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Der Sklaven-Patron - Märchen von Erzherzog Ludwig Salvator: Märchen aus Mallorca


Der Sklaven-Patron

In Andraitx lebte ein Patron bei dem Vordach1 des Platzes. Dieser Patron hatte die Gewohnheit, jedes Jahr am Weihnachtstage, bevor er zu Mittag speiste, vor die Thüre seines Hauses zu gehen und wenn er irgend einen Fremden unter dem Vordach sah, lud er ihn in sein Haus zum Speisen ein.

Eines Jahres am Weihnachtstage sah er einen Mauren unter dem Vordach stehen, und obschon er gegen die Mauren nicht günstig gesinnt war, weil er sie auf dem Meere sehr nahe gesehen hatte, so lud er ihn nichtsdestoweniger zum Essen ein, um die Gewohnheit nicht zu verlieren.

Nach langer Zeit nahm eines Tages eine Barke mit Mauren die Barke dieses Patrons weg, macht ihn zum Gefangenen und führten ihn fort, um ihn auf dem Markte von Algier zu verkaufen.

Hier ging ein Maure von mittlerem Alter vorüber, sah ihn, kaufte ihn und führte ihn nach seinem Hause.

Als sie zu Hause waren, gab ihm der Maure ein gutes Essen und als sie mit dem Essen fertig waren, sagte er ihm:

– Ihr seid Mallorquiner, nicht wahr?

– Ja Herr, antwortete ihm der Patron.

– Ich war schon auf Mallorca und von welcher Ortschaft seid ihr? Seid ihr nicht aus Andraitx?

– Ja Herr, sagte wieder der Patron, etwas erstaunt.

– Ich war auch in Andraitx, erinnert ihr euch schon nicht meiner?

– Nein, ich erinnere mich nicht, sie je gesehen zu haben, sagte der Patron.

– Und ihr erinnert euch nicht an einen Mauren, den ihr am Weihnachtstage zum Essen eingeladen habt und der unter dem Vordache des Platzes von Andraitx stand?

– Ja, ja, jetzt erinnere ich mich.

– Und nun, jener Maure bin ich und um euch die Gutthat, die ihr mir erwiesen habt, zu vergelten, habe ich euch auch zum Mittagsmahl eingeladen und ich werde euch die Freiheit geben, damit ihr in euere Heimath zurückkehren könnt.

Der Patron war sehr dankbar und kehrte nach Mallorca zurück; aber nach vier oder fünf Jahren nahmen ihn die Mauren wieder gefangen, sie verkauften ihn von Neuen und wieder kaufte ihn der gleiche Maure, der ihn wieder zum Essen einlud und ihm wieder die Freiheit schenkte.

Nach vier oder fünf Jahren geschah ihm nochmals das nämliche und der Maure, als sie mit dem Mittagmahl fertig waren, sagte zu ihm:

– Drei Male habe ich euch zum Mittagmahle eingeladen und euch die Freiheit gegeben, aber jetzt bin ich alt und kann von einem Tag auf den anderen sterben. Und wenn ich sterbe, kann ich euch nicht mehr zum Essen einladen und euch nicht mehr die Freiheit geben. Deswegen rathe ich euch, schifft euch nicht mehr ein und so werden sie euch nicht ein viertes Mal fangen. Gehet weg und fahret fort, eure gute Sitte zu befolgen, an Weihnachten denjenigen ein Mittagmahl zu geben, die sich von ihrem eigenen Hause entfernt finden.

Fußnoten

1 Jetzt besteht dieses Vordach nicht mehr.


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