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Der Teufel, der das Flohfell erkannte - Märchen von August Leskien: Balkanmärchen aus Bulgarien


Der Teufel, der das Flohfell erkannte

Ein Zar hatte einen Floh in eine große Flasche eingeschlossen und ihn viele Jahre gefüttert; der Floh wuchs und wurde so groß wie ein großes Kalb. Da schlachtete ihn der Zar, zog ihm die Haut ab, füllte sie mit Stroh und hängte sie am Tore auf. Darauf ließ er in seinem ganzen Reiche verkünden, wer erkennen könne, woher das Fell stammt, dem würde er seine Tochter zur Frau geben. Als die Leute davon hörten, eilten sie von allen Seiten herbei, um herauszufinden, was es für ein Fell sei, aber keiner, so viele es auch sahen, konnte es erkennen. Der eine sagte: es ist von einem Büffelkalb, der andere: von einem Kuhkalb, der eine dies, der andere das, wie es ihm gerade in den Kopf kam, aber keiner traf es, und keiner bekam die Zarentochter zur Frau. Als so kein Mensch herausfinden konnte, was es für ein Fell war, stieg ein Teufel aus dem Meere, verwandelte sich in einen Menschen, begab sich zum Zaren und sagte ihm richtig, daß es ein Flohfell sei. Darauf bekam er die Zarentochter zur Frau, denn der Zar konnte sein Wort nicht zurücknehmen. Sie richteten nun am Zarenhofe die Hochzeit aus, und der Teufel machte sich mit der Zarentochter auf den Weg in sein Land, und der Zar rückte mit großem Gefolge, mit Pfeifen und Trommeln aus, Schwiegersohn und Tochter zu geleiten. Der Teufel ging Hand in Hand mit der Zarentochter, und als sie ans Meer kamen, zog er sie nach sich ins Meer, und weg waren sie, vor aller Augen verschwunden. Was nun? Der Zar war sehr bekümmert und schickte Schiffer aufs Meer, seine Tochter zu suchen; aber soviel sie auch suchten, sie fanden sie nirgends. Da kehrte der Zar um, verweint und vergrämt, daß Gott erbarm, und erließ einen Befehl über das ganze Reich: niemand solle am Abend Licht anzünden, niemand Hochzeit machen, niemand ein Lied anstimmen. Herolde auf Herolde riefen aus: »Wehe dem, der diese Befehle des Zaren übertritt.«

Es lebte aber eine alte Frau in der Zarenstadt, die hatte sechs Söhne. Alle sechs waren sehr geschickt, jeder hatte eine besondere Gabe, die kein andrer Mensch hatte. Die Alte war sehr erfreut über solche Söhne, zündete jeden Abend Licht an und sang fröhliche Lieder. Als die Wächter des Zaren das bemerkten, hinterbrachten sie es ihm, er ließ die Frau zu sich rufen und sagte zu ihr: »Nun, Frau, warum gehorchst du meinem Befehl nicht? Du weißt doch wohl, daß ein Meermann meine Tochter genommen und ins Meer entführt hat. Müßtest du nicht bei der großen Trauer, die ich habe, auch trauern und nicht nachts Licht brennen und Lieder singen?« – »Erhabener Zar,« antwortete die Frau, »solange du lebst und meine sechs Söhne – das sind tüchtige Burschen, mehr als alle andern – habe ich recht zu singen und Licht zu brennen.« – »Worin sind denn deine Söhne so tüchtig, daß du sie so rühmst? Laß mich hören«, sagte der Zar. Darauf antwortete sie: »Das will ich dir sagen, erhabener Zar, mein ältester Sohn kann mit einem Schluck das ganze Meer austrinken, der zweite kann zehn Mann auf die Schulter heben und mit ihnen davonlaufen wie ein dreijähriger Hirsch; der dritte braucht nur mit der Faust auf die Erde zu schlagen, und es steht ein Turm da; der vierte kann mit dem Pfeil höher schießen als der Himmel und alles treffen; der fünfte kann mit einem Anhauch einen Toten wieder lebendig machen, und der sechste, wenn er das Ohr auf die Erde legt, kann alles hören, was in der Erde gesprochen wird.« Darauf sagte der Zar: »Solche Leute such ich ja gerade, Frau; sag ihnen schnell, daß sie gleich zu mir kommen sollen; sie sollen mir etwas ausrichten, darauf werde ich sie zu meinen Günstlingen machen, und du magst noch ungezwungener sein und noch mehr singen.« Die Frau verneigte sich vor dem Zaren, ging zu ihren Söhnen und berief sie zu ihm. Die sechs Brüder gingen, verneigten sich vor dem Zaren, und er sagte zu ihnen: »Hört zu, ihr sechs Brüder; ich habe gehört, daß ihr Gaben habt wie kein andrer Mensch auf der Welt; damit könnt ihr wohl meine Tochter aus dem Meere herausholen und sie mir nach Hause bringen. Ich verspreche, daß ich sie dem ältesten zur Frau geben und euch alle zu meinen Günstlingen machen will.«

