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Chundun-Rajah - Märchen von Mary Frere: Märchen aus der indischen Vergangenheit


Chundun-Rajah

Es starben einmal ein Rajah und eine Ranee, die hinterließen sieben Söhne und eine Tochter. Die sieben Söhne waren alle verheirathet, und die Frauen der sechs ältesten behandelten ihre arme kleine Schwägerin sehr unfreundlich; die Frau des siebenten aber liebte sie zärtlich und nahm sie immer den andern gegenüber in Schutz. Dann sagte sie wohl: »Das arme kleine Ding führt ein trauriges Leben. Ihre Mutter wünschte sich so sehnlichst eine Tochter, doch als das Mädchen geboren ward, starb sie und sah nicht mehr ihr armes Kind, ja sie war nicht einmal im Stande es jemanden recht ans Herz zu legen.« Dann erwiderten ihr die Frauen der sechs älteren Brüder: »Du machst nur so viel Wesens von dem Mädchen, um uns zu ärgern.« Und wenn ihre Ehemänner abwesend waren, ersannen sie schlechte Geschichten von ihrer Schwägerin, und die erzählten sie dann den heimgekehrten Prinzen, und die glaubten ihnen mehr als ihr und wurden böse auf sie und ließen sie aus dem Hause treiben. Die Frau des siebenten Bruders aber glaubte nicht, was die sechs anderen sagten und war sehr freundlich mit der kleinen Prinzessin und schickte ihr heimlich so viel Nahrung, wie sie von ihrem eigenen Mittagsessen entbehren konnte. Als man sie aus dem Hause jagte, riefen die sechs Frauen der älteren Brüder: »Mach, daß Du fortkommst und laß Dich nicht eher wieder blicken, als bis Du Chundun Rajah (den König Sandelholz) geheirathet hast. Wenn Du uns dann zur Hochzeit einladest und uns den sechs ältesten sechs gewöhnliche Holzstühle zum Sitzen anbietest, während Du Deiner siebenten Schwägerin, die Dich immer in Schutz nimmt, einen schönen smaragdenen Stuhl hinstellst, dann wollen wir Dir glauben, daß Du unschuldig bist und all das Böse, dessen man Dich anklagt, nicht gethan hast, aber eher nicht.«

Das war aber nur Spott und Hohn, denn der Chundun Rajah, von dem sie sprachen, war ein mächtiger Rajah des Nachbarreiches gewesen, doch war er jetzt schon manchen Monat lang todt.

Nun wanderte die Prinzessin traurigen Herzens fort in den Dschungel, und als sie den durchstreift hatte, kam sie in einen anderen, der war noch dunkler und schauriger als der erste. Die Bäume verschlangen sich über ihrem Kopfe so dicht ineinander, daß sie kaum den Himmel sehen konnte, und nirgends sah man ein Dorf, ein Haus oder ein lebendes Wesen. Die Nahrung, die ihr die jüngste Schwägerin mitgegeben hatte, war beinahe aufgezehrt, und sie wußte nicht, was aus ihr werden sollte. Nach vielen vielen Tagen kam sie endlich an einen großen Teich, an dessen Ufer stand ein schönes Haus, das gehörte einem Rakshas. Da sie sehr ermüdet war, setzte sie sich am Teiche nieder, nahm sich von ihrem kleinen Eßvorrath etwas getrockneten Reis, aß den und dachte während dessen: »Dies Haus gehört ohne Zweifel einem Rakshas, der wird mich wahrscheinlich tödten, sobald er mich sieht, aber seitdem sich niemand mehr meiner annimmt, und ich weder einen Freund noch eine Heimath habe, erscheint mir das Leben werthlos genug.« Der Rakshas war zufälligerweise abwesend und niemand befand sich im Hause, nur eine kleine Katze und ein Hund, die ihn bedienten.

