Die Epoche des Naturalismus beginnt ca. 1880 und zieht sich bis in die Literatur des 20. Jahrhundert. Sie war eine wegweisende Strömung in Literatur und Theater, die sich aus dem bürgerlichen Realismus des 19. Jahrhundert heraus entwickelte und diesen noch radikalisierte. Das Wort leitet sich vom lateinischen natura ab (auf deutsch: Natur). Ziel des Naturalismus ist eine möglichst exakte Darstellung der gesellschaftlichen und sozialen Wirklichkeit, wie sie mit menschlichen Sinneseindrücken erfahren wird. Die Wirklichkeit soll ohne Verschönerung exakt dargestellt werden - das Unterprivilegierte, Ungeübte und Hässliche steht somit im Mittelpunkt der Kunst.
Der Naturalismus findet seine Wurzeln in einer politisch aufgewühlten Zeit. Europa kämpft mit der Industriellen Revolution, die menschenunwürdige Zustände für die Arbeiter zur Folge hat. In den wachsenden Städten herrschen Elend und Chaos und der Imperialismus prägt den Zeitgeist. Die Literaturwelt reagiert darauf mit einer radikalen Wende.
Die Naturalisten wenden sich ab von einer verschönerten, poetischen Abbildung der Realität. Stattdessen sehen sie es als ihre künstlerische Pflicht, all die verkommenen Zustände genauso abzubilden wie sie sind. Damit standen erstmals Figuren und Geschichten aus dem Bürgertum im Zentrum, in denen der "kleine Mann", anstatt des großen Helden zum Protagonisten wurde. Diese neue Autorenbewegung bezeichnete sich selbst zunächst als "das jüngste Deutschland". Der Begriff Naturalismus wurde ihnen von außen zugeschrieben und sollte die Strömung zunächst entwürdigen. Doch der Name bekam durch die Vernetzung der Literatur mit der Wissenschaft eine neue Bedeutung und blieb erhalten. Die Naturalisten griffen vor allem die bürgerliche Elite an, die sich fernab des Elends in ihren Salons traf und sich am Lebensstil der Aristokratie orientierte, statt die sozialen Umstände verbessern zu wollen. Außerdem stand die Gründerzeit im Fokus der Kritik, die mit ihren unrealistischen und durchweg kapitalistischen Grundsätzen zur Industrialisierung und Entmenschlichung der Arbeiter führte. Die naturalistischen Autoren orientierten sich zu Beginn an Ländern wie Russland, Skandinavien oder Frankreich, in denen es bereits naturalistische Strömungen gegeben hatte.
Der Wahrheitsbegriff - der Autor als Wissenschaftler
Für den Naturalismus ist der Autor mehr Wissenschaftler als Poet. Um die Wirklichkeit möglichst genau darzustellen entwickelten viele Autoren ihre eigenen literarisch-wissenschaftlichen Methoden, die sich an der Naturwissenschaft oder der Medizin orientierten. So sollte am besten gewährleistet sein, dass persönlicher Geschmack oder poetische Verschnörkelungen keinen Platz in den Texten fanden. Der naturalistische Autor Arno Holz bringt es mit einer knappen Formel auf den Punkt: Kunst = Natur - x, wobei das x vom Künstler so klein gehalten werden muss wie möglich. Dieser sogenannte Wahrheitsbegriff stand über allem und definierte jedes Werk eines Naturalisten, ob Roman oder Theaterstück. Durch die Grundsätze der Naturalisten verlor außerdem die Lyrik ihre Wichtigkeit, denn diese besteht aus Metaphern und muss zunächst interpretiert werden. Außerdem unterliegt sie Regeln zum Versmaß und der Länge, die für den Naturalismus keinen Zweck mehr erfüllten. Einige Autoren versuchten sich an freien Formen der Lyrik, die alle bisherigen Regeln sprengten. Doch im Allgemeinen standen prosaische Dramen und Werke im Vordergrund.