Als die sechs Brüder diese Worte des Zaren vernommen hatten, gingen sie ans Meer und der, der die Gabe hatte zu hören, legte das Ohr an die Erde, um zu hören, wo die Zarentochter sein könnte; er horchte es richtig heraus und erkannte, an welcher Stelle des Meeres sie sich mit dem Teufel befand. Darauf sagte er zu dem Bruder Meerschlucker: »Schluck das Meer hier ein.« Der bückte sich und verschluckte das Meer. Da sahen sie die Zarentochter sitzen und weinen, der Teufel lag mit dem Kopf auf ihrem Knie und schlief. Sie gingen nun zu ihr hinab, und der, der zehn Mann auf der Schulter tragen konnte, ergriff sie und setzte sie auf sich; dem Teufel aber steckten sie einen Frosch in den Mund, daß er aufwachen soll, wenn der quakt. Darauf setzten sich die anderen fünf Brüder auch auf ihn, und er stürmte mit ihnen davon wie ein Hirsch übers Gebirge. Der Frosch begann im Munde des Teufels zu quaken, und der wachte auf. Da sah er, daß das Meer trocken und die Zarentochter fort war und wäre vor Ärger beinahe geplatzt.

Als er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte und sich umsah, rückwärts und vorwärts, erblickte er die sechs mit der Zarentochter auf der Flucht, alle auf dem einen Bruder sitzend. Da fuhr er los und hatte sie beinahe erreicht. »Gib das Meer von dir«, sagten die fünf Brüder zu dem, der das Meer verschluckt hatte; das tat der Meerschlucker, und es entstand ein See. Der Teufel flog aber hinüber und kam wieder heran; da riefen die Brüder: »Bruder, schlag mit der Faust auf die Erde, daß ein Turm entsteht, sonst macht uns der Teufel kaputt.« Das tat der, und es entstand ein Turm, in dem sie zugleich alle eingeschlossen waren. Der Teufel dreht und wendet sich und weiß nicht was machen. Dann sagte er zu ihnen: »Ach, ihr Leute, wenn es angeht, laßt die Zarentochter mir nur den kleinen Finger zeigen, daß ich von ihr den noch einmal sehe, nachher mögt ihr sie bringen, wohin ihr wollt.« Sollten sie nun dem Teufel den kleinen Finger der Zarentochter zeigen oder nicht? Endlich meinten sie, sie wollten es tun, so würden sie wohl am leichtesten davon kommen. Darauf brachten sie die Zarentochter dazu, den Finger durch das Schlüsselloch zu stecken und ihn so dem Teufel zu zeigen. Kaum hatte der ihn gesehen, als er ihn in den Mund nahm und dem Mädchen die Seele aussaugte, so daß sie starb. Darauf stürzte der Teufel fort, aber der Bruder, der da alles treffen konnte, schoß auf ihn und schoß ihn tot. Der Bruder, der lebendig machen konnte, hauchte auf die Zarentochter, und sie lebte wieder auf. Dann brachten sie sie zu dem Zaren, und der verheiratete sie gleich mit dem ältesten, die andern machte er zu seinen Günstlingen, wie er es versprochen hatte.


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