Das Amt des Hundes war den Safran, mit dem der Rakshas an hohen Sonn- und Feiertagen sein Gesicht färbte, zu verwahren, und der Katze war das Antimonium, mit dem er seine Augenlider schwärzte, anvertraut. Kaum hatte sich die Prinzessin am Ufer des Teiches niedergesetzt, so war sie auch von der kleinen Katze bemerkt worden, und diese kam sofort zu ihr und bettelte: »O Schwester, Schwester, ich bin so hungrig, bitte gieb mir etwas von Deinem Essen.« Die Prinzessin antwortete: »Ich habe selbst nur noch ein wenig Reis, wenn der aufgezehrt ist, werde ich Hungers sterben. Wenn ich Dir nun aber trotzdem etwas gebe, was bekomme ich denn von Dir dafür?« »Mir ist das Antimonium anvertraut, mit dem der Rakshas seine Augenlider schwärzt, davon will ich Dir etwas geben.« Und dann lief sie ins Haus, holte einen niedlichen kleinen Topf voll Antimonium, gab ihn der Prinzessin und tauschte dafür etwas Reis ein. Als der kleine Hund das sah, lief er ebenfalls zum Teich und sprach: »Liebe Dame, liebe Dame, ich bitte Euch, gebt mir etwas Reis, ich bin auch sehr hungrig.« Sie aber antwortete: »Ich habe nur noch sehr wenig Reis und ist derselbe aufgezehrt, dann werde ich Hungers sterben. Wenn ich Dir aber dessenungeachtet etwas von meinem Essen gebe, was bekomme ich denn von Dir dafür?« Der Hund sprach: »Mir ist der Safran anvertraut, mit dem der Rakshas sein Gesicht färbt. Ich will Dir etwas von demselben geben.« Nun eilte er ins Haus, holte etwas Safran, überreichte denselben der Prinzessin und erhielt dafür etwas Reis. Dann band sie den Antimonium und den Safran an ihrem Saree fest, nahm Abschied von der Katze und dem Hund und machte sich auf den Weg.

Drei oder vier Tage darauf erreichte sie fast die Grenze des Dschungels. Das Gehölz ward lichter, und in einiger Entfernung erblickte sie ein großes, einem Grabgewölbe gleichendes Gebäude. Die Prinzessin beschloß zu demselben zu gehen, um zu erfahren, ob dort nicht Jemand wohne, der ihr etwas zu essen geben könne, denn sie hatte allen Reis aufgezehrt, daher war sie sehr hungrig, zudem brach die Nacht herein.

Der Platz, dem sich die Prinzessin näherte, war das Grab des Chundun Rajah, – doch wußte sie das nicht.

Chundun Rajah war schon manchen Monat lang todt. Sein Vater, seine Mutter und seine Schwester, die ihn innig liebten, konnten den Gedanken ihn in der kalten Erde zu begraben, nicht ertragen, deßhalb hatten sie ihm ein schönes Grab errichtet, und in demselben lag auf einem Himmelbette der Leichnam, und der verweste nicht, sondern erhielt sich so frisch und schön, als sei er eben erst hinaufgelegt. Jeden Tag besuchten Chundun Rajah's Mutter und Schwestern diesen Ort und weinten und wehklagten in demselben vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, doch jeden Abend kehrten sie wieder in ihr Haus zurück. Ganz in der Nähe war eine kleine Hütte, in der wohnte ein Brahmane, dem war die Aufsicht über das Grabmahl anvertraut, und von nah und fern strömten Leute herbei, die wollten das Grab ihres verstorbenen Rajahs sehen und das große Wunder anstaunen. Denn Niemand wußte, woher es kam, daß der Leichnam sich viele Monate hindurch unverwest erhielt. Als die Prinzessin diesen Ort erreichte, zog sich ein heftiges Gewitter zusammen. Der Regen strömte auf sie hernieder und durchnäßte sie. Es war außerdem so dunkel, daß sie kaum sehen konnte, wo sie eigentlich war. Hätte sie gewußt, daß Chundun Rajah in diesem Grabgewölbe liege, so würde sie es nicht gewagt haben hineinzutreten, jetzt aber bei dem heftigen Sturm flüchtete sie sich bei einbrechender Nacht hinein und setzte sich vor Kälte zitternd in eine Ecke dieses Obdachs. In einer Mauernische brannte eine trübe Oellampe, und ihr Licht beleuchtete den auf dem Himmelbette ruhenden Körper des Rajah. Eine mit schweren Juwelen verzierte Bettdecke war über ihn ausgebreitet, und alles rings umher kostbar. Er selbst sah aus, als schliefe er nur, deßhalb fühlte sie keine Angst. Als sie dort harrend und wachend saß, erwachte zu ihrer großen Ueberraschung mit dem zwölften Glockenschlage der Rajah aus seinem Todesschlafe, und als er sie vor Kälte bebend in der Ecke sitzen sah, holte er ein Licht, näherte sich ihr und sprach: »Wer bist Du?« Sie antwortete: »Ich bin ein armes, einsames Mädchen. Ich suche hier nur Schutz vor dem Gewitter. Ich sterbe fast vor Kälte und Hunger.« Und dann erzählte sie ihm ihre Erlebnisse, und daß die bösen Schwägerinnen sie verläumdet und in den Dschungel getrieben und ihr geboten hätten, ihnen nicht eher wieder unter die Augen zu kommen, bis sie sich mit dem schon lange verstorbenen Chundun Rajah vermählt habe, und dann fügte sie hinzu, wie freundlich die jüngste gegen sie gewesen sei und, daß dieselbe ihr Nahrung mitgegeben habe, ohne welche sie schon lange Hungers gestorben sein würde.

