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Die Geschichte von den zwei Schwestern - Märchen von Christian Schneller: Märchen und Sagen aus Wälschtirol


Die Geschichte von den zwei Schwestern

Einmal war ein Mann und ein Weib, welche zwei Töchter hatten; die eine war hässlich, aber gut, die andere dagegen schön, aber böse. Die Mutter liebte die schöne mehr als die hässliche und gab dieser letztern immer viel zu arbeiten. Einmal schickte sie dieselbe mit dem Rocken hinaus zu spinnen. Das gute Mädchen kam zu einem Bache, aber unversehens trug ihr das Wasser den Rocken fort. Sie getraute sich nicht ohne Rocken nach Hause zu kommen und lief dem Wasser nach, um den Rocken aufzufangen. So lief sie weit, immer weiter, bis sie zu einem Hause kam. Es dämmerte schon und müde war sie auch. Sie klopfte also und drinnen fragte ein Weib: »Wer ist's?« – »Ein armes Mädchen, welches Euch um Einlass und Nachtherberge bittet.« Da kam das Weib heraus und sagte: »Ich getraue mich nicht; denn wenn der wilde Mann ('l Salvan) kommt, so schlägt er dich todt.« Aber das Mädchen bat so lange, bis das Weib sie hinein liess und unter einer Truhe versteckte. Plötzlich kam der wilde Mann und fragte: »Was ist da für ein Gestank von getauftem Fleisch?« Das Weib wollte lange mit der Antwort nicht heraus; zuletzt sprach sie: »Es ist ein armes Mädchen; wenn du mir versprichst ihm nichts zu thun, so will ich dir sagen, wo sie ist.« Das Mädchen aber kam sogleich unter der Truhe heraus, erzählte ihre Geschichte und der wilde Mann that ihr nichts zu Leide. Hierauf bediente sie ihn gar sittig beim Abendessen und er war ihr gut. Am Morgen, als sie fortging, schenkte er ihr ein schönes goldenes Kleid. Voll Freude eilte sie nach Hause.

Als die Mutter das schöne Kleid gesehen hatte, sagte sie zur zweiten Schwester: »Geh' auch du hin und hole dir ein Kleid.« Sie ging in das Haus des wilden Mannes und bediente ihn auch beim Essen, aber sie sagte immer: »Ich will auch ein goldenes Kleid!« Der wilde Mann aber wurde zornig und warf sie noch in derselben Nacht zum Hause hinaus.

»Allö bone pitscholö la gö va bön ö allö burtö mal.« So heisst es fassanerisch; zu deutsch aber lautet es: »Den guten Mädchen geht es gut und den bösen schlecht.« –


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