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Die Geschichte vom Principe Scursuni - Märchen von Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen


Die Geschichte vom Principe Scursuni

Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten Alles, was ihr Herz begehrte, Essen und Trinken, schöne Kleider und Wagen, und Feste so oft sie wollten, und nur Eines fehlte ihnen: sie hatten keine Kinder. Die Königin aber sprach immer in ihrem Herzen: »O Gott, ein jedes Thier hat seine Jungen, selbst die Spinnen, die Eidechsen und Käfer, und nur mir habt ihr kein Kind gegeben.« Da ging sie eines Tages im Garten spazieren, und sah eine Ringelnatter mit ihren Jungen umherkriechen, da sprach sie: »O Gott, wie viele Jungen habt ihr diesem giftigen Thiere gegeben, und mir schenkt ihr kein Kind. So wollte ich denn, ich hätte einen Sohn, und wenn es ein Scursuni wäre.«

Nicht lange darauf wurde die Königin guter Hoffnung, und es war darüber große Freude im Schloß und im ganzen Land. Als die neun Monate vorüber waren, kam ihre Stunde, da sie gebären sollte, und der König schickte sogleich nach der Hebamme. Als diese aber in die Thüre des Zimmers trat, wo die Königin lag, fiel sie todt nieder. »Was ist das?« rief der König. »Schnell, rufet eine andre Hebamme.« Da ließen sie eine andre kommen, es erging ihr aber nicht besser als der ersten; und so viele sie auch rufen mochten, sie fielen alle todt nieder, sobald sie das Zimmer der Königin betraten.

Nun wohnte neben dem Schlosse ein armer Schuster, der hatte eine einzige Tochter, die war wunderschön. Sie hatte aber eine Stiefmutter, die konnte das Mädchen nicht leiden, und sann immer darüber nach, wie sie sie verderben könne. Als nun die böse Stiefmutter hörte, welche große Noth auf dem Schlosse herrschte, sprach sie zu dem Mädchen: »Zieh dich an, und geh aufs Schloß; du sollst der Königin in ihrer schweren Stunde beistehen,« denn sie dachte, nun werde das Mädchen sterben, wie die anderen Frauen auch. »Ach,« sagte das Mädchen, »wie soll ich der Königin beistehen? Es kann ja Niemand an sie herantreten, ohne zu sterben.« »Das geht mich nichts an,« sprach die böse Stiefmutter, und trieb das arme Mädchen mit harten Worten hinaus. Da ging das arme Mädchen in die nahe Kirche, wo ihre rechte Mutter begraben war, und jammerte: »Ach, Seele meiner Mutter! ach, liebes Mütterchen! siehe doch wie ich mißhandelt werde! ach, hilf mir doch!« »Weine nicht!« antwortete eine Stimme, und das war die Seele ihrer Mutter; »sondern geh muthig aufs Schloß, denn wenn du thust, was ich dir sage, so wird dir kein Leid geschehen. Laß dir vom Schlosser ein Paar eiserne Handschuhe machen, und ziehe sie an. Dann bereite einen großen Kübel Milch, und wenn die Königin ihr Kind gebären wird, so ergreife es mit den eisernen Handschuhen, und wirf es in die Milch.« Da ging das Mädchen getröstet aus der Kirche, und ließ sich vom Schlosser ein Paar eiserne Handschuhe machen; die zog sie an, und ging aufs Schloß, um der Königin beizustehen. Ehe sie aber ins Zimmer trat, ließ sie sich einen großen Kübel mit Milch geben, den nahm sie mit und stellte ihn neben das Bett. Die Königin lag noch in schweren Nöthen, als aber die Schusterstochter sie in ihre Arme nahm, konnte sie das Kind zur Welt bringen, und sie gebar einen Sohn, der war anzusehen, wie ein ganz großer Scursuni. Da ergriff ihn das Mädchen mit den eisernen Handschuhen, und warf ihn in die Milch, und der Scursuni trank die Milch und badete sich darin.

So wurde der Sohn der Königin mit jedem Tage größer und stärker, er war und blieb aber ein Scursuni, darum, weil seine Mutter sich versündigt hatte, als sie sich einen Sohn wünschte, und wenn es ein Scursuni wäre.

So vergingen einige Jahre; eines Tages aber sprach der Scursuni zu seiner Mutter: »Mutter, gebt mir eine Frau, ich will mich verheirathen.« »Ach, nun will das Thier gar heirathen,« rief die Königin, »wer wollte dich denn wohl nehmen, du häßlicher Scursuni!« »Mutter! das geht mich nichts an, ich will aber eine Frau haben.« Da ging die Königin zum König, und sprach: »Denke dir, unser Sohn will heirathen. Neben uns wohnt ein armer Weber, der hat eine hübsche Tochter; die wollen wir kommen lassen, ohne ihr zu sagen, daß sie unsern Sohn heirathen soll.« Der König war es zufrieden, und die Königin ließ den Weber rufen, und sprach zu ihm: »Meister, ihr habt eine hübsche Tochter; schicket sie uns doch, daß sie meinen Sohn bediene, und ihm aufwarte, so wollen wir sie reich bezahlen.« Der Vater willigte gern ein, und schickte seine Tochter aufs Schloß, und sie wurde zum Principe Scursuni eingesperrt. Am Abend legte sie sich zu Bette, um Mitternacht aber streifte der Scursuni plötzlich seine Schlangenhaut ab, und stand da als ein schöner, wohlgebildeter Mann. »Wessen Tochter bist du?« frug er das Mädchen. Sie sprach: »Die Tochter eines Webers.« »Was! ich bin ein Königssohn, und man bringt mir zur Frau die Tochter eines Webers?« Mit diesen Worten fuhr er wieder in seine Schlangenhaut, und stach sie zu Tode.