Der Rajah lauschte den Worten der Prinzessin; er war gewiß, daß sie die Wahrheit sprach und keine gewöhnliche Bettlerin aus dem Dschungel sei. Denn trotz all ihrer zerrissenen Kleider, glich sie einer Fürstin, und erschien ihm wie ein Stern in dunkler Nacht. Außerdem waren ihre Augenlider mit Antimonium geschwärzt, und ihr schönes Antlitz war wie das einer Prinzessin mit Safran geschminkt. Er fühlte Mitleid mit ihr und sagte: »Schönes Mädchen, fürchte Dich nicht, ich will für Dich sorgen.« Dann hüllte er sie, um sie zu erwärmen, in seine kostbare Bettdecke und ging zu dem in der Nähe liegenden Brahmanenhause und holte ihr etwas Reis zum Essen. – Darauf sagte er ihr: »Ich bin der Chundun Rajah, von dem Du bereits gehört hast. Des Tages über bin ich todt, aber in jeder Nacht komme ich für eine kurze Zeit ins Leben zurück.« Sie aber fragte ihn weinend: »Weiß das Niemand von den Deinen? Und warum bleibst Du, wenn das der Fall ist, in diesem düsteren Grabgewölbe?« »Da mein Leben auf diese Weise unterbrochen ist«, entgegnete er, »so würde es nichts nützen, es meiner Familie mitzutheilen. Sie würden nur um so mehr trauern. Deßhalb vertraute ich mein Geheimniß nur dem hier wachehaltenden Brahmanen an. Ich habe ihm verboten darüber zu sprechen, und da meine Eltern sich hier nur des Tages über aufhalten, so haben sie bis jetzt noch nichts davon gemerkt. Es kann ja sein, daß ich einstmals wieder ganz zum Leben zurückkehre, aber bis dahin verschweige ich mein Erwachen. Dann rief er den Brahmanen, der das Grabgewölbe in Ordnung hielt, und der dem Rajah immer zu der Zeit, wenn er dem Leben angehörte, Nahrung brachte und sagte ihm: ›Bringe von nun an immer eine doppelte Portion Essen in das Gewölbe, und nimm diese Dame in Deine Obhut. Werde ich jemals wieder befreit, so soll sie meine Ranee werden.‹ Und nach diesen Worten starb er wieder. Der Brahmane führte die Prinzessin in seine Hütte, befahl seiner Frau es ihr an nichts fehlen zu lassen und sie den Tag über bei sich zu behalten. Jeden Morgen in aller Frühe erschienen Chundun Rajah's Mutter und Schwestern, und besuchten das Grab, doch sahen sie die Prinzessin nicht, und des Abends, sobald die Sonne untergegangen war, gingen sie wieder fort. Als der Rajah in der folgenden Nacht ins Leben kam, rief er den Brahmanen und fragte ihn: ›Ist die Prinzessin noch hier?‹ ›Ja‹, antwortete er, denn sie ist müde von ihrer langen Wanderung, auch hat sie keine Heimath, in die sie gehen könnte.« Der Rajah sprach: »Weil sie keine Heimath und auch keinen Freund hat, so möchte ich sie heirathen, falls sie sich dazu bereit erklärt, dann braucht sie nicht mehr umherzuirren, um ein Obdach zu suchen.« Da holte der Brahmane seine Schastra1, holte seine Familie als Zeugen herbei, vermählte den Rajah mit der kleinen Prinzessin, las Gebete für sie und streute Reis und Blumen über sie aus. Chundun Ranee wohnte nun einige Zeit hindurch bei ihm. Sie fühlte sich sehr glücklich. Es fehlte ihr an nichts, und der Brahmane und seine Frau hegten und pflegten sie wie ihre leibliche Tochter. Den Tag über verbrachte sie außerhalb des Grabgewölbes, nach Sonnenuntergang aber ging sie hinein und erwartete dort das Erwachen ihres Mannes. Eines Nachts sprach sie zu ihm: »Mein lieber Mann, wenn ich hundert Jahre lang die Frau eines mächtigen lebenden Rajahs wäre, so fühlte ich mich doch nicht so glücklich wie jetzt, da ich Dein Weib bin, Deine Hand halten und mich mit Dir allnächtlich zwei oder drei Stunden unterhalten darf. Aber ach, welche Freuden genössen wir, wenn Du jemals wieder ganz zum Leben erwachtest. Kennst Du die Ursache Deines tageweisen Todes? Und wodurch erhältst Du in jeder Nacht um zwölf Uhr Dein Leben zurück?«

