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Von den Laumes - Märchen von August Schleicher: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder


Von den Laumes

In alten Zeiten gab es auch Laumes, und die alten Litauer hielten sie für böse Geister, die an vielen Orten als verwünschte Wesen sich aufhalten musten und die sich stets in der Gestalt von Frauen zeigten. Sie konnten tüchtig arbeiten, als spinnen, weben und auch Feldarbeiten verrichten, aber nur konnten sie niemals eine Arbeit anfangen oder vollenden. Böses oder Schaden fügten sie den Menschen gerade nicht zu, oft aber thaten sie Gutes; der größte Schade, den sie anzurichten pflegten war, daß sie neu geborene Kinder stahlen oder vertauschten. Solche von den Laumes vertauschte Kinder hatten entsetzlich große Köpfe, die sie nie gerade halten konnten; und wenn sie auch zehn Jahre oder älter wurden, so erreichten solche Kinder doch nie ein höheres Alter als zwölf Jahre.

Eine Landwirtin hatte einmal ein solches von einer Laume vertauschtes Kind aufgezogen und es war schon bald zwölf Jahre alt, aber ganz ohne alle Kraft, so daß sie es immer tragen und füttern muste. Da kam zufällig einmal zur Sommerzeit ein altes Bettelmännchen, dem klagte die Wirtin ihre Not wegen des Kindes. Der Bettler gab ihr den Rat, sie solle ein Hühnerei nehmen, es fein ausgießen, und in die Schale Waßer schütten, und sie so zurichten, daß sie dieselbe wie einen kleinen Keßel aufhängen könne; dann solle sie das Kind mit in die Küche nehmen, ein kleines Feuer anmachen und so thun, als wolle sie Alus1 brauen; da werde das Kind, wenn es das sehe, zu reden beginnen, aber dann auch sterben. Die Frau that das alles, und sieh, als sie in der Küche damit beschäftigt war, sagte das Kind ›Mutter, was machst du da?‹ Die Mutter sagte »Mein Kind, ich mache Alus.« Das Kind sagte darauf ›Gott erbarm! ich bin schon so alt, ich war schon auf der Welt ehe das Kamschtschener2 Wäldchen gepflanzt war, in dem große Bäume wuchsen und das jetzt schon wieder verödet ist, aber etwas so wunderbares habe ich noch nicht gesehen.‹ Nachher ward das Kind sofort krank und starb.