Am nächsten Morgen kam die Königin ins Zimmer, und frug den Principe Scursuni: »Nun, mein Sohn, hat dir deine Frau gefallen?« »Was? die soll meine Frau sein?« brummte er, »ich bin eines Königs Sohn, und will eine Fürstentochter heirathen, nicht aber die Tochter eines armseligen Webers. Seht, dort liegt sie.« Da lief die Königin ans Bett, und fand das todte Mädchen, und jammerte: »Nun hat der garstige Scursuni das arme Mädchen ermordet!« Dem Weber aber ließ sie sagen, seine Tochter sei gestorben.

Nicht lange, so verlangte der Principe Scursuni wieder nach einer Frau. »Mutter,« sprach er, »ich will heirathen, verschafft mir eine Frau.« »Ach, geh doch, du häßlicher Scursuni, wer sollte dich wohl zum Manne nehmen?« »Mutter! das ist mir einerlei; eine Frau müßt ihr mir aber verschaffen.« Was konnte die Königin thun? Sie dachte: »Gott sendet mir dies Kreuz um meiner Sünden willen,« und ließ einen armen Schlosser rufen, der wohnte neben dem Schloß, und hatte auch eine hübsche Tochter. »Meister,« sprach sie, »ihr habt eine hübsche Tochter, schickt sie uns doch, daß sie bei uns diene, so wollen wir für sie sorgen.« Der Schlosser war es zufrieden, und schickte seine Tochter aufs Schloß. Die Königin nahm sie freundlich auf, und brachte sie ins Zimmer zum Principe Scursuni. Am Abend legte sie sich zu Bett, um Mitternacht aber streifte der Scursuni seine Schlangenhaut ab, und stand als ein schöner Mann da, und frug sie: »Wessen Tochter bist du?« »Die Tochter eines Schlossers.« »Was? ich soll die Tochter eines Schlossers heirathen, und bin doch ein Königssohn?« Damit fuhr er wieder in seine Schlangenhaut, und stach sie zu Tode.

Am Morgen dachte die Königin voller Angst: »Wenn mir der unglückliche Scursuni nur nicht auch dies arme Mädchen ermordet hat.« Da trat sie ins Zimmer, und frug ihren Sohn: »Nun, mein Sohn, wie hat dir deine Frau gefallen?« »Was? meine Frau? ich will eine Königstochter zur Frau und keine Schlosserstochter. Dort liegt sie.« Da lief die Königin ans Bett, und sah das arme Mädchen todt drin liegen, und jammerte: »Nun hat der Bösewicht auch dieses unglückliche Mädchen ermordet!« Dem Vater aber ließ sie sagen, seine Tochter sei gestorben.

Nun lebte noch immer neben dem Schlosse der arme Schuster, der die schöne Tochter hatte; die böse Stiefmutter aber konnte sie immer weniger leiden, und trachtete, wie sie sie verderben könnte. Da sprach sie zu ihr: »Zieh dich an, denn du sollst aufs Schloß gehen, und den Principe Scursuni bedienen.« »Ach,« antwortete die Tochter, »es sind schon zwei Mädchen in seinem Dienste gestorben, nun wollt ihr mich auch todt sehen.« »Widersprich mir nicht,« sprach die Stiefmutter, »sondern mache dich fertig, und wenn du nicht gehorchen willst, so jage ich dich aus dem Hause.« Da ging das Mädchen jammernd in die Kirche, wo ihre Mutter begraben war, und weinte: »Ach, Seele meiner Mutter! ach, liebes Mütterchen mein! sieh, wie man mich so arg mißhandelt! ach, hilf mir doch!« »Weine nicht!« antwortete die Seele ihrer Mutter, »sondern gehe ruhig aufs Schloß zum Principe Scursuni. Wenn er dich aber fragt, wessen Tochter du seiest, so antworte ihm, du seiest eines großen Fürsten Tochter, und erzähle ihm von deinem Reichthum und deinen Schätzen.« Da ging das Mädchen mit ihrer Stiefmutter aufs Schloß, und die Stiefmutter sprach zur Königin: »Königliche Majestät, hier bringe ich euch meine Stieftochter, die will gern dem Principe Scursuni dienen.« Die Königin nahm sie freundlich auf, und führte sie in das Zimmer ihres Sohnes, und sperrte sie mit ihm ein.