»Das kommt daher«, erwiderte er, »weil ich mein Chundun Har2 verloren habe. Es enthält meine Seele. Eine Peri hat es mir gestohlen. Ich war einstmals im Schloßgarten, da flogen mehrere dieser beschwingten Wesen über meinen Kopf dahin und eine von ihnen sah mich, verliebte sich in mich und wollte mich heirathen. Ich aber sagte: ›Nein, ich will nicht‹ und darüber ward sie zornig, riß mir das Chundun-Har von meinem Halse und flog damit fort. Ich fiel sofort todt nieder und meine Eltern ließen mich in dies Grabgewölbe tragen. Jede Nacht kommt die Peri hierher, nimmt die Halskette von ihrem Halse, und wenn sie das thut, komme ich wieder ins Leben. Dann fragt sie mich, ob ich mit ihr kommen und sie heirathen wolle. Dann trägt sie die Halskette zwei bis drei Stunden lang nicht und wartet, ob ich ihren Wunsch erfülle. In dieser Zeit lebe ich. Merkt sie aber, daß ich nicht will, dann bindet sie die Halskette wieder um und fliegt fort, so bald sie das aber thut, sterbe ich.3« »Kann man die Peri nicht fangen?« fragte die Chundun Ranee. Ihr Gemahl jedoch erwiderte: »Ich habe es schon oft versucht, meine Halskette wieder zu bekommen, denn sobald ich sie zurückerhalte, ist auch mein Leben gänzlich hergestellt; doch kann sich die Peri unsichtbar machen und fortfliegen und dann ist es keinem Sterblichen möglich, sie festzuhalten.« – Diese Nachrichten betrübten die Chundun Ranee und machten ihr das Herz schwer, denn sie sah keine Hoffnung den Rajah jemals wieder für immer ins Leben zurückzurufen.

Und aus Gram und Kummer hierüber ward sie so leidend und unglücklich, daß selbst die Geburt eines kleinen Knaben sie nicht erheiterte. Im Gegentheil sie dachte fortwährend: »Mein armes Kind wird hier an diesem trostlosen Orte groß. Es hat keinen gütigen Vater, der es Tag für Tag belehrt und unterweist. Es sieht den seinen nur ein paar Stunden in der Nacht und wir stehen alle in der Hand der Peri, die fliegt vielleicht eines Tages fort und kommt nicht wieder.« Der Brahmane sah, wie leidend sie war und sprach deßhalb zum Chundun Rajah: »Die Ranee wird sterben, wenn sie keine bessere Pflege erhält. In meinem ärmlichen Hause kann ich ihr nicht genug Bequemlichkeiten verschaffen. Eure Mutter und Schwestern sind gut und mildthätig, laßt sie doch zum Schlosse gehen. Sie brauchen nur zu sehen, wie leidend sie ist, dann werden sie sich ihrer annehmen.« Im Schloßhofe lag zufälliger Weise eine große weiße Marmorplatte, auf der hatte sich Chundun Rajah in vergangenen, heißen Sommertagen gern ausgeruht und weil sie ihm so lieb gewesen war, so erließen seine Eltern nach seinem Tode den Befehl, daß sie sehr in Acht genommen und von niemandem berührt werden solle. Dies wußte Chundun Rajah, daher sprach er zu seiner Frau: »Du bist krank, ich möchte gern, daß Du von meiner Mutter und meinen Schwestern sorgfältig im Palaste verpflegt würdest. Befolge meinen Rath, gehe mit unsrem Kinde auf den Schloßhof und setze Dich dort auf die große Marmorplatte. Ich hatte sie besonders gern und mir zu Liebe ward sie so sehr in Acht genommen und von niemandem berührt. Sehen sie Dich daselbst sitzen, so werden sie Dich fortschicken. Sagst Du ihnen aber, Du seiest leidend, so nehmen sie sich gewiß Deiner an und schließen Freundschaft mit Dir.« Die Chundun Ranee that, was ihr Gemahl ihr anempfahl und setzte sich mit ihrem kleinen Knaben auf den großen weißen Marmorstein. Die Schwester Chundun Rajahs rief: »Mutter, dort auf dem großen weißen Marmorstein unsres Bruders ruht sich eine Frau mit einem kleinen Kinde aus, wir wollen ihr sagen, daß sie fort geht.« Dann lief sie eilends hin, doch als sie Chundun Ranee und den kleinen Knaben betrachtete, erstaunte sie sehr. Chundun Ranee war so schön und liebreizend, und der kleine Knabe war das Ebenbild ihres verstorbenen Bruders. Da kehrte sie zu ihrer Mutter zurück und sprach: »Mutter, dort auf dem Marmorsteine sitzt die hübscheste, kleine Dame, die man sich denken kann, wir wollen mit dem armen Dinge nicht zanken. Sie sagt, sie sei krank und müde und das Kind, ich weiß nicht, ob es eine Einbildung von mir ist, aber als es da so auf der Platte saß, schien es mir ganz das Ebenbild meines verstorbenen Bruders zu sein.«