Eine sehr wunderbare Geschichte vom Vertauschen der Kinder, die sich in einem Dorfe des Kirchsprengels Budweeten3 zugetragen, und die noch gar viele unter den alten Leuten zu erzählen wißen, ist folgende. Eine Landwirtin genas eines Kindes; den Tag darauf fuhr der Landwirt gegen Abend in die Stadt, um ein zu kaufen, was man zur Kindtaufsfeier brauchte; der Knecht aber schlief in der Hausflur. Die Litauer hatten aber ehemals sehr große Hausfluren, wie man das noch in alten Gebäuden findet. Spät am Abend als alle in ihren Betten lagen und es schon tief in der Nacht war, kamen zwei Laumes. Wo und wie sie in die Hausflur gekommen waren, das wuste der Knecht nicht; er hörte nur, wie sie mit einander sprachen, denn er war noch nicht recht eingeschlafen, sondern nur eingeschlummert. Sie giengen sogleich in die Küche und zündeten sich da einen Spahn an, schlichen sich dann leise in die Stube und brachten bald darauf das neu geborene Kind der Wirtin heraus, wickelten es auf und wickelten es in ihre Windeln; in die Windeln des Kindes aber wickelten sie den Ofenbesen ein. Als das geschehen war, konnten sie sich durchaus nicht darüber einigen, welche von ihnen den Ofenwisch zur Wirtin hinein tragen und anstatt des Kindes zu ihr hinlegen solle. So zankten sie sich lange herum ›Trag dus, trag dus!‹ Als sie aber sich nicht einigen konnten, trugen sie es beide zugleich. Während dem sprang der Knecht aus dem Bette und legte schnell das Kind seiner Wirtin, das die Laumes in der Küche hatten liegen laßen, zu sich ins Bett. Als die Laumes aus der Stube in die Küche zurück kehrten und das Kind nicht fanden, ergrimmten sie nicht wenig und begannen auf einander zu schelten: ›Du bist schuld!‹ »Nein, du bist schuld; habe ich nicht gesagt, trag du, ich werde hier bleiben und Wache halten; ich habe ja gesagt, daß man es stehlen werde.« Indem sie so sich ärgerten und sich zankten, kakaryku! da krähte der Hahn, und beide, husch, husch! stoben zur Thüre hin aus. Da nahm der Knecht das Kind und trug es in die Stube. In der Stube brannte wol der Spahn, aber die Wöchnerin schlief so fest, daß sie der Knecht nicht wecken konnte, sondern sie anfaßen und schütteln muste, und auch so dauerte es lange, bis er sie munter brachte. Als sie erwachte, sagte sie ›Ach, mögest du gesund sein dafür, daß du mich geweckt hast; ich träumte einen so entsetzlichen Traum, als hätte man mir einen Klotz auf die Brust gelegt, so daß ich kaum Atem holen konnte.‹ Da erzählte ihr der Knecht den ganzen Hergang der Sache, aber sie wollte es nicht glauben, bis sie selbst sah, daß sie zwei Kinder da habe, eins wol dem gleich, das sie geboren, aber das andre sah so wundersam aus, das war eben das aus dem Ofenwische gemachte. Den andern Morgen gieng der Knecht zum Pfarrer, erzählte ihm die Sache und fragte ihn, was da zu thun sei. Der Pfarrer gab dem Knechte folgende Anweisung ›Wenn du das ganz sicher weist und darauf schwören kannst, so nimm, wenn du nach Hause kommst, den Wechselbalg, leg ihn auf die Schwelle und hau ihm mit der Axt den Kopf ab, denn der Wechselbalg darf nicht vier und zwanzig Stunden alt werden; denn erst nach Verlauf dieser Zeit wird er erst recht lebendig.‹ Als der Knecht nach Hause kam, wollte er das doch nicht allein thun, sondern wartete, bis sein Herr aus der Stadt wieder zurück kam. Da erzählte ihm der Knecht alles und beide giengen nach der Anordnung des Pfarrers unverzüglich daran, den Wechselbalg um zu bringen. Wie sie ihm aber den Kopf abhieben, da fanden sich in ihm noch alle Strohhalme vor, aber es floß aus ihnen Blut, als wenn es Adern wären. Deshalb meinten nun die alten Litauer, daß solche Dickköpfe von den Laumes vertauscht seien; jetzt aber gibt es keine mehr, oder sie sind doch sehr selten. Eben deshalb muste vor der Taufe stets ein Spahnlicht brennen, wie das bei vielen Litauern auch noch gehalten wird.

Eine andre Geschichte. Ein Knecht schlief in einer Kammer allein und jede Nacht kam eine Laume und drückte ihn eine lange Zeit hindurch, so daß der Mensch schon ganz herab gekommen war. Er versuchte alles, aber nichts half etwas, bis ihm jemand sagte, wie er die Laume fangen könne. Er solle nämlich in den Wald gehn, eine im Dickicht stehende junge Eiche abhauen und sich daraus einen nach oben dünner zugeschnitzten Stöpsel machen, und mit dem solle er das Loch zukeilen, durch welches die Laume in die Kammer krieche; ferner solle er sich aus dreimal neun Stückchen Eisen einen Hammer machen und in den Hammer einen lindenen Stiel einsetzen laßen: mit dem Hammer müße er jenen Stöpsel eintreiben. Als er das alles in Bereitschaft hatte, gab er eine Nacht Acht, und so bald er merkte, daß die Laume herein geschlüpft sei, sprang er aus dem Bette, keilte das Loch zu und legte sich wieder nieder. Die Nacht hindurch merkte er sonst nichts, als in einer Ecke, da war es als ob eine Katze im Heu kratze; als es aber Tag ward, da fand er eine sehr schöne Jungfrau, aber sie war sehr traurig. Nicht lange darnach heiratete er diese Jungfrau und es gieng ihnen recht gut, denn sie konnte schön und flink arbeiten, nur konnte sie nichts anfangen und nichts vollenden; auch bekamen sie zwei Kinder, aber sie war immer sehr verdrießlich wegen des Stöpsels und bat ihn fortwährend, er möge den Stöpsel heraus ziehen, dann werde sie auch jede Arbeit anfangen und vollenden können. Nach einigen Jahren öffnete er auch jenes Loch, aber sieh da! in der ersten Nacht darauf verschwand auch seine Frau und kehrte nicht mehr zurück; aber jeden Donnerstag Abend brachte sie den beiden Kindern jedem ein weißes Hemdchen fast ein ganzes Jahr lang; sie selbst sah aber niemand.

