jahr vorüber, seit sie sich trennten. Sie solle aber seine Braut sein und ein Jahr lang auf ihn warten, dann würde er wieder zurückkommen und alles aufklären.

Darauf schnitt er allen neun Köpfen die Zungen heraus und hob sie mit den andern neun, die er schon hatte, auf; er pfiff seinem Sperber und seinem Hund, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon.

Als der Hund fort und rings umher alles stille war, trocknete sich Ritter Roth den Schweiß von der Stirne und wagte endlich vom Baume herunterzuklettern und sich durch den Wald zu schleichen, bis er vom Abhang aus den Strand überschauen konnte. Da lag nun das Seeungeheuer auf dem Bauche, den Körper am Lande und die Füße im Wasser und alle seine neun Köpfe lagen am Ufer zerstreut um ihn her. Dann fiel ihm auch die Prinzessin in die Augen, sie war so frisch und lebendig, als man eben sein kann und noch dazu ganz allein. Wer es auch gewesen sein mochte, der mit dem Ungeheuer gekämpft und es umgebracht hatte – er war jetzt nicht mehr da. Nachdem sich Ritter Roth davon genügend überzeugt, kehrte sein Muth wieder zurück und er beeilte sich die Prinzessin wie an den vorhergehenden Tagen zu zwingen, ihm unverbrüchliches Stillschweigen zu geloben und zu bestätigen, wenn er sich für denjenigen ausgäbe, der das Ungeheuer getödtet und sie somit gerettet hätte. Und das that sie auch sogleich, denn, da der Rechte nun fort war, konnte es ihr ja doch gar nichts nützen, etwas anderes zu erzählen, als was Ritter Roth wollte. Und sie glaubte ja immer fest daran, daß der Rechte schon wiederkommen und dann alles ans Licht bringen werde.

Darauf holte Ritter Roth den goldenen Wagen samt dem Kutscher, den Dienern und Vorreitern, sammelte dann die neun Köpfe zusammen und ließ sie rings um den Wagen herumhängen. Die Prinzessin setzte sich in den Wagen hinein und Ritter Roth ritt, sich stolz aufblähend, an der Seite desselben und so zogen sie in die Stadt ein, in der man schon anfing ein wenig ängstlich zu werden, weil sie so lange ausblieben und alle Einwohner der Stadt waren am Stadtthore zusammengelaufen. Als aber der Aufzug kam und die Prinzessin unversehrt im Wagen saß und nach beiden Seiten freundlich nickend grüßte, war das Entzücken der Leute ohne Grenzen. Sie riefen Hoch und streuten sowohl der Prinzessin als dem Ritter Roth Blumen und er wurde vom Kopf bis zu den Füßen bekränzt. Nachdem sie ins Schloß gekommen waren und Ritter Roth die ganze Geschichte erzählt hatte von dem greulichen Seeungeheuer, das er jetzt umgebracht und damit sowohl die Prinzessin als auch das ganze Land gerettet hatte, wurde er noch am selben Abend mit der Prinzessin verlobt und als Erbprinz des Reiches ausgerufen. Und man trank auf das Wohl des Brautpaares und in Stadt und Land wurden Freudenfeuer angezündet im ganzen Königreich. Die Prinzessin fand sich in alles; sie stellte nur die eine Bedingung, daß man mit der Hochzeit bis zum nächsten Jahrestag ihrer Rettung warte, und da es dem König recht war, so mußte sich auch Ritter Roth dreinfinden.

Der junge Ritter Drachentödter ritt währenddem mit seinem Sperber und Hund wieder zu dem Kreuzweg zurück, bei dem er sich vor Jahr und Tag von seinem jüngern Zwillingsbruder getrennt hatte. Er kam zur Linde hin und fand die beiden Messer und sah, daß seines Bruders Messer noch ebenso blank war wie sein eigenes; er war also am Leben und es ging ihm gut. Er sah auch, daß sein Bruder hier gewesen sein müsse, um nach dem Messer seines Bruders zu schauen; und das konnte noch nicht lange her sein, was er an dem Einschnitt in die Baumrinde unter dem Messer leicht bemerken konnte. Daher ritt er auf dem Weg, den sein Bruder damals, als sie sich trennten, eingeschlagen, weiter und kam von einer Stadt in die andere, von einem Land ins andere, aber nirgends konnte er etwas sehen oder hören von seinem Zwillingsbruder. So verging das ganze Jahr und er mußte sich eilen, um zur ausgemachten Zeit wieder in die Königsstadt zurückkommen zu können und er kam gerade am Jahrestage seines Sieges über das Ungeheuer.