Da begaben sich die alte Ranee und die übrige Familie auch zum Steine, und als sie Chundun Ranee sahen, gefiel sie ihnen ungemein und auch das Kind, und deßhalb führten sie beide in den Palast, behandelten sie sehr freundlich und verpflegten sie so gut, daß sie binnen kurzem wieder wohl und kräftig wurde und nicht mehr so unglücklich war. Der kleine Knabe wurde Aller Liebling, und sie erstaunten immer aufs neue über die große Aehnlichkeit zwischen ihm und dem dahingeschiedenen Rajah, und nach einiger Zeit schenkten sie seiner Mutter ein kleines Wohnhaus in der Nähe des Palastes und dort besuchten sie sie oftmals. Hierhin kam auch Chundun Rajah in jeder Nacht sobald er zum Leben erwachte, sprach und scherzte dort mit seiner Frau, spielte mit seinem Knaben, sagte aber seinen Eltern kein Wort von seinem Dasein. Es geschah indessen, daß der kleine Knabe an eine der Prinzessinen, (Chundun Rajah's Schwester) erzählte, daß irgend Jemand allabendlich seine Mutter besuche, mit ihr spreche und scherze, mit ihm spiele und dann wieder fortginge. Die Prinzessin hörte darauf den Klang von Stimmen in Chundun Ranee's Hause, und sah dann, wenn sie alles eingeschlafen wähnte, Lichter darin hin und hergehen. Das theilte sie ihrer Mutter mit und sagte: »Wir wollen morgen, sobald die Nacht hereingebrochen ist, nachsehen, was es damit für eine Bewandtniß hat. Wer weiß, vielleicht ist die Frau, die wir für arm hielten, und der wir so viel zu Liebe thaten, nichts als eine Betrügerin, die nun auf unsere Kosten Nachts ihre Freunde bewirthet.«

Deßhalb schlichen sie am nächsten Abend ganz leise, leise zu ihrer Wohnung, und was sahen sie da? Nicht die Fremden, die sie zu sehen erwartet hatten, sondern ihren lang entbehrten Chundun Rajah! Da konnte er sich ihnen nicht entziehen und erzählte ihnen alles, wie er in jeder Nacht ein oder zwei Stunden lang am Leben, den ganzen Tag aber todt sei. Und dann freuten sie sich, ihn, wenn auch nur auf kurze Zeit, wieder zu haben und machten ihm Vorwürfe, daß er ihnen ein Geheimniß daraus gemacht habe. Dann erzählte er ihnen von seiner Heirath mit der Chundun Ranee und dankte ihnen allen für die Treue und Sorgfalt, die sie ihr erwiesen.

Nun kam er jede Nacht und unterhielt sich mit ihnen. Jeden Tag über aber war er zu ihrem großen Kummer todt, und ein Mittel, das Chundun Har, welches die Peri um ihren Hals trug, wiederzugewinnen, fand sich nicht.

