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Von den Zwillingsbrüdern - Märchen von Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen


Von den Zwillingsbrüdern

Es war einmal ein König, der hatte ein schönes großes Reich, er hatte aber gar keine Kinder. Nun begab es sich, daß ein Krieg ausbrach mit einem andern König, und der König mußte auch in den Krieg ziehen und verlor die Schlacht, also daß er auch alle seine Staaten verlor, und mit seiner Frau aus dem Reiche fliehen mußte. Da wanderten sie eine lange Zeit, bis sie an eine Stelle am Meeresstrand kamen, wo niemand zu sehen war; dort bauten sie ein Hüttchen und der König ging auf den Fischfang, und die Königin kochte die Fische, die er heimbrachte, und so lebten sie kümmerlich mit einander.

Nun begab es sich eines Tages, daß der König einen goldnen Fisch fing, der sprach zu ihm: »Höre, nimm mich mit nach Haus, und schneide mich in acht Stücke. Zwei davon gib deiner Frau zu essen, zwei deinem Pferd, zwei deiner Hündin, und zwei vergrabe in den Garten, so wird es dein Glück sein.« Der König that also; brachte den Fisch nach Haus und zerschnitt ihn in acht Stücke. Zwei davon gab er der Königin zu essen, zwei seinem Pferd, zwei seiner Hündin, und zwei vergrub er in den Garten.

Nicht lange, so hatte die Königin Aussicht, ein Kind zu bekommen, und als ihre Zeit herankam, gebar sie zwei wunderschöne Knaben, die sahen sich so ähnlich, daß man sie nicht von einander unterscheiden konnte, und an demselben Tage brachte das Pferd zwei Füllen zur Welt, und die Hündin zwei Hündlein, und in dem Garten wuchsen zwei Schwerter auf die waren ganz von Gold, und waren Zauberschwerter. Die beiden Knaben wuchsen auf und gediehen, und wurden immer größer und stärker. Sie glichen sich aber so, daß selbst Vater und Mutter sie nicht von einander unterscheiden konnten.

Als sie nun große, starke Jünglinge geworden waren, erzählte ihnen ihr Vater eines Tages, wie er ein mächtiger König gewesen, aber von einem Mächtigeren besiegt und seiner Staaten beraubt worden sei. »Vater,« antworteten da die beiden Brüder, »wir wollen ausziehen in die weite Welt, und euch eure Staaten wieder erwerben. Gebt uns euren Segen und laßt uns ziehen.« Der König und die Königin waren sehr betrübt und wollten ihre lieben Kinder nicht ziehen lassen, aber die beiden Brüder antworteten: »Wenn ihr uns euren Segen nicht geben wollt, so müssen wir eben ohne Segen fortziehen, denn fortziehen wollen wir.« Da gaben ihnen die Eltern ihren Segen, und jeder von den Brüdern zog eins der Zauberschwerter aus dem Garten, bestieg eins der Pferde und nahm einen der Hunde mit sich, und so ritten sie auf und davon. Als sie nun eine Zeitlang geritten waren, sprach der Eine: »Lieber Bruder, hier wollen wir uns nun trennen; gehe du auf die eine Seite, so will ich auf die andre gehen, und wenn wir etwas erlangt haben, so wollen wir uns hier wieder treffen.« Der Bruder war es zufrieden, und so schieden sie von einander.

