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Der geprellte Betrüger - Märchen von Emil Karl Blümml: Schwänke und Schnurren des französischen Bauernvolkes


Der geprellte Betrüger

Ein Mann starb und hinterliess seinem Sohne Tignosello grosse Reichtümer. Trotz seiner Kränklichkeit führte er ein lustiges Leben und warf das Geld zum Fenster hinaus, wollte sich aber nicht bestehlen lassen.

Als im August die Ernte beendet war und Tignosello seine Scheuern gefüllt hatte, empfing er eines Tages den Besuch des Pfarrers. »Du bist so reich,« rief dieser »und lässt deinen Vater im Fegefeuer schmachten? Sei ein guter Sohn und verschaffe ihm den Himmel.« – »Kann ich denn etwas dazu tun, lieber Herr Pfarrer?« – »Dummkopf, weisst du denn nicht, dass man mit Geld auch die Pforten des Paradieses öffnen kann?« – »Ich würde überaus glücklich sein, wenn dies sein könnte.« – »Gib mir zwanzig Scheffel Korn und ich verpflichte mich, deinem Vater binnen vierundzwanzig Stunden den Himmel zu verschaffen.« – »Ich nehme diesen Vorschlag, lieber Herr Pfarrer, mit Freude an, aber. ..« – »Was gibt es da ein aber!« – »Ich möchte sehen, wie er aus dem Fegefeuer ins Paradies geht.« – »Wenn du sonst nichts willst, das kann geschehen. Komm' morgen mit der Getreideladung zu mir und du wirst befriedigt wieder von dannen gehen.«

Tignosello kam pünktlich. Zwanzig Scheffel Weizen trug sein Pferd und beide näherten sich dem Hause des Pfarrers. Als sie dieser sah, lief er herbei. – »Ach, da bist du ja! Ich wusste ja, dass du ein liebender und getreuer Sohn seist. .. Aber lade doch dein Tier ab und trage die Säcke herein.« – »Sofort. Erinnert euch aber zunächst, dass ihr mir versprochen habt, dass ich meinen Vater in den Himmel eingehen sehe.« – »Ja, ja, ich erinnere mich schon.«

Der Pfarrer holte ein altes, staubiges Buch, in dem sich eine Menge Latein fand, das er selbst nicht verstand. »Stelle deinen Fuss auf meinen und passe auf.« – »Ich bin bereit, ihr könnt beginnen.« Der Pfarrer machte einigemale das Kreuz, rief den Herrgott, die Engel, die Seelen und die Dämone an und endlich sprach er zu Tignosello: »Nun erhebt sich dein Vater und nimmt von seinen Freunden Abschied; jetzt geht er fort. Siehst du ihn, Tignosello?« – »Ich nehme ihn nicht gut aus.« – »Stütze dich besser auf mich.« – »Ach, dort ist er ja, jetzt sehe ich ihn. Wie er sich doch verändert hat.« – »Sei ein bisschen still, dass ich weiter lesen kann. .. Au! Au! du zerdrückst mir ja den Fuss.« – »Das ist nur deswegen, dass ich meinen Vater besser sehe, lieber Herr Pfarrer.« – »Das macht nichts, aber nur etwas sanfter. .. Nun schreitet er dem Himmel zu, jetzt klopft er an die Paradiesespforte. Hörst du, wie er klopft?« – »Wartet, ich muss mich besser an euch lehnen.« – »Heilige Jungfrau! Tignosello, nicht so fest!« – »Nun sehe ich ihn deutlich.« – »Der heilige Petrus öffnet ihm jetzt die Pforte und spricht mit ihm.« – »Ich verstehe nicht, was er zu ihm sagt.« – »Au, au! nicht so stark. Siehst du, jetzt ist er eingetreten.« – »Ich danke euch, lieber Herr Pfarrer, ich werde euch dafür ewig erkenntlich sein.«

Tignosello nahm sein Pferd beim Zügel und wollte sich trollen. – »Ja, was machst du denn, du nimmst den Weizen wieder mit?« – »Ja, lieber Herr Pfarrer.« – »Hast du mir nicht zwanzig Scheffel versprochen, wenn ich deinem Vater den Himmel verschaffe?« – »Ja gewiss, aber ist mein Vater auch dort?« – »Sicher, hast du ihn denn nicht gesehen?« – »Ich habe gar nichts gesehen, sondern glaubte euren Worten. Gott befohlen, lieber Herr Pfarrer.« – »Du schlechter Christ, ich werde dich excommunizieren, ich werde deinen Vater wieder aus dem Paradies vertreiben.« – »Da kenne ich meinen Vater zu gut; wenn es ihm dort gefällt, lässt er sich nicht mehr verjagen. Guten Abend, Herr Pfarrer.«

»Wieder einer, der mir entschlüpfte,« dachte sich der Pfarrer, aber ich werde mich schon schadlos halten.



(Corsica.)


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