Wieder in einem Hause starben Vater und Mutter und hinterließen ein Töchterchen von etwa vierzehn Jahren. Da kamen zwei Laumes zu ihr und sagten ›Ach, liebes Kind, weine nicht so sehr um dein Väterchen und dein Mütterchen! Wir beide werden dich mit allem versorgen, du sollst an nichts Mangel haben und du wirst weder zu spinnen noch zu weben brauchen.‹ Mit solchen schönen Wörtchen beruhigten sie das Mädchen einigermaßen, und nicht lange nachher fand sie in ihrer Kleete4 ein paar tüchtige Rollen schönes Linnen, und je länger, desto mehr Rollen fanden sich, nicht nur Linnen, sondern auch allerlei theure bunte Stoffe. Die beiden Laumes hatten ihr aber gesagt, sie solle nie etwas mit der Elle meßen und wenn sie auch noch so viel habe. Einst aber, nach langer Zeit, da sie nicht mehr wuste, wohin mit ihrem Reichtum, wollte sie die Elle nehmen, meßen und auf den Markt fahren und verkaufen; so wie sie aber gemeßen hatte, war die Nacht darauf alles verschwunden und sie bekam nie wieder etwas.

Eine Landwirtin, die eine Witwe war, konnte zur Zeit des Schnittes ihr Feld nicht abernten und jammerte sehr darüber. Da kam eine Laume zu ihr und sagte ›Wenn du mir einmal satt Speck zu eßen gibst, so bringe ich dir dein ganzes Sommergetreide mit dem Tage ein.‹ Die Wirtin dachte »Das ist doch wenig genug« und versprach es. Früh war alles Getreide in der Scheuer; da briet geschwind die Wirtin einen tüchtigen Teller voll Speck, und bald kam die Laume und machte sich daran den Speck zu eßen. Der war aber sofort aufgezehrt und die Wirtin muste rohen Speck herbei bringen, aber so viel sie auch brachte, jene aß es stets auf. Als sie von der letzten Speckseite nur noch einen kleinen Streifen hatte, schlug sie damit die Laume über den Mund. Die Laume verzog den Mund und sagte ›Klitsch, klatsch! das schlägt und haut über die Lippen; na wart, du Ausbund von einer Kanaille, ich werde dir dafür arbeiten; wie dein Sommergetreide auf dem Felde gelegen, so solls auch wieder dort liegen.‹ So geschah es auch. Die Laume trug in kurzer Zeit alles aus der Scheuer wieder auf das Feld und breitete es wieder so aus, wie es gewesen war; den Speck aber ersetzte sie nicht wieder, der war und blieb aufgegeßen.

Eine andere Landwirtin, die eine große Arbeiterin war, hatte ein Kleines, und da sie am Tage nicht ihre Arbeit versäumen wollte, so gieng sie Abends spät, um die Windeln auf dem Stege des Teiches auszuwaschen; und das geschah zufällig auch einmal Donnerstags Abend. Den andern Donnerstag fiengen nach Sonnenuntergang die Laumes an auf dem Stege Wäsche zu bläuen, daß es fürchterlich an zu hören war; und so geschah es nun jeden Donnerstag Abend. Die Leute in dem Hause hatten darüber nicht wenig Verdruß und Sorge. Nach langer Zeit belehrte sie ein alter Mann, sie sollten Bast nehmen und sich daraus eine Peitsche drehen, aber verkehrt müsten sie drehen; mit der Peitsche solle jemand an den Steg gehen und so bald er das Wäschebläuen vernehme, immer auf den Steg los hauen, auch wenn nichts zu sehen wäre. So thaten die Leute nun auch. Die Wirtin hatte einen Bruder mit Namen Joachim, der war Soldat gewesen und hatte Mut. Als man am folgenden Donnerstag Abend das Wäschebläuen wieder vernahm, da nahm Joachim die Bastpeitsche, gieng zum Stege hin und klatschte mit der Peitsche fürchterlich drauf los. Obwol er nichts sah, so fand er doch auf dem Stege drei Waschbläuel, die er mit nach Hause nahm. Den Abend wars nun ruhig und den andern Donnerstag Abend auch; aber als Joachim sich in seiner Kammer zu Bette legte, da rief es immer an seinem Kammerfensterchen ›Joachimchen, gib uns unsere Waschbläuelchen wieder!‹ Und das gieng lange so fort. Eben so geschah es am nächsten Donnerstag Abend, und am dritten rief es wieder ›Joachimchen, gib uns unsere Waschbläuelchen wieder, sonst wird es uns sehr schlecht gehen; gib sie zurück, Brüderchen, sonst werden wir umgebracht!‹ Da hatte Joachim Mitleid und trug die drei Waschbläuel auf den Steg. Die Laumes nahmen sie sogleich weg und wuschen von der Zeit an nicht mehr.