Der Sekundenstil und die phonographische Methode
Mit der Idee des Wahrheitsbegriffs entstand in stilistischer Hinsicht unter anderem der Sekundenstil, mit dem man versuchte, eine Deckungsgleichheit zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit herzustellen. Jedes noch so kleine Detail sollte beschrieben werden, sobald die Sinne es aufnahmen. Alles steht im Vordergrund, nichts ist nebensächlich. Wie bei einer Tonbandaufnahme sollten jede noch so kleine Bewegung oder sprachliche Besonderheit einer Person dokumentiert werden. Somit wurden erstmals Satzabbrüche, Dialekte, oder Stammeln in den naturalistischen Werken in den Dialog übernommen. Diese sogenannte phonographische Methode bezieht alle geografischen, soziologischen und individuellen Faktoren mit ein, die das Sprechen eines Menschen beeinflussen: Dialekt, Soziolekt und Idiolekt.
Die Milieudarstellung
Stilistisch außerdem wichtig ist die minutiös genaue Beschreibung der Schauplätze. Sie sind die Lebenswelt der Protagonisten und üben damit den größten Einfluss auf sie ein. Das Denken und Handeln der Figuren wird von ihrem Milieu von vornherein bestimmt. Daher wird jedem Detail eine dramatische Wichtigkeit zugeordnet. Das Milieu formt die Figuren und erklärt deren Handlungen - das Gegenmodell zum klassischen Drama, bei dem die Handlungen im Vordergrund stehen und Schauplätze nur kurz beschrieben sind.
Der Mensch hat laut Naturalismus keinen freien Willen mehr, sondern wird stattdessen von seinem Umfeld und seinen Trieben zu bestimmten Taten gezwungen. Mehr kann der Mensch nicht wissen oder wollen, denn sein Horizont reicht nur so weit wie seine Umstände. Innerhalb dieser Grenze ist er Opfer seiner Triebhaftigkeit. Damit ist der Naturalismus die Gegenbewegung zum Idealismus, der zuvor im 18. Jahrhundert aufgetaucht war. Im Gegensatz zum Naturalismus betrachtet der Idealismus das Denken und die Ideen eines Menschen als das Fundament von Wissen und Moral. Der Naturalismus dagegen entzieht dem Menschen diese Fähigkeit.
Auf Basis des revolutionären Denkens der Naturalisten entwickelten sich weitere Kunstströmungen, die jeweils verschiedene Interpretationen der vom Menschen aufgenommenen Wirklichkeit zuließen, wie etwa der Impressionismus oder der Expressionismus. Auch die Moderne entwickelte sich aus den Grundsätzen des Naturalismus heraus, die vor allem in ihrem Wissenschaftsanspruch infrage gestellt und neu interpretiert wurden.
Vertreter des Naturalismus
Ludwig Anzengruber (1839-1889)
Gerhart Hauptmann (1862-1946)
Max Bernstein (1854-1925)
Émile Zola (1840-1902)
Guy de Maupassant (1850-1893)
Otto Julius Bierbaum (1865-1910)
Clara Viebig (1860-1952)
Michael Georg Conrad (1846-1927)
Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910)
Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881)
Maxim Gorki (1868-1936)
August Strindberg (1849-1912)
Carl Hauptmann (1858-1921)
Arno Holz (1863-1929)
Henrik Ibsen (1828-1906)
Hermann Sudermann (1857-1928)
Bedeutsame Werke des Naturalismus
Dilettanten des Lebens von Clara Viebig (1897)
"Dilettanten des Lebens" ist der zweite autobiographische Roman Clara Viebigs, die sich in ihrem ersten Buch "Rheinlandstöchter" mit den begrenzten Möglichkeiten der Frauen in ihrer Gesellschaft auseinandersetzte. "Dilettanten des Lebens" handelt von zwei Künstlern, die gegen den Willen ihrer Familien heiraten. Die Geschehnisse spielen sich an verschiedenen Schauplätzen um 1900 herum ab.
