Wissenswertes

+ Lyrik
+ Epik
+ Dramatik

Anzeigen




A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z


zurück zu Dietrich Jecklin: Volksthümliches aus Graubünden

Der Fuchs von Fulun - Märchen von Dietrich Jecklin: Volksthümliches aus Graubünden


Der Fuchs von Fulun

Am Eingange des Thales Lavinuoz, wo der Fluß gleichen Namens zwischen den hochemporragenden Felsen kaum einen Ausgang finden kam, um brausend mit dem Inn sich zu vereinen, findet sich eine große Höhle, welche den Raubthieren zur Zufluchtsstätte dient.

In dieser Höhle soll vor Zeiten auch ein Fuchs sein Lager aufgeschlagen haben, welcher nächtlicher Weile nach Lavin schlich, um dem Geflügel Besuch abzustatten.

Die guten Laviner, die ihre Hühner lieber selber verspeisen wollten, als sie dem Meister Pfiffikus zu gönnen, geriethen oft in Verzweiflung und konnten seiner nicht habhaft werden, obgleich er oft selbst am Tage höchst herausfordernd von Stall zu Stall spazirte, und bei seinem Raube ganz gemächlich verfuhr. Die Jäger im Dorfe legten vergebens auf ihn an, aber das Blei that ihm keinen Schaden und gelegte Fallen roch er von Weitem, warf auch zum Schabernack Holzstücke in dieselben, daß sie zuklappten. So ging's lange Zeit.

Endlich gab ein Montafuner, der pfiffiger als andere Menschenkinder und im Hexenfangen besonders bewandert war, den Rath, die »Ledigen« sollen sich der Reihe nach aufstellen an einem Dorf-Ende, so müsse der Fuchs bei ihnen vorbei, und auf diese Weise könne man sehen, wo er seinen »Schluff« habe; das Tödten sei dann aber noch eine andere Sache.

Die »Ledigen« stellten sich richtig auf, aber am »letzen« Ende des Dorfes; der Fuchs kam nicht. Sie stellten sich wieder auf am andern Dorf-Ende; jetzt kam er, und nun wußte man wenigstens die Richtung, wo er hinzog. – Das nächste Mal verlängerten die Burschen die Kette noch mehr, und dießmal konnte man das Quartier des Hühnerliebhabers ausfindig machen.

Der Muthigste ging in die Höhle, bemerkte den Fuchs, der auf den Hinterbeinen stand, und wollte eben auf ihn schießen, als er keinen Fuchs mehr sah, wohl aber ein altes Weib in einer weißen Schürze, einer weißen Haube auf dem Kopfe und einem Stocke in der Hand.

Der Jäger erschrack über dieses Weib und flüchtete, die Andern ihm nach, und der Fuchs konnte seine Visiten ungestört fortsetzen. Alles war in großer Angst; man wußte sich nicht zu rathen und zu helfen; der Montafuner war inzwischen weiters gegangen und somit nicht mehr zu berathen.

Auf einmal blieb der Fuchs aus, und für immer verschwunden. – Aber vor jedem Unwetter soll man in der Höhle ein Winseln vernehmen, gleich dem Weinen eines kleinen Kindes.


Anzeigen