Wieder eine andere Wirtin hatte ein kleines Kind und es war die Zeit der Ernte. Nach dem Frühstücke machte sie Waßer heiß und badete das Kind, dann wickelte sie es schön ein, ließ es trinken und legte es hin und das Kind schlief ein. Sodann machte sie ihren Schnittern das zweite Frühstück zurecht; und da sie nicht weit hinter den Häusern schnitten, so trug sie es auch selbst hin, indem sie dachte, das Kind werde so lange schlafen bis sie wieder kommen werde. Aber welcher Schreck! als sie die Stubenthüre öffnete, husch! sprang eine Laume zur Thüre hinaus. Die Laume hatte irgend wo in einem Winkel gestanden und zugesehen, als die Mutter das Kind badete; und als die Mutter weg gegangen war, wollte sie das auch thun, aber sie hatte das Waßer bis zum Kochen heiß gemacht und das Kind in das Waßer gelegt. Das Kind hatte davon seine Haut verloren und elend sterben müßen, und so fand es die Mutter todt in der Badewanne liegend.

Wieder eine andere Landwirtin rüstete sich, um zur Zeit der Arbeit ein Schock feiner Linnen zu weben, aber sie konnte kaum anfangen; wegen der vielen Feldarbeit konnte sie nicht zum weben kommen, und sie ärgerte sich nicht wenig darüber, daß sie vergeblich die Zurüstungen getroffen, und sagte sehr oft ›Mein Linnen werden die Laumes auszuweben bekommen.‹ Eines Tages kam auch eine Laume und sagte zu der Wirtin »Du bietest dein Linnen immer den Laumes zu weben an; da bin ich nun gekommen, ich werde dir dein Linnen bis aufs Fertigmachen ausweben. Wenn du, bis ich ausgewoben, meinen Namen erraten und mich schön bewirten5 wirst, so gehört das Linnen dir; wenn aber nicht, dann ist es mein.« Das machte der Wirtin nicht wenig Sorge, aber sie machte doch sofort den Teig zu Kuchen, buk und war so geschäftig als möglich, um die Laume gut bewirten zu können. Indem so die Wirtin ab und zu gieng, lobte sich die Laume beim Weben immer selbst und sagte ›Das webt, das klappert Bigutte.‹ Die Wirtin merkte sich das. Als nun die Laume bis zum Fertigmachen gewoben hatte, da stieg sie vom Webstuhle herunter und sagte ›Na, Wirtin, nun sage, wie ich heiße.‹ Die Wirtin erwiderte »Das hat Bigutte ausgewoben und ausgeklappert.« Als das die Laume hörte, wollte sie weder Bewirtung6, noch sonst etwas, sondern lief in gröstem Zorne und immer ausspuckend davon.

Die Alten meinten, daß die Laumes an Donnerstags Abenden sich am meisten unter den Menschen herum zu treiben pflegten. Dieser Abend war der Laumes-Abend, und deswegen durfte man da nirgend wo spinnen. Hatten wo die Frauen am Donnerstag Abend gesponnen, so begannen die Laumes, wenn die Leute schliefen, an demselben Rocken weiter zu spinnen bis der Hahn krähte, und das Gesponnene nahmen sie mit. Deswegen ist der genannte Abend bei den Litauern bis auf diesen Tag ein heiliger Abend, besonders aber darf nicht gesponnen werden. Auch durfte den Abend nach Sonnenuntergang nicht gewaschen oder sonst welche Arbeit verrichtet werden, die die Laumes auch zu verrichten pflegten, damit diese nicht ihren Vorteil dabei hatten und den Menschen Schaden thaten.





Fußnoten

1 Hausbier, das bei keinem häuslichen Feste fehlen darf.



2 Lauter Orte des Kreises Ragnit, in dem auch das Dorf Kakschen liegt, aus dem diese Mittheilung stammt.



3 Lauter Orte des Kreises Ragnit, in dem auch das Dorf Kakschen liegt, aus dem diese Mittheilung stammt.



4 Vorratshäuschen und zugleich Schlafgemach der erwachsenen weiblichen Jugend; man findet diese Kleeten jetzt nicht mehr überall.



5 Im Litauischen »lieben.« Man sagt: Er hat mich sehr geliebt, d.h. er hat mich reichlich bewirtet (so daß ich über und über betrunken war).



6 Im Litauischen »Liebe«.


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