Die Handlung
Die Ehe von Lena Langen, einer angehenden Sängerin und Richard Bredenhofer, einem Maler, beginnt mit einigen Hürden. Beide Familien sind gegen die Hochzeit, doch Lena und Richard setzen ihren Willen durch. Doch das Paar hat wenig Geld und muss seine enttäuschten Familien um finanzielle Hilfe bitten. Richards Onkel wendet sich komplett von seinem Neffen ab. Noch dazu sind beide Künstler kaum in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Der Haushalt wächst Lena über den Kopf, das Geld ist immer knapp. Noch dazu entdeckt Lena, dass die Welt des Musikgeschäfts nur aus Schall und Rauch besteht. Sie muss ihren Traum aufgeben, während Richard keinen Käufer für seine Werke findet. Er erkrankt schließlich und stirbt, umrundet von seiner Familie. Erst jetzt findet Lena Unterstützung bei ihren Verwandten, die für sie und ihr Kind sorgen möchten. Doch Lena wendet sich von ihnen ab und zieht zu ihrem Bruder. Dort sucht sie nach einem Sinn in ihrem Leben außerhalb der Kunst.
Motive und Stil
Das Buch setzt sich vor allem mit dem Scheitern eines Künstlers auseinander. Die unbarmherzige Konkurrenz innerhalb der Kunstszene, der Kampf mit dem Alltag und die falschen Kontakte können den Erfolg eines Künstlers in kurzer Zeit unmöglich machen. Die Poesie, die Liebe und die Kunst müssen sich alle den gesellschaftlichen Regeln unterwerfen, unabhängig vom Talent des Künstlers. In "Dilettanten" verarbeitet Viebig damit ihre eigenen Erfahrungen als ehemalige Sängerin.
Die Weber von Gerhart Hauptmann (1893)
Neben "Bahnwärter Thiel" ist "Die Weber" das bekannteste naturalistische Werk Gerhart Hauptmanns. Das Drama in fünf Akten handelt vom Weberaufstand im Jahr 1844. Das Stück erhielt zunächst ein Aufführungsverbot und konnte er einige Jahre nach seiner Fertigstellung gezeigt werden, nachdem das Verbot aufgehoben wurde. 1894 fand schließlich die Uraufführung im Deutschen Theater Berlin statt.
Die Handlung
Der Expedient Pfeifer kritisiert die abgegebene Arbeit der Weber und versucht die bereits absurd niedrigen Löhne weiter zu drücken. Vor ihm steht eine Schlange aus verarmten, kranken und abgemagerten Weber, ein kleiner Junge bricht vor Erschöpfung zusammen. Die dringende Lage der Weber wird am Beispiel des alten Baumerts gezeigt, der seinen Hund schlachten musste, um genug Nahrung zu haben. Den Webern platzt schließlich der Kragen und der Aufstand beginnt mit dem verbotenen Weberlied, das sie eines Abends trotz Polizei in der Kneipe singen. Sie stürmen daraufhin die Villa des Fabrikeigentümers, der sie ausbeutet, und zerstören das Haus. Der Aufstand eskaliert in einem gewaltsamen Kampf zwischen Weber und Soldaten.
Motive und Stil
Das Stück orientiert sich an den wahren Weberaufständen in den schlesischen Provinzen. Hauptmann wird häufig zugesprochen, dass er damals nicht nur die sozialen Missstände zeigen, sondern mit dem Drama auch zur erneuten Revolution aufrufen wollte.
Papa Hamlet von Johannes Schlaf und Arno Holz (1889)
1889 erschien ein Erzählband mit drei Novellen von dem Schriftsteller-Duo Johannes Schlaf und Arno Holz, das unter dem Pseudonym Bjarne P. Holmsen veröffentlicht wurde. Eine der Novellen, "Papa Hamlet", handelt von dem größenwahnsinnigen Schauspieler Niels Thienwiebel, der seiner ehemals großen Rolle als Hamlet schwermütig nachtrauert. Immer wieder wird die Erzählung von ironischen Zitaten aus Shakespeares Hamlet unterbrochen.