Als sie eines Abends lachend und plaudernd beisammen saßen, flogen sieben Peris ungesehen durch das Zimmer, und unter ihnen befand sich eben die Peri, welche dem Chundun Rajah die Halskette geraubt hatte, und sie hielt sie in der Hand.

All' die jungen Peris liebten den Sohn des Chundun Rajah und der Chundun Ranee ganz besonders, und kamen daher manchmal um mit ihm zu spielen. Glich er doch dem Vater so sehr, und besaß er doch den Liebreiz der Mutter und war schön wie der Morgen. Wenn er sie kommen sah, lachte er und klatschte in seine kleinen Hände. Denn wenngleich Erwachsene die Peris nicht sehen können, so vermögen es doch die Kinder. Chundun Rajah hielt eben sein Kind in die Höhe als die Peris durchs Zimmer flogen, und der kleine Knabe so lustig lachte. Die beschwingten Wesen umflogen den Rajah und sein Kind und diejenige, die die Halskette in der Hand hielt, schwebte gerade über seinem Kopfe dahin. Als der Knabe die schimmernde Halskette der Peri bemerkte, streckte er seine kleinen Hände nach derselben aus und hielt sie fest, und als er daran zog, zerriß die Schnur, und alle Perlen rollten auf den Fußboden. Hierüber erschraken die sieben Peris und flogen fort, Chundun Ranee aber sammelte schnell die Perlen, reihte sie wieder auf den Faden und hing sie dem Rajah um den Hals. Da herrschte unter denen, die ihn liebten, großer Jubel, denn nun hatte er ja seine geweihte Halskette wieder, und der Zauber, der ihn zum theilweisen Tode verurtheilte, war gelöst. Die frohe Nachricht verbreitete sich bald durch das ganze Königreich und alles Volk frohlockte und rief: »Wir waren eine lange, lange Zeit hindurch unsres Rajahs beraubt, nun hat ihm ein kleines Kind sein Leben zurückgegeben!« Und der alte Rajah und die alte Ranee, (Chundun Rajah's Eltern) beschlossen, daß die Hochzeit ihres Sohnes mit der Chundun Ranee noch einmal mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert werden sollte. Deßhalb schickten sie Briefe in alle Königreiche der Welt und in denen stand:

»Unser Sohn Chundun Rajah ist wieder lebendig geworden, und wir laden Euch hiermit zu seiner Hochzeit ein.«

Unter denen, welche Einladung annahmen, befanden sich auch die sieben Brüder des Chundun Ranee und ihre sieben Frauen. Für die sechs Schwägerinnen, welche sie so grausam behandelt, und sie in den Wald gejagt hatten, ließ die Chundun Ranee sechs Holzstühle anfertigen. Für die siebente aber, die so freundlich mit ihr gewesen war, wurde ein smaragdener Thron gebaut und ein mit Smaragden ausgelegter Fußschemel.

Als alle Ranees zu ihren Sitzen geführt wurden, beklagten sich die sechs ältesten und sprachen: »Was soll das bedeuten? Wir sechs sollen auf gewöhnlichen Holzstühlen sitzen, und die siebente erhält einen smaragdenen Thron?« Da stand die Chundun Ranee auf und erzählte in Anwesenheit der versammelten Gäste ihre Lebensgeschichte, erinnerte sie an ihre Spottreden und wie sie ihr geboten hätten, sich nicht vor ihrer Verheirathung mit dem Chundun Rajah wieder blicken zu lassen und dann zeigte sie, wie ungerecht sie von ihnen bei ihren Brüdern verleumdet sei. Als die Ranees das hörten, verstummten sie vor Furcht und Scham und waren unfähig auch nur ein Wort zu ihrer Entschuldigung zu sagen. Ihre Ehemänner aber ergrimmten so sehr, daß sie dieselben wegen der böswilligen Verläumdung ihrer Schwester greifen und sie zu erhängen befahlen. Und das geschah auch sofort. Diese sechs Brüder aber heiratheten am selben Tag, als Chundun Rajah mit ihrer Schwester zum zweiten Male Hochzeit hielt, unter großem, unerhörtem Jubel sechs schöne Hofdamen, und von dem Tage an lebten alle zusammen in vollkommener Eintracht und Harmonie bis an ihr Lebensende.


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