Der eine Bruder ritt immer gerade aus, und kam endlich in eine Stadt, die war festlich geschmückt. »Warum ist eure Stadt so festlich geschmückt?« frug er Einen auf der Straße. Der antwortete: »Unser König hat einmal, vor vielen Jahren, die Staaten eines benachbarten Königs erworben; nun hat er eine wunderschöne Tochter, da hat er allen Rittern verkündigen lassen, er werde ein Turnier veranstalten, das solle drei Tage lang dauern, und wer an allen drei Tagen Sieger sei, der solle die Königstochter heirathen, und als Mitgift werde ihm der König die eroberten Staaten schenken.« »Wie heißt denn euer König?« frug der Jüngling. Da nannte ihm der Mann den Namen des Königs, und der Jüngling erkannte, daß es derselbe König war, der die Staaten seines Vaters erobert hatte. Da ging er zuerst in ein Wirthshaus und erfrischte sich mit Speise und Trank. Dann sattelte er sein Pferd, schnallte sein Zauberschwert um, und ritt auch zum Turnier. Da waren viele edle Ritter versammelt, aber der unbekannte Jüngling besiegte sie Alle, denn niemand konnte seinem Zauberschwert widerstehen. Am nächsten Tag erschien der unbekannte Jüngling wieder beim Turnier, und war wieder Sieger über Alle, und am dritten Tage ging es ebenso. Da sprach der König zu ihm: »Du bist an allen drei Tagen Sieger gewesen, und sollst nun meine Tochter heirathen; sage mir aber auch, wer du bist.« Da gab sich der Jüngling zu erkennen, und sprach: »Ich bin der Sohn des Königs, den ihr besiegt habt, und dessen Staaten ihr eurer Tochter zur Mitgift geben wollt. Ich habe meines Vaters Staaten wieder erworben, und bin zufrieden, und nun wollen wir eine vergnügte Hochzeit feiern.« Also hielten sie eine glänzende Hochzeit, und der Königssohn heirathete die Königstochter, die war schöner als die Sonne. Nun schickte er seinem Vater einen Wagen und schöne Kleider, und ließ ihm sagen, er solle kommen, sein Sohn habe ihm seine Staaten wieder erworben. Der Königssohn aber lebte vergnügt mit seiner jungen Gemahlin.

Eines Tages siel es ihm ein, er wolle auf die Jagd gehen, und sprach zu seiner Frau: »Ich will heute auf die Jagd gehen, und drei Tage fortbleiben.« Da nahm er sein goldnes Schwert, bestieg sein Pferd, und nahm auch seinen Hund mit. An demselbigen Tage aber kam sein Bruder auf einem andern Wege in dieselbige Stadt, und weil er seinem Bruder so ähnlich sah, und dasselbe Pferd, denselben Hund und dasselbe Schwert hatte, so hielten ihn alle Leute für den jungen König, und grüßten ihn ehrerbietigst. Darüber verwunderte er sich sehr, und dachte: »Sollte wohl mein Bruder auch hier sein?« Als er nun an das Schloß kam, führten ihn die Diener hinauf, und die Königstochter eilte ihm entgegen, und rief: »Mein lieber Gemahl, diesen Morgen erst bist du fortgeritten, und hast mir noch gesagt, du werdest drei Tage lang wegbleiben.« »Ich habe mich anders besonnen,« antwortete der Königssohn. Da führte sie ihn zur Tafel, und am Abend mußte er mit ihr in ihre Kammer gehen. Als sie sich aber niederlegten, nahm er sein zweischneidiges Schwert, und legte es zwischen sich und die Königstochter, die erschrak so sehr darüber, daß sie gar nicht wagte, ihn zu fragen, warum er das thue. So that er jeden Abend.

Als nun die drei Tage um waren, kam der junge Gemahl der Königstochter von der Jagd zurück, und alle Leute erstaunten, als sie den jungen König noch einmal sahen. Er aber ging geradewegs auf das Schloß. Da erblickte er seinen Bruder, der im Schloßhof stand, und eilte auf ihn zu, umarmte ihn voll Freuden, und rief: »Lieber Bruder, bist du auch da? Nun wollen wir erst recht vergnügt sein.« Da waren Alle sehr erstaunt, und er erklärte dem König und der Königstochter, wie Alles zugegangen sei, und die junge Frau schmiegte sich an ihn, und sprach leise: »Also hat dein Bruder drei Nächte in deinem Bette geruht. Jetzt weiß ich auch, warum er immer ein zweischneidiges Schwert zwischen uns legte.«

Nach einigen Tagen kamen auch die Eltern der beiden Brüder an, und alle zusammen zogen sie dann wieder in ihre Staaten, wo der Königssohn König wurde und die schöne Königstochter Königin. Der andere Bruder aber nahm mit der Zeit eine andere Königstochter zur Gemahlin, und so blieben sie Alle reich und getröstet, wir aber sind hier sitzen geblieben.1

Fußnoten

1 Iddi ristaru ricchi e cunsulati,

E nui ristammu ccà sittati.


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