Die Handlung
Nach seinen Auftritten als Hamlet kann Niels kein anderes Engagement als Schauspieler ergattern und haust mit seiner Frau und Kind in einer Dachstube. Dort wird er immer zorniger und gelangweilter. Seine Besitztümer wurden verpfändet und der Kummer über seine Arbeitslosigkeit lässt ihn immer weiter sinken. Das Einzige, was ihn noch aufrecht hält, sind die Erinnerungen an seine einst große Rolle, Shakespeares Hamlet. Im wahren Leben wird Niels zu einem aggressiven und brutalen Alkoholiker, worunter besonders seine Frau leiden muss. Schließlich will ihn seine Vermieterin hinauswerfen und Niels unternimmt einen letzten Versuch, Arbeit zu finden. Doch als er sich am Hafen als Hamlet vorstellt, wird er von den Arbeitern ausgelacht. Zornig greift er zur Flasche und kehrt Niels betrunken zu seiner Familie zurück. Er vergewaltigt seine Frau zweimal und erwürgt seinen eigenen Sohn. Tage später wird Niels schließlich tot auf der Straße aufgefunden. Seine Frau ist mittlerweile der Depression komplett verfallen.
Motive und Stil
Als typisches Beispiel des Naturalismus weist die Erzählung viele detaillierte Milieu-Beschreibungen auf. Außerdem findet man hier den Sekundenstil angewandt, besonders in der Ermordungsszene. Dialekt, Alltagssprache und abgebrochene Sätze bringen den Text näher an die Wirklichkeit der bürgerlichen Hauptperson und damit die Wirklichkeit des damaligen Lesers.
Fuhrmann Henschel von Gerhart Hauptmann (1898)
Hauptmanns Milieudrama wurde 1898 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Die Handlung in fünf Akten spielt sich im Gasthaus "Zum Grauen Schwan" in den 1860er Jahren ab. Im Zentrum steht der Fuhrmann Henschel, der langsam an einem nicht eingehaltenen Versprechen und dessen Folgen zerbricht.
Die Handlung
Fuhrmann Henschel ist seinen Mitmenschen als besonnener und ehrlicher Mensch bekannt, den man jederzeit für einen guten Rat aufsuchen kann. Seine Frau ist todkrank und liegt in einem der Gasthaus-Zimmer auf ihrem Sterbebett. Sie kann sich in ihrem Zustand nicht mehr gegen die durchtriebene Magd Hanne wehren, will aber auf jeden Preis verhindern, dass die Magd nach ihrem Tod ihren gutmütigen Mann ausnutzt. Sie ringt Henschel daher das Versprechen ab, Hanne nicht als neue Frau zu nehmen, nachdem sie selbst verstorben ist. Doch nach dem Tod seiner Frau ist Henschel verloren und überfordert mit dem Haushalt. Noch dazu bekommt er berufliche Konkurrenz durch eine neue Eisenbahnstrecke. Auf Drängen seiner Freunde hin heiratet er schließlich Hanne und bricht damit sein Versprechen. Doch die Ehe fängt schnell an zu bröckeln und Hanne beginnt eine Affäre mit einem der Kellner des Gasthauses. Henschel kämpft mit seinem schlechten Gewissen, das ihn innerlich zerfrisst. Unterdessen wird hinter Henschels Rücken über seine schwierige Ehe getratscht. Henschel erfährt schließlich von Hannes Verrat. Mittlerweile ist er von innerlicher Verzweiflung so zerrissen, dass er die Stimme seiner verstorbenen Frau hört. Er ist überzeugt, aufgrund seines gebrochenen Versprechens niemals wieder Ruhe finden zu können und erhängt sich schließlich.
Motive und Stil
Henschel ist ein passiver Protagonist. Er erstarrt in Konfliktsituationen, die ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Den Tod seiner Frau kann er daher nicht verkraften. Langsam beginnt die Spaltung seines Willens, der am Ende von seinem Umfeld gebrochen wird. Aus dem freundlichen Fuhrmann wird so ein gequälter Selbstmörder. Hauptmann beleuchtet hier das Spannungsverhältnis von Moral und Trieben und die Abwärtsspirale, die durch das triebhafte Handeln eines Menschen entsteht. Selbst der einfachste und friedlichste Mann wie Henschel ist dagegen machtlos.