Als er zum Thore hinein und durch die Gassen ritt, sah er alle Häuser mit Teppichen und Kränzen festlich geschmückt und als er bei seiner alten Herberge gerade gegenüber von dem Schloß anlangte, fand er sie ebenso wie alle andern Häuser geschmückt und das Schloß sah aus, als wäre es mit rothem Scharlach und goldschimmernden Franzen und Quasten ganz überzogen.

Er ging in seine alte Herberge und bekam auch sein altes Zimmer wiederum und er fragte den Wirth, was denn heute in der Stadt los sei. »Nun habe ich viel Ritter und Lande gesehen,« sagte er, »aber nirgends bin ich hingekommen, wo immer etwas so Wichtiges los gewesen wäre. Als ich vor einem Jahr zum letztenmal hier war, da waren alle Häuser schwarz verhängt und man mußte mit einem Seeungeheuer kämpfen. Heuer ist alles mit Roth, Gold und Blumen geschmückt. Was ist denn wieder los?« Der Wirth erzählte ihm dann ein langes und breites, was sich alles zugetragen, seit er zuletzt hier gewesen. Und heute hielt Ritter Roth endlich seine Hochzeit mit des Königs einziger Tochter, die er aus den Klauen des Ungeheuers gerettet hat.

»Da müssen wir ja eine Flasche Wein auf das Wohl des Brautpaares leeren!« sagte der fremde Ritter. Und der Wirth holte eine Flasche aus dem Keller und schenkte dem Ritter und sich daraus ein. »Der Wein schmeckt mir nicht,« sagte der Ritter, als er gekostet hatte, »an des Königs Tafel trinkt man heute wohl einen besseren!« – »Ja, das glaub' ich!« rief der Wirth aus; »wer nur auch davon trinken könnte!« – »Das soll uns bald möglich werden,« antwortete der Ritter, pfiff seinem Sperber, der sich auf seine Schulter setzte; der Ritter flüsterte ihm dann etwas zu, worauf dieser zum Fenster hinaus und hinüber ins Schloß flog und gerade in den Rittersaal hinein, in welchem alle an der Brauttafel saßen. Dort setzte er sich auf der Prinzessin Schulter; sie erkannte ihn, den sie ja vor einem Jahr unten am Strand gesehen, sogleich wieder und schmeichelte und streichelte ihn. Aber plötzlich schnappte der Sperber nach der Weinkanne, die vor der Prinzessin stand und flog mit ihr zum Fenster hinaus und hinüber in die Herberge, wo der Ritter mit dem Wirthe saß. Da schenkte der Ritter für beide ein und sie tranken von des Königs eigenem Wein auf das Wohl des Brautpaares; und der Wirth mußte gestehen, daß er solch' einen guten Wein all seiner Lebtage noch nicht getrunken habe.

Und der starke Wein stieg ihm in den Kopf und er sagte: »Ach, hätten wir nur auch etwas von dem Backwerk, das heute auf der Tafel des Königs steht! das müßte vortrefflich zu diesem Wein schmecken.« – »Nun, das können wir ja bald haben,« sagte der Ritter und er rief seinem Hund und flüsterte ihm etwas zu und der sprang gleich zur Thür hinaus und gerade ins Schloß hinüber. Die Wache wollte ihn sowohl vor dem Thore als vor den Treppen zurückhalten, ebenso wollten ihn die Lakaien und Kammerjunker in den Sälen aufhalten; aber er warf sowohl die Wachen als die Lakaien und Kammerjunker über den Haufen, als ob sie für ihn gar nicht da wären und lief geraden Weges in den Rittersaal hinein zur Brauttafel hin und legte seinen Kopf der Prinzessin auf den Schoß.

Da sprang der Bräutigam von seinem Sessel auf, als wäre er von einer Tarantel gestochen und rief. »Huh – da ist der Meerhund!« Aber die Prinzessin lachte ihn aus, streichelte den Hund, den sie recht gut wieder erkannte, und sagte: »Nennst du das einen Meerhund? – das ist doch ein ganz guter dänischer Hund. Und du wirst dich vor keinem Meerhund mehr fürchten, seit du das Seeungeheuer mit den neun Köpfen überwunden hast.« Darüber wurde an der ganzen Tafel gelacht und Ritter Roth setzte sich wieder auf seinen Stuhl; aber er zitterte noch am ganzen Körper vor dem Hund, denn auch er erkannte den Hund sogleich wieder, der sich ja damals unter denselben Baum, auf dem er gesessen, gelegt hatte. Plötzlich schnappte der Hund nach einem silbernen Korb mit Backwerk, der vor dem Brautpaare stand und sprang mit ihm zur Thüre hinaus, über die Treppe hinab und hinüber in die Herberge, wo sein Herr mit dem Wirthe trinkend saß.

Nun wußte die Prinzessin, daß ihr wahrer und echter Lebensretter in der Nähe war; aber es verging doch noch eine geraume Zeit, bis sie ihn zu sehen bekam. – Es war nun so eingerichtet, daß nach der Tafel am Nachmittag alle Unterthanen ins Schloß kommen durften, die nur wollten, um das Brautpaar zu begrüßen; und in einem Saal, durch welchen man gehen mußte, waren achtzehn Lanzenträger aufgepflanzt und jeder von ihnen trug auf seinem Spieß einen von den Köpfen des Ungeheuers, welche Ritter Roth am Strande aufgelesen hatte.

Nun ging der junge Ritter mit seinem Wirthe ins Schloß hinüber und als sie in den Saal kamen, in dem die Köpfe auf den Lanzen ausgestellt waren, ging der Ritter zu diesen hin und sperrte einem Kopf nach dem andern den Rachen auf und fragte ganz laut: »Aber wo sind denn ihre Zungen?« Da wurden die Leute darauf aufmerksam und alles lief hin und schaute nach – aber es waren keine Zungen zu sehen. Im selben Augenblick kam Ritter Roth dazu und sagte: »Es waren nie Zungen in den Köpfen, – denn Ungeheuer haben keine Zungen!« »Dann ist es aber merkwürdig, daß die Zungenwurzeln darin stecken!« rief der fremde Ritter aus, »und hier sind die Zungen, die gerade hineinpassen.« Bei diesen Worten zog er das Taschentuch der Prinzessin hervor, in dem die Zungen eingehüllt lagen. »Und jetzt mag jeder selbst urtheilen,« sagte er, »wer dem Ungeheuer die Köpfe abgeschlagen hat: entweder der, der ihnen die Zungen herausgeschnitten, oder der, welcher die Köpfe ohne Zungen dahergebracht und behauptet, daß sie nie welche gehabt hätten.«

Da entstand ein großer Alarm und alle Leute liefen zusammen und sahen staunend, wie genau jede Zunge in ihren Kopf paßte und schließlich kam auch der König mit seiner Tochter, der Braut, heraus. Und sobald diese den fremden Ritter erblickte, fiel sie ihm um den Hals und rief: »Hier ist der, der mein Leben gerettet und der alle drei Tage mit dem Ungeheuer gekämpft hat.« Und dann erzählte sie haarklein, wie Ritter Roth sie jedesmal verlassen, sobald die Gefahr nahte und erst wieder kam, wenn sie vorüber war und wie er ihr dann gedroht sie umzubringen, wenn sie nicht schweigen und seine Lügen bestätigen wolle. »Aber dieser fremde Ritter mit seinem Sperber, Pferd und Hund hat mit dem Ungeheuer gekämpft,« sagte sie, »und es am dritten Tag getödtet. Und mein Taschentuch ist es, in dem die Zungen eingehüllt lagen, es steht mein Name mit der Krone verziert darauf. Und als er am dritten Tag dem Ungeheuer alle neun Köpfe abschlug, flocht ich dem Jüngling einen goldenen Ring in seine Locken – und hier ist er!« rief sie und zeigte dem König zugleich denselben in den Locken des Ritters.

Da war niemand mehr da, der noch an der Wahrheit ihrer Worte gezweifelt hätte, und Ritter Roth mußte selbst, wohl oder übel, alles eingestehen. Da ließ ihn der König sogleich in Ketten legen und schickte ein paar Diener mit ihm in den Wald hinaus, damit er ihnen den Baum zeige, auf dem er während des Kampfes mit dem Ungeheuer gesessen. Sie hatten aber den heimlichen Befehl erhalten, ihn auf demselben Baum sogleich aufzuhenken, was auch am Abend desselben Tages noch pünktlichst vollzogen wurde, so daß wir in dieser Geschichte nichts mehr von dem Ritter Roth hören werden.

Auf dem Schlosse aber wurde jetzt erst die wirkliche Hochzeit gefeiert, denn der rechte Bräutigam war gekommen. Und der alte König, der des Regierens müde war, dankte nun ab und ließ den jungen Ritter als König des Landes ausrufen und ihm huldigen. Darüber herrschte überall die größte Freude und die jungen Eheleute waren glückselig mit einander. – Aber deswegen ist die Geschichte hier doch noch nicht aus.