Am Abend legte sich die Schusterstochter zu Bett, und um Mitternacht streifte der Königssohn seine Schlangenhaut ab, und stand da als ein schöner, großer Mann. »Wessen Tochter bist du?« frug er das Mädchen. Da fing sie an zu erzählen, sie sei eines reichen Fürsten Tochter, und sprach von ihren Schätzen und ihrem Reichthum. Nun war der Königssohn ganz zufrieden, und sprach: »Auf mir ruht ein Fluch, den hat mir meine Mutter zugezogen, als sie sich einen Sohn wünschte, und wenn es ein Scursuni wäre. Wenn ich aber von meinem Zauber erlöst sein werde, dann sollst du meine Gemahlin sein.« Dann legte auch er sich nieder, und sie schliefen ruhig bis zum Morgen; als aber der Tag anbrach, fuhr er wieder in seine Schlangenhaut. Am Morgen kam die Königin voller Angst in das Zimmer ihres Sohnes, da trat ihr aber die Schusterstochter munter und fröhlich entgegen, und der Principe Scursuni rief: »So, Mutter, nun habe ich eine gute Frau gefunden!«

So vergingen mehre Monate, und die Schusterstochter lebte mit dem Principe Scursuni auf seinem Zimmer, und er liebte sie wie seine Augen. Bald wurde sie auch guter Hoffnung, und als ihre Stunde kam, gebar sie einen wunderschönen Sohn, sie hielt ihn aber versteckt, daß weder der König noch die Königin von ihm wußten. In der Nacht nun weinte das Kindchen einmal, da stand der Königssohn auf, wiegte es und sang:



»Schlaf, schlaf, schließ die Aeugelein!

Erfährt es deine Großmama,

Mit goldnen Windeln ist sie da.«2



Da hörte die Königin den Gesang, und am nächsten Morgen rief sie die Schusterstochter, und frug sie: »Was war das für ein Gesang heute Nacht in eurem Zimmer?« Da erzählte ihr die Schusterstochter Alles, und sprach: »Ach, wenn ihr wüßtet was euer Sohn für ein schöner Jüngling ist! aber es ruht ein böser Zauber auf ihm.« »Frage ihn, wie man ihn erlösen kann,« sprach die Königin. Am Abend nun frug das Mädchen den Königssohn: »Was gehört dazu, um dich von deinem Zauber zu erlösen?« »Um mich zu erlösen, müßte ein Gewand von feiner weißer Leinwand in einem Tage gesponnen, gewoben und genäht werden. Dann müßte ein Kalkofen drei Tage und drei Nächte lang geheizt werden, und wenn ich meine Schlangenhaut abstreife, müßte mir Jemand das Gewand überwerfen, und die Haut schnell in den Kalkofen werfen. Mich aber muß man mit Gewalt festhalten, sonst stürze ich mich auch ins Feuer.«

Am andern Morgen sagte sie Alles der Königin, und sie rief gleich alle Arbeiterinnen der ganzen Stadt zusammen; die mußten in einem Tage den Flachs spinnen und weben, und daraus ein leinenes Gewand nähen. Dann ließ sie drei Tage und drei Nächte den Kalkofen heizen, und als Alles fertig war, gab sie der Schusterstochter das Gewand. Am Abend, als der Principe Scursuni seine Schlangenhaut abgestreift hatte, warf ihm seine Frau das Gewand über. Zugleich sprangen die Diener herein; einige warfen die Schlangenhaut ins Feuer, die andern aber hielten den Königssohn fest, der um sich schlug, und sich durchaus auch ins Feuer stürzen wollte. Und als die Haut ganz verbrannt war, da wich auch der Zauber von ihm, und er blieb ein schöner Jüngling. Der König und die Königin umarmten voll Freude ihren Sohn, und ihren kleinen Enkel, und auch ihre liebe Schwiegertochter. Die aber sprach zum Königssohn: »Ich bin keine Fürstentochter, wie ich dir gesagt habe, sondern mein Vater ist nur ein armer Schuster.« Da antwortete er: »Du hast mich von meinem Zauber erlöst; darum sollst du auch meine liebe Gemahlin sein. Und sie feierten eine prächtige Hochzeit, mit großen Festlichkeiten, und so blieben sie zufrieden und glücklich, wir aber wie ein Bündel Wurzeln.«

Fußnoten

1 Scursuni, Ringelnatter; nach der Aussage eines Naturkundigen, der eine solche Schlange untersucht hat. Sie gilt hier allgemein für giftig, im Gegensatz zur ungiftigen serpe. Im Wörterbuch von Fanfani heißt es: Scorzone, – serpe nero velenosissimo. – In der Phantasie des Volkes ist es jedenfalls ein sehr gefährliches Thier, vor dem sie eine besondere Scheu haben; beim Erzählen brauchen sie oft den verschlimmernden Ausdruck Scursunazzu.



2 »Dormi, dormi, e fa la ninna,

Si to nanna lu saprà,

Fasci d' oru ti farà.«



Ninne nanne = Wiegenlieder. Vigo, Canti popolari Siciliani pag. 269 u. f.


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