Meister Oelze von Johannes Schlaf (1892)
Auch ohne seinen Schreibpartner Arno Holz verfolgte Johannes Schlaf eine konsequent naturalistische Linie in seinen Werken. "Meister Oelze" gilt als eines der Vorzeigedramen des sogenannten "konsequenten Naturalismus". Das Werk erschien erst im Druckformat, bevor es 1892 erstmals in der Öffentlichkeit aufgeführt wurde. Das Drama wurde allerdings von Kritikern und dem Publikum mit wenig Begeisterung aufgenommen.
Die Handlung
Der schwer kranke Tischlermeister Franz Oelze bekommt Besuch von seiner Halbschwester Pauline und deren Tochter. Pauline verfolgt ein Ziel: Sie vermutet, dass Franz sie und ihren Bruder um ihr Erbe gebracht hat, indem er den gemeinsamen Vater kurz vor Paulines Hochzeit vergiftet hatte. Ein Plan, den er zusammen mit seiner Mutter geschmiedet hat, davon ist Pauline überzeugt. Sie selbst muss daher mit ihrem alkoholkranken Mann unter ärmlichen Verhältnissen in der Stadt leben. Mit ihrem Besuch möchte sie Franz zu einem Geständnis zwingen, um endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen. Doch Franz wehrt sich gegen Paulines Bemühen. Er reagiert abweisend und zynisch, seine Schwester und seine Krankheit machen ihn geradezu gehässig. Pauline gelingt es schließlich nicht, ihrem Bruder ein Geständnis abzuringen. Franz erliegt seiner Krankheit und stirbt, ohne die Tat zugegeben zu haben.
Motive und Stil
Im Mittelpunkt des Dramas stehen vor allem die Dialoge und Streitgespräche der beiden Geschwister Pauline und Franz. Diese sind durch Wortfetzen, Dialekte und Pausen exakt dargestellt. Schlaf wandte in "Meister Oelze" außerdem als einer der ersten Autoren den Sekundenstil an, der damals kaum bekannt war. Die vorherrschenden Themen des Stücks befassen sich mit dem Verfall der Moral im Bürgertum und somit der zwischenmenschlichen Beziehungen, auch innerhalb der Familie. Pauline und Franz verbindet nichts Sentimentales mehr, Franz zeigt für seine Tat keine Reue. Die Gier bestimmt das Handeln aller Figuren.
Jugend von Max Halbe (1893)
Das Liebesdrama "Jugend" von Halbe wurde 1893 im Berliner Residenztheater zum ersten Mal aufgeführt, nachdem etliche andere Theater es abgelehnt hatten. Das Stück machte Max Halbe schlagartig berühmt. In drei Akten erzählt es eine tragische Liebesgeschichte, die an die eigenen Erfahrungen des Autors angelehnt ist. Halbe selbst hatte sich in seiner Jugend hoffnungslos in seine Cousine Adele verliebt.
Die Handlung
Die unehelich geborene Anne lebt mit ihrem Onkel, einem Pfarrer, und ihrem geistig behinderten Halbbruder Amandus auf einem Pfarrhof. Annes Cousin Hans kommt für einige Tage zu Besuch und die beiden verlieben sich sofort ineinander. Sie verbringen eine Nacht zusammen, die von Amandus beobachtet wurde. Dadurch erfährt der Pfarrer davon und zwingt Hans zur Abreise. Beim Abschied will Amandus Hand erschießen, doch Anne wirft sich dazwischen. Sie wird angeschossen und stirbt.
Motive und Stil
Auch hier finden sich der für den Naturalismus typische Sekundenstil und die umgangssprachlichen Dialoge wieder. Die Regieanweisungen für Bühnenausstattung, Gestik und Kleidung sind sehr genau und detailliert, sogar das Wetter wird teilweise beschrieben. "Jugend" befasst sich vor allem mit Status und sozialer Vorbestimmtheit. Anne, die als uneheliches Kind nur eