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Haltet fest - Märchen von Emil Karl Blümml: Schwänke und Schnurren des französischen Bauernvolkes


Haltet fest

Einst lebte ein junger Mühlknecht, der höchst unglücklich war. Sein Herr prügelte ihn, gab ihm schlechte Kost und keinen Lohn. Endlich verliess ihn die Geduld. – »Gott befohlen, lieber Herr. Ich stelle mich nun auf eigene Füsse.« – Tatsächlich pachtete er sich eine Windmühle, hatte aber kein Glück damit. Der Wind blies im ersten Jahre kaum und es regnete furchtbar viel. Er war daher nicht imstande, seinen Pachtzins zu bezahlen.

»Merke es dir, lieber Müller,« sprach der Besitzer der Mühle, »wenn du mich bis morgen Früh nicht zahlst, so kommst du in das Schuldgefängnis.« – Der Besitzer ging weg und liess den Müller weinend zurück. Dieser setzte sich vor die Türe der Mühle und rief: »Ach Gott, was soll ich anfangen!« – Bei Sonnenuntergang ging eine Frau vorüber, die schwarz wie die Nacht und uralt war. »Lieber Müller, warum weinst du?« – »Weil ich Grund dazu habe. Ich besitze nicht einen Heller und wenn ich bis morgen nicht meinen Pacht für die Mühle bezahle, so lässt mich der Besitzer in den Schuldturmwerfen.« – »Lieber Müller, weine nicht. Hier hast du das Geld und bezahle damit den Pacht für ein Jahr.« – »Danke, danke, liebe, gute Frau.«

Am nächsten Morgen bezahlte der Müller seinen Pacht und konnte nun wieder in der Mühle verbleiben. Aber auch dieses Jahr hatte er kein Glück, denn der Wind blieb aus und es regnete übermässig viel, sodass er nicht imstande war, seinen Pachtzins zu bezahlen. – »Merke es dir, lieber Müller,« sprach der Besitzer der Mühle, »wenn du mich bis morgen früh nicht bezahlst, so kommst du in das Schuldgefängnis.« – Der Besitzer ging weg und liess den Müller weinend zurück. Dieser setzte sich vor die Türe der Mühle und rief: »Ach Gott, was soll ich beginnen!« – Bei Sonnenuntergang ging eine Frau vorüber, die schwarz wie die Nacht und uralt war. »Lieber Müller, warum weinst du?« – »Weil ich Grund dazu habe. Ich besitze nicht einen Heller und wenn ich bis morgen nicht meinen Pacht für die Mühle bezahle, so lässt mich der Besitzer in den Schuldturmwerfen.« – »Lieber Müller, weine nicht. Hier hast du Geld und bezahle damit den Pacht für zwei Jahre.« – »Danke, danke, liebe, gute Frau.«

Am nächsten Morgen bezahlte der Müller seinen Pacht für zwei Jahre. Aber auch im dritten und vierten Jahre blies der Wind nur unmerklich und es regnete übermässig, sodass er nicht imstande war, seinen Pacht zu bezahlen. – »Merke es dir, lieber Müller,« sprach der Besitzer der Mühle, »wenn du mich bis morgen Früh nicht bezahlst, so kommst du in das Schuldgefängnis.« – Der Besitzer ging weg und liess den Müller weinend zurück. Dieser setzte sich vor die Türe der Mühle und weinte. Bei Sonnenuntergang ging eine Frau vorüber, die schwarz wie die Nacht und uralt war. – »Lieber Müller, warum weinst du?« – »Weil ich Grund dazu habe. Ich besitze keinen Heller und wenn ich bis morgen nicht meinen Pacht für die Mühle bezahle, so lässt mich der Besitzer in den Schuldturmwerfen.« – »Lieber Müller, weine nicht. Hier hast du einen Holunderzweig. Bediene dich dessen wohl. Sobald du willst, dass zwei Personen oder zwei Dinge sich vereinen, so rufe: ›Haltet fest!‹ und berühre die Dinge mit deinem Stab. Sobald du nicht schreist: ›Lasset los!‹ kann weder Gott, noch der Teufel die Dinge trennen.« – »Danke, danke, liebe, gute Frau.«

Am nächsten Morgen fand sich der Müller mit seinem Stabe auf dem Hauptplatze des Ortes ein. Soeben spülte die Wirtschafterin des Pfarrers das Nachtgeschirr ihres Herrn aus. Der Müller berührte sie und das Nachtgeschirr mit dem Holunderzweig und rief: »Haltet fest!« – Sogleich waren die Wirtschafterin und das Nachtgeschirr ein Körper und weder Gott, noch der Teufel hätten die Macht besessen, sie zu trennen.

»Zu Hilfe!« schrie die Wirtschafterin. Ein Müller, sein mit Hafer beladenes Maultier am Zügel haltend, eilte herzu. – »Haltet fest!« – Sogleich waren der Müller, sein mit Hafer beladenes Maultier, die Wirtschafterin und das Nachtgeschirr des Pfarrers ein Körper und weder Gott, noch der Teufel hätten sie trennen können.

»Zu Hilfe!« schrien die Wirtschafterin und der Müller. – Ein Fuhrmann kam soeben mit seinem vollen Heuwagen, dem sieben Pferde vorgespannt waren, herbei. Das vorderste Pferd roch den Hafer und näherte sich dem Maultier. – »Haltet fest!« – Sogleich waren die Wirtschafterin, der Nachttopf, der Müller, das mit Hafer beladene Maultier, der Heuwagen, die sieben Pferde und der Fuhrmann ein Körper und weder Gott, noch der Teufel hätten sie trennen können.

»Zu Hilfe!« schrien die Wirtschafterin, der Müller und der Fuhrmann. – Der Besitzer der Mühle kam soeben in seinem vierspännigen Wagen, den ein goldbordierter Kutscher lenkte, auf den Platz. Die vier Pferde ersahen das Heu und näherten sich. – »Haltet fest!« – Sofort waren die Wirtschafterin, der Nachttopf, der Müller, das mit Hafer beladene Pferd, der Heuwagen, die sieben Pferde desselben, der Fuhrmann, der Besitzer der Mühle, der Wagen mit den vier Pferden und der goldbordierte Kutscher ein Körper und weder Gott, noch der Teufel hätten sie trennen können.

»Zu Hilfe! Zu Hilfe!« – Aber die Ortsbewohner flohen erschreckt davon. Bis Sonnenuntergang betrachtete der Müller mit dem Holunderzweig kaltblütig sein Werk. Endlich erbarmten ihm die Leute und die Tiere. – »Herr,« sprach er zum Eigentümer der Mühle, »was gebt ihr mir, wenn ich euch frei mache?« – »Müller, ich gebe dir meine Windmühle, die ich ausbessern lasse und drei schöne Maultiere.« – »Es sei. Lasset los!« – Sogleich lösten sich der Besitzer der Mühle, sein Wagen, die vier Pferde und der goldbordierte Diener vom Heuwagen, den sieben Pferden und dem Fuhrmann los. Der Heuwagen, die sieben Pferde und der Fuhrmann lösten sich vom Müller und dem mit Hafer beladenen Maultier. Der Müller und das mit Hafer beladene Maultier lösten sich von der Wirtschafterin und dem Nachttopf. Die Wirtschafterin des Pfarrers löste sich vom Nachttopf.



(Gascogne.)


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