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Wie ein Schafhirt reich wurde - Märchen von Theodor Vernaleken: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt


Wie ein Schafhirt reich wurde

Ein Hirt weidete auf der Wiese seine Schafe. Es war ein heißer Sommertag, und die Herde verlief sich in den benachbarten Wald, um vor der Hitze geschützt zu sein. Als sich der Hirt vergebens bemüht hatte, die Schafe zusammenzutreiben, wurde er zornig, und die Herde sich selbst überlassend, ging er fort in die weite Welt. –

Unser Schäfer war das Gehen gewohnt, daher dauerte es gar nicht lange und er stand vor dem Thore der Hauptstadt, die er noch nie gesehen hatte. Ihm kam daher vieles wunderbar vor, und er blieb oft mit aufgesperrtem Munde stehen, wie die Kuh vor der neuen Stallthür. Unter anderem gewahrte er einen Mann mit blauen Beinkleidern und weißem Rocke. Erstaunt über solche Kleidung, fragte er einen Nebenstehenden: »Freund, könnt Ihr mir nicht sagen, was das dort für ein Herr ist, der blaue Beinkleider und einen weißen Rock trägt?« – »Das ist ein Soldat«, erwiederte der Gefragte. »Soldat! was ist denn das, ein Soldat?« fragte abermals der Hirt. »Der Soldat ist im Dienste des Königs, wofür er Geld bekommt; er muß Wache stehen und in den Krieg ziehen«, sagte der Städter. »So ein Stand möchte mir gefallen«, erwiederte der Schäfer, »könnte ich wohl Soldat werden?« – »Das versteht sich, und Ihr kämet dem Könige gerade recht, denn jetzt braucht er viele Leute, da es mit dem benachbarten Könige wahrscheinlich zum Kriege kommt.«

Nachdem der Hirt noch über Verschiedenes gefragt hatte, ging er in's königliche Schloß und ließ sich anwerben. Schon des andern Tages schritt der neugebackene Soldat stolz durch die Straßen der Hauptstadt und bildete sich auf seine Kleidung etwas ein.

Kaum konnte unser Soldat ein wenig mit dem Gewehr umgehn und bald rechts bald links sich drehen, so kam schon die Reihe an ihn, Wache zu stehn, und zwar in der Nacht. Dieß hätte ihn nicht eingeschüchtert, denn er war kein Hasenherz, aber es stand dießmal, wie er von einem Kameraden hörte, das Leben auf dem Spiele. Der Soldat sollte nämlich bei dem »Teufelsfelsen« von 11–12 Uhr wachen, und um diese Zeit trieb dort der Teufel sein Wesen, und der hatte schon manchen wachehaltenden Soldaten in Stücke zerrissen. Der Hirt wurde ganz außer sich und dachte nach, wie er dieser Gefahr entkommen könne. Während seine Kameraden zu Mittag in der Kaserne ihr Mahl verzehrten, machte sich der Schäfer unbemerkt reisefertig und verließ so schnell, als es eben ging, die Stadt. Außerhalb derselben begegnete er einem Greise, welcher den Soldaten nach der Ursache seiner Eile befragte. Der Hirt, gewöhnt, offen und wahr zu reden, vertraute sein Vorhaben dem alten Manne. Dieser sprach: »Mein Sohn, du begehst eine schlechte That, indem du wegläufst; kehre zurück, stelle dich auf den gefürchteten Posten, vergiß nur nicht mit dem geweihten Bajonett einen Kreis um dich zu ziehen. Folgst du meinem Rathe, so wird dir kein Haar gekrümmt.« Die Worte des Alten gingen dem jungen Ausreißer zu Herzen. Er machte rechtsum und schritt in die Stadt zurück.

Es hatte noch nicht eilf geschlagen, als unser Soldat schon bei dem »Teufelsfelsen« stand, und da er nach dem Rathe des Greises einen Kreis um sich gezogen hatte, und auf diese Weise seine Haut den Krallen und Zähnen des Teufels entzog, harrte er muthvoll der Dinge, die da kommen sollten. Um eilf Uhr kommt der böse Geist und rennt auf die Wache los. Vor dem Kreise angelangt, kann er nicht weiter, und schreit vor Zorn schnaubend: »Komm heraus, sonst zerreiße ich dich!« – Der Soldat gab weder eine Antwort, noch rührte er sich von der Stelle. Der Teufel rief dasselbe noch zweimal, aber umsonst; hierauf sprach er gelassen: »Du bist der erste, der meiner Macht Trotz geboten. Für diese That sollst du einen Lohn von mir haben. Komm mit mir!« – Der Soldat besann sich eine Weile und folgte dann dem Teufel. Dieser schritt rasch auf eine Stelle des Felsens zu und dort schlug er mit einer goldenen Ruthe auf den Felsen, welcher sogleich aufsprang. Beide traten in das Innere ein. Hier zeigte der Teufel dem erstaunten jungen Soldaten die Menge Goldes, Silbers und schöner Perlen. Als beide sich verabschiedeten, übergab der Teufel unserm Hirten drei wertvolle Sachen und sprach: »Brauchst du Geld, so komm zu diesem Felsen, schlage mit der goldenen Ruthe, die ich dir da schenke, auf denselben und er öffnet sich dir, worauf du so viel von den Schätzen nehmen kannst, als du nöthig hast. Dieses Fläschchen enthält eine Flüssigkeit von der Beschaffenheit, daß ein mit derselben befeuchtetes Schloß sich allsogleich öffnet. Das dritte ist diese schwarze Wurzel. Legst du sie auf ein Häuflein Geld, so wird augenblicklich das gerecht erworbene von dem ungerecht erworbenen geschieden.« Nachdem dieses der Teufel gesagt hatte, verschwand er.