Sogleich nach der Hochzeit reiste das königliche Paar fort aus dem Schloß und durch das ganze Land, von Stadt zu Stadt; denn der neu eingesetzte König mußte sich ja huldigen lassen und sein Land kennen lernen. Darüber verging eine lange Zeit, bis sie endlich wieder in ihre Hauptstadt zurückkehrten. Da geschah es gleich in der ersten Nacht, daß ein Hahn gerade vor dem Schlafkammerfenster des jungen Königspaares saß und in einem fort krähte, so daß beide kein Auge schließen konnten. Der junge König stand auf und jagte den Hahn ein übers andre mal fort; aber gleich darauf war er wieder da. Und so ging es die ganze Nacht in einer Tour. – Und in der nächsten Nacht war es gerade so: der Hahn saß wieder vor dem Fenster und krähte und wollte sich durchaus nicht fortjagen lassen. Und ebenso ging es in der dritten Nacht von neuem an: der Hahn krähte gerade vor dem Fenster lauter und ärger als alle vorhergehenden male.

Da sagte der junge König: »Das kann kein gewöhnlicher Hahn sein, da muß etwas anderes dahinter stecken. Vielleicht ist mein Bruder gar in Gefahr und läßt mich auf diese Weise rufen. Ich muß zu dem Hahn hinaus und sehen, wie das zusammenhängt.« Damit sagte er zur Königin »Lebewohl«, gürtete sein Schwert um, rief seinen Sperber und seinen Hund, setzte sich auf seinen schwarzen Hengst und ritt fort. Beständig hörte er den Hahn vor sich, der von Baum zu Baum flog und krähte und der König ritt ihm nach. Und so kam er durch den Wald, der gegen den Strand zu lag, er ritt darin herum, immer dem Hahn nach, bis er zum Strand hinaus kam und zwar an denselben Platz, an dem der Kampf mit dem Seeungeheuer stattgefunden. Aber er erkannte die Stelle nicht wieder und konnte auch vom Strande vor sich gar nichts sehen, obwohl es schon Morgendämmerung war, als er hinauskam, aber es lag allenthalben ein so dicker Nebel, daß man keinen Schritt weit sehen konnte und auch nicht wußte, ob man Land oder Wasser vor sich habe.

Sobald der König hier angelangt war, verschwand der Hahn und ließ sich nirgends mehr hören. Darum hielt er es für das Beste, zu sehen, wie er wieder heimkomme. Da hörte er in der Nähe ein kleines Geräusch und er ritt dem Laute nach, bis er zu einem häßlichen alten Weibe kam, die einen Sack auf dem Rücken trug und mit ihrem Stock im Sande scharrte. Er fragte sie, wer sie wäre und was sie in solcher Morgenfrühe hier treibe. »Ach, ich bin ein armes, altes, verlassenes und kinderloses Weib,« antwortete sie, »und ich gehe hier und suche ein wenig Beine zusammen; aber ich kann mich selbst kaum mehr schleppen, vielweniger noch meinen Sack. Und wenn du ein echter und rechter Ritter bist, so hilfst du einem alten Weibe und lässest mir meinen Sack von deinem Pferde zu meiner Wohnung tragen.« – »Wo bist du denn zu Hause?« fragte der König. »O, gleich da in der Nähe,« antwortete das Weib; »ich werde voraus gehen und dir den Weg zeigen, wenn du mir wirklich den Sack von deinem Pferde heimtragen lassen willst.«

Da sprang der König von seinem Pferd herab und legte den Sack darauf, der nichts weniger als leicht zu heben war und übel nach all' den verfaulten Knochen, die darin waren, roch. Das Weib ging voraus und geraden Weges ins Meer hinein. Sie schlug mit ihrem Stock ins Wasser und murmelte: »Vorn eine Brücke und hinten nichts,« und daher war beständig trockenes Land, aber auch nur da, wo sie, nämlich das Weib, der König, welcher sein Pferd am Zügel führte, und der Hund, welcher ihm auf den Fersen folgte, gingen. Vorne und hinten und auf beiden Seiten war nur das tiefe Meer; aber der Nebel war so dicht, daß man die eigene Hand vor den Augen nicht sehen konnte und so folgten der König und die Thiere dem Weibe, ohne zu wissen, wo sie gingen und wohin der Weg führte.

Sie gingen immer weiter und kamen an kein Ziel. »Ihr habt aber weit nach Hause,« sagte der König. »Ja, jetzt werden wir aber gleich da sein,« antwortete das Weib. Und es währte wirklich nicht mehr allzulange, da kamen sie an einen großen Berg, der mitten im Meer draußen lag. Das Weib klopfte mit ihrem Stock auf denselben und er öffnete sich und da kamen alle in eine große, steinerne Stube hinein, in der mitten auf dem Boden ein ungeheuer großer Holzstoß brannte.

Der König legte den Sack nieder, sah sich um und sagte: »Das ist aber ein schreckliches Feuer da; bratet Ihr denn hier Menschen?« – »Ach nein, keine Spur!« antwortete das Weib; »aber so eine alte Haut, wie ich, kann schon ein bischen Wärme brauchen.« Dann nahm sie ein Haar von ihrem Kopfe und sagte zu dem König: »O leg doch dieses Haar auf dein Pferd, dann wird es stille stehen bleiben. Es stampft mir ja sonst den Fußboden entzwei.« Der König erfüllte ihren Wunsch und das Pferd stand wirklich still; er hatte eben nicht gehört, wie das Weib dabei murmelte: »Festgeschmiedet an der Erden, soll das Haar zur Fessel werden!« Darauf nahm sie noch ein Haar von ihrem Kopfe und bat den König: »O nimm das und leg es auf deinen Hund, er schaut mich so falsch an und da fürchte ich mich, daß er mich beißen könnte.« Auch diese Bitte erfüllte ihr der König und der Hund legte sich sofort nieder und blieb ruhig liegen. Er hörte wieder nicht, daß sie dabei dieselben Worte wie vorher murmelte. Dann nahm sie noch ein drittes Haar von ihrem Kopfe und sagte zum König: »Geh, sei so gut und wirf dieses auf deinen Sperber, er fliegt sonst herum und erschreckt meine Küchlein.« Der König that es und sie murmelte ihren Spruch und der Sperber blieb ruhig sitzen. Dann sagte sie noch: »Und lege auch ein Haar auf das Blanke an deiner Seite, um es zu bedecken, weil es mich sonst blendet und meinen alten Augen zu wehe thut.« Mit diesen Worten warf sie ein Haar auf den goldenen Griff von des Königs Schwert und murmelte wie die vorhergehenden male.

Der König glaubte, das Weib müsse nicht recht gescheidt sein, aber er fürchtete sich weder vor ihr, noch vor sonst jemand. Er wollte sich jetzt ein wenig an diesem wunderlichen Ort umschauen.

Da richtete sich das Weib auf und war so hoch wie ein Haus und grimmig anzuschauen und dann schrie sie: »Nun will ich dich dafür bezahlen, daß du mir meinen hübschen Jungen umgebracht hast. Jede Nacht muß ich gehen und am Strand seine Knochen sammeln und suchen, bis ich sie alle beisammen habe, damit ich ihn wieder lebendig machen kann.«

Da merkte der König nun, bei wem er zu Gast war. Er griff nach seinem Schwert und ließ seinen alten Kriegsruf: »Steht mir bei in dieser Stund', Sperber, Pferd und du, mein Hund!« ertönen. – »Oho, die Haare sind zu eisernen Fesseln geworden, drum können dir deine Thiere nicht mehr helfen!« rief die Hexe höhnisch aus; und das Schwert ließ sich nicht ziehen und von den Thieren rührte sich keines von der Stelle. Darauf schlug das Weib mit seinem Stock nach dem König und er fiel sogleich um und war todt wie ein Stein. Dann stieß sie ihn in eine tiefe Höhle unter dem Fußboden hinunter; die Thiere ließ sie aber, wo sie waren.

Während dieser Zeit wartete und wartete die junge Königin von einem Tag zum andern, aber ihr Eheherr kam nicht zurück. Und so vergingen Wochen, vergingen Monate, aber der junge König war und blieb fort. Nach allen Richtungen hin wurden Leute ausgesandt, aber nirgends hatte man ihn gesehen. So saß sie in ihrem Schlosse und trauerte, aber sie hoffte doch, daß ihr Held und König plötzlich einmal zurückkehren werde.

Während die Sachen alle so standen, war der jüngere Zwillingsbruder (der am andern Ende der Welt herumgezogen und viele Abenteuer bestanden, die viel zu weitläufig zu erzählen wären) der Verabredung gemäß zur Linde am Kreuzweg gekommen. Es war noch kein ganzes Jahr vergangen, seit er zum letztenmale hier gewesen und sein Zeichen unter seines Bruders Messer, das er vollkommen blank und glänzend gefunden, in die Rinde des Baumes geschnitten hatte. Er sah nun, daß auch sein Bruder hier gewesen und ebenfalls ein Zeichen in den Baum geschnitten hatte. Darauf zog er seines Bruders Messer aus dem Baum heraus und sah, daß es so gut wie ganz verrostet war. Es sah aus, als wäre es in Blut getaucht worden und nur ein ganz kleines Fleckchen war noch blank.

Er schlug nun gleich den Weg ein, den sein Bruder damals gezogen war, als sie sich trennten und ritt so schnell er nur konnte von Stadt zu Stadt und Land zu Land, bis er in die Hauptstadt, in der sein Bruder König geworden, kam. Als er eines Tages gegen Abend in diese Stadt auf seinem schwarzen Hengst einritt, mit offenen, goldenen Locken, seinen Sperber auf dem Arm und hinter sich den großen gelben Hund, wurde er gleich darauf aufmerksam, daß alle Leute auf den Gassen stehen blieben, um ihn zu grüßen und ihm nachschauten und daß alle Leute in den Häusern ans Fenster kamen und dieses öffneten und ihm Grüße zuwinkten. Er wußte ja, daß er und sein Bruder sich so ähnlich sahen wie zwei Tropfen Wasser und ebenso auch ihre Thiere und er merkte sogleich, daß hier sein Bruder sowohl bekannt, als beliebt sein müsse, denn er selbst war ja noch nie in dieser Gegend gewesen. Er dankte allen, die ihn grüßten und ritt weiter, bis er zum königlichen Schlosse kam. Da wurde die Wache vor ihm herausgerufen und der Schweizer kam mit seinem goldbeknöpften Stock einherstolziert und riß Thür und Thore vor ihm auf. Es war also deutlich und klar, daß hier sein Bruder zu Hause sein mußte; daher ritt er zum Schloßthore hinein und sogleich kamen Stallmeister und Knechte dahergesprungen, nahmen ihm das Pferd ab und führten es in den Stall. Und die Lakaien auf den Treppen bückten sich vor ihm und machten ihm eine Thüre nach der andern auf, bis er in den Saal der jungen schönen Königin kam. Sobald sie ihn erblickte, sprang sie mit einem Freudenschrei auf, fiel ihm um den Hals und begann ihn zu fragen: wo er doch so lange gewesen sei? – es seien ja schon drei volle Monate vorüber, seit er in jener Nacht von ihr geritten, um den Hahn zu verfolgen, der vor ihrem Fenster gekräht habe. Ob er ihn auch gefangen habe? Und ob er Nachricht von seinem Zwillingsbruder bekam? Und ob er ihn glücklich, gesund und am Leben angetroffen habe? Und so noch mehr Fragen, die sie in einem Athem stellen konnte. Darauf liebkoste sie seinen Sperber und streichelte seinen Hund und erkundigte sich nach seinem Pferd und sagte, daß sie nach ihm seine Thiere, die bei ihrer Rettung aus den Klauen des Seeungeheuers mit den neun Köpfen mitgeholfen, am meisten liebe.

Da hatte er so viel erfahren, als er zu wissen brauchte. Aber er gab sich doch nicht zu erkennen. Er sagte nur, daß er todtmüde sei und der Ruhe bedürfe. Am Morgen solle sie Antwort auf alle ihre Fragen erhalten. Für den Abend sei es zu viel zum Erzählen. Er sei weit herum gekommen und habe viel erlebt. Sein Bruder wäre frisch und gesund und er selbst sei froh, sie ebenso zu finden. Sie nöthigte ihn, doch etwas als Abendbrot zu sich zu nehmen und führte ihn dann in das königliche Schlafgemach. Er ging sogleich ins Bett und legte sich nieder, vorher zog er aber sein blankes, scharfes Schwert aus der Scheide und legte es in die Mitte des Bettes. Darauf kehrte er sich um und that als ob er vor Ermattung und Müdigkeit sofort in einen tiefen Schlaf fiele.

Die Königin legte sich auch nieder, schlief aber nicht ein. Sie dankte Gott für die große Freude, daß ihr geliebter Herr und Gatte wieder von seiner langen und gewiß auch gefährlichen Fahrt, auf die er sich begeben, zurückgekommen war. Sie freute sich über sein Glück und freute sich schon auf den Morgen, an dem er ihr, nachdem er sich wieder ausgeruht hätte, alles bis ins kleinste erzählen wollte, was er während der langen Zeit, in der sie vor Sehnsucht nach ihm fast vergangen, erlebt und gethan habe.

Da hörte sie einen Hahnenruf vor dem Fenster. Es war gewiß derselbe Hahn, der sie schon vor einem Vierteljahr geplagt und ihren Gemahl von ihrer Seite gelockt hatte. Sie war nur froh, daß er jetzt so fest und sorglos schlief. – Aber er, den sie für ihren Gemahl hielt, schlief durchaus nicht. Er lag nur stille und lauschte. Und als er kurze Zeit gelegen und den Hahn krähen gehört, sprang er aus dem Bett heraus, kleidete sich rasch an, steckte sein Schwert in die Scheide und gürtete es sich um. »Ach!« rief die Königin aus, »du wirst doch dem Hahn nicht wieder nachlaufen; er muß dir ja schon gesagt haben, was er wußte.« Aber er antwortete, daß er um jeden Preis hinaus und dem Hahn nacheilen müsse; sie möge übrigens nicht bange sein, denn er käme bald wieder zurück. Darauf stürzte er zur Thüre hinaus, in den Stall hinunter, schwang sich auf sein Pferd und ritt mit seinem Sperber und Hund in die Nacht hinaus.

Der Hahn hörte nicht auf zu krähen und flüchtete sich dabei beständig vor dem Ritter, der ihm nacheilte. So ritt er genau denselben Weg, den sein Bruder vor einem Vierteljahr geritten, und kam ebenfalls durch den Wald in der Morgendämmerung zum Strand hinunter. Da verschwand der Hahn und bei dickem Nebel traf er dasselbe alte Weib, welches den Sack trug und im Sand herumwühlte. – Um es kurz zu erzählen, es erging ihm genau so, wie seinem Bruder: sie bat ihn, ihren Sack von seinem Pferd in ihre Wohnung tragen zu lassen und er that es. Sie ging wieder voraus, geradenwegs in das Meer, wo sie sagte: »Vorn eine Brücke und hinten nichts!« So kamen sie zu dem Berg im Meer und in diesen hinein, in die steinerne Stube, in der mitten auf dem Fußboden ein ungeheuer großer Holzstoß brannte.

Da sagte er wie sein Bruder: »Das ist aber ein schreckliches Feuer da; bratet ihr denn hier Menschen?« – Und das Weib antwortete: »Ach nein, keine Spur! aber so eine alte Haut wie ich kann schon ein bischen Wärme brauchen.« Dann nahm sie Haare von ihrem Kopf und bat den Ritter, sie auf sein Pferd, seinen Hund, Sperber und sein blankes Schwert zu legen. Er warf die Haare aber jedesmal ins Feuer.

Da richtete sich das Weib auf, daß man sehen konnte, was für eine böse Hexe sie war und fletschte mit den Zähnen und schrie mit heiserer Stimme: »Jetzt habe ich dich mit gefangen und du mußt nun auch hinunter zu deinem Bruder, der mir meinen hübschen Jungen umgebracht hat. Jede Nacht muß ich gehen und am Strand seine Knochen sammeln und suchen, bis ich sie alle beisammen habe, damit ich ihn wieder lebendig machen kann.« Da zog der Ritter sein Schwert und rief seinen Thieren zu: »Steht mir bei in dieser Stund', Sperber, Pferd und du, mein Hund!« – »Oho,« rief die alte Hexe höhnisch aus, »die Haare sind zu eisernen Fesseln geworden, drum können dir deine Thiere nicht mehr helfen!« – »O ja, sie können doch!« rief der Ritter, »denn die Haare sind verbrannt!« Und bei diesen Worten stürzte er mit seinen Thieren auf sie los und schwang sein blankes Schwert und ließ es ihr um die Ohren sausen.

Da wurde das Weib demüthig und bettelte und flehte ihn an, doch ihr Leben zu schonen. »Gieb mir sogleich meinen Bruder so lebendig als früher zurück!« sagte der Ritter. Und das Weib brachte ihn augenblicklich aus der Höhle herauf, bespritzte ihn mit einigen Tropfen aus einer Flasche voll Lebenswasser und da stand er wieder frisch und lebendig auf, erkannte und begrüßte sogleich seinen Bruder. »Löse seinen Thieren und dem Schwert die Fesseln!« sagte dann der Ritter. Und auch das that sie augenblicklich. »Führe uns jetzt übers Meer zurück!« fuhr der Ritter fort, »und gehe du voraus!« Da sahen die Brüder zugleich, wie sie ihre Brücke baute, sie ging voraus, wie ihr geheißen, schlug mit ihrem Stock ins Wasser und murmelte: »Vorn eine Brücke und hinten nichts!« Und die Brüder ritten mit ihren Thieren hinüber, der jüngere knapp hinter der Hexe; und im selben Augenblick, als alle glücklich das feste Land betraten, schlug er ihr mit einem Hieb den Kopf herunter und ließ sie am Uferrand zur Speise für die Fische des Meeres, des Himmels Vögel und die wilden Thiere des Waldes liegen.

Jetzt ritten die Brüder zusammen durch den Wald und hatten einander viel zu erzählen, was sie alles erlebt während der langen Jahre, da sie von einander getrennt waren. Dann mußte der Ritter doch auch erzählen, wie er seinen Bruder gefunden und wie man ihn im Schlosse empfangen und für den schmerzlich vermißten Herrn und König gehalten und daß er in des Königs Bett an der Seite seiner Frau, der Königin, die Nacht geruht hatte. Als er aber das erzählte, wurde der junge König wie rasend, zog sein Schwert und durchbohrte seinen Bruder damit, so daß er todt vom Pferde sank.

Dann gab der König seinem Rosse die Sporen und jagte über Stock und Stein davon, er wußte selbst nicht wohin, und sein Hund lief heulend hinter ihm drein. Da fing der Sperber auf seiner Schulter zu reden an, und sagte: »Reit' heim! Reit' heim!« Da ließ er seinem Pferd die Zügel und dieses trug ihn schnell in sein Schloß zurück. Dort sprang er vom Pferd und ließ es von den Knechten in den Stall führen, ging langsam die Treppen hinauf und zu seiner Gemahlin hinein. Sie lief ihm froh entgegen, aber er blickte sie nicht an und gab ihr auch keine Antwort auf alle ihre Fragen. Da sah sie leicht ein, daß entweder ein Unglück geschehen oder er krank sein müsse, deshalb führte sie ihn in das Schlafgemach, in welchem er sich, ohne ein Wort zu sagen, auf das Bett warf.

Da sagte sie zu ihm: »Eine Frage mußt du mir doch beantworten: warum legtest du neulich in der Nacht dein blankes, scharfes Schwert mitten in das Bett? Wolltest du mich damit ermorden? O hättest du es doch gethan, dann müßte ich dich nicht so wiedersehen, wie jetzt!« Da ging ihm nun ein Licht auf, wie treu sein Bruder gegen ihn gehandelt und ihm dann noch das Leben gerettet hatte, – und nun empfing er einen solchen Lohn dafür! Der König sprang jetzt auf und schloß die Königin in seine Arme; aber er sprach kein Wort. Dann stürzte er zur Thüre hinaus, zu seinem Pferd in den Stall hinunter und ritt mit Hund und Sperber wieder fort.

Er ritt geradenwegs in den Wald hinaus zu jener Stelle, an welcher er die grausige That vollführt hatte, da lag sein Bruder kalt und todt im Blute auf der Erde. Sein Hund lag bei seinem Kopfe und das Pferd stand bei seinen Füßen, aber sein Sperber war fort. Da sprang der König von seinem Pferde herunter und warf sich über die Leiche hin und brach in helle Thränen aus und schluchzte und jammerte. Dann sprang er wieder auf und zog sein Schwert und wollte sich in dieses stürzen, um seinem Bruder im Tode nachzufolgen. Da sauste etwas durch die Luft und des Bruders Sperber kam mit einer kleinen Flasche im Schnabel dahergeflogen. Es war Lebenswasser darin, das er im Zauberberge im Meere draußen geholt hatte, und er begann zu rufen: »Spritze ihn an! Spritze ihn an!« Der König nahm ihm die Flasche aus dem Schnabel und goß ihren Inhalt auf die Leiche seines Bruders, und sogleich sprang der Todte wieder frisch und munter auf und war so lebendig als je einmal zuvor.

Jetzt umarmte der König seinen Bruder und bat ihn um Verzeihung für sein Mißtrauen und seinen Jähzorn, und der verzieh ihm auch. Die Zwillingsbrüder ritten nun zusammen ins Schloß zurück und die Königin erfuhr dann alles auf das genaueste und sie wurde wieder froh. Und da das Reich eigentlich ihr Erbe war, so gab sie auch den Rath, daß der junge König mit seinem Bruder theilen solle, dann könnten sie immer beisammen bleiben. Und das that der König mehr als gerne. Darauf heiratete der jüngere Bruder auch eine Prinzessin aus einem andern Königreiche und dann sandten sie Boten aus ihrem Lande zu ihren alten Eltern und ließen sie zu sich holen und die verlebten dann den Rest ihrer Tage bei ihren Söhnen in froher Pracht und Herrlichkeit. Die Zwillingsbrüder, die jetzt beide Könige waren, regierten ihr Land in wirklich brüderlicher Eintracht und ihre Frauen, die Königinnen, kamen auch miteinander gut aus. Und ihre Kinder liebten sich so sehr, als wären sie alle zusammen nur Geschwister.



Und damit ist das Märchen aus.


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