Der Soldat wollte sich auf seinen Posten begeben, jedoch es stand schon ein anderer Wache. Er ging nun zu dem Vorgesetzten und erzählte, wie es ihm ergangen war. Da er sich nun ohne große Mühe genug Geld verschaffen konnte, kündete er dem Könige den Dienst und führte von nun an ein bequemes Leben, vergaß aber dabei der Armen nicht. So schenkte er seinem Schuhmacher, der sehr dürftig war, für das jedesmalige Putzen der Stiefel einen Dukaten. Der arme Schuhmacher pries auch, wohin er nur immer kam, die große Freigebigkeit seines Wohlthäters. Eines Morgens sprach der reiche Schäfer zum Schuhmacher, welcher eben die Stiefel gebracht hatte: »Ich habe dir schon viel Gutes gethan, aber es ist noch zu wenig. Ich will dich zu einem reichen Manne machen, komm daher heute zu mir, wenn es dunkel geworden ist.«

Vor Freude außer sich, verließ der Schuhmacher den Schäfer und hatte nun nichts Eiligers zu thun, als allen Leuten, denen er begegnete, das ihm bevorstehende Glück auszuposaunen. Einer erzählte es dem andern, und so ging diese Nachricht durch die Stadt, bis es selbst der König erfuhr. Dieser ließ den Schuhmacher vor sich rufen und nachdem er ihn über die Sache genau befragt hatte, sprach er: »Ich werde dich auch reich machen, wenn du mich heute anstatt deiner mit dem Schäfer gehen läßt und mir deine Kleider borgst.« Der Schuster willigte ein und versprach darüber zu schweigen.

Als es dunkel wurde, begab sich der König in der Kleidung des Schuhmachers zum Schäfer, welcher ihn schon erwartete. In der Dunkelheit blieb der König unerkannt. Beide gingen nun in das Haus eines wegen Betrug und Wucher berüchtigten Kaufmannes. Mit dem Zauberwasser befeuchtet, sprangen alle Schlösser auf und so gelangten sie bis zu der Kasse. Nachdem diese geöffnet war, legte der Schäfer die schwarze Wurzel auf das Geld und siehe da – fast die Hälfte des Geldes, nämlich das ungerecht erworbene, flog heraus und wurde vom Könige aufgefangen, da ihm der Schäfer zurief: »Greif nur zu! Nimm so viel du kannst!« – Als beide das Haus des Kaufmannes verließen, sprach der verkleidete König: »Jetzt gehen wir wohl in die königliche Schatzkammer, nicht wahr?« – »Hast du denn nicht schon genug an diesem, daß du noch mehr verlangst? Ich war noch nicht drinnen und gehe auch heute nicht hinein«, antwortete der redliche Schäfer. Der König ließ ihm aber keine Ruhe, bis er nachgab und seine Schritte nach dem Schatzhause richtete. Im Innern desselben angelangt, legte der Schäfer abermals die schwarze Wurzel auf das aufgespeicherte Geld, aber nichts rührte sich von der Stelle. Der König horchte gespannt, bis der Schäfer ihm befehlen werde, zuzugreifen, aber dieser schwieg, und als der König mit der Hand in das Geld fuhr, um einiges mitzunehmen, sprach der Schäfer voll Entrüstung über die kecke That: »Augenblicklich laß ab von dem, oder ich haue dir den Arm entzwei, denn merke dir's, ich nehme nur das ungerecht erworbene Geld.« Gleich darauf verließen beide das Schatzhaus und vor der Thür desselben nahmen sie Abschied von einander. Da sprach der Schäfer zum vermeinten Schuhmacher: »Weil du arm warst, so wollte ich dich reich machen, aber kaum hast du den Glanz des Goldes gesehen, wirst du auch schon habsüchtig. Geh von mir, erwarte nie mehr eine Unterstützung.«

Des andern Tages ließ der König den Schäfer holen und belobte ihn wegen seiner Ehrlichkeit, nachdem er demselben das Geheimnis der vorigen Nacht offenbart hatte. Dann bat er ihn, er möge auf die Weise fortfahren, den Armen zu nützen. Der Schäfer that dieß auch und lebte so, sich und andere Leute glücklich machend. Als er zu sterben kam, vermachte er die drei Zauberdinge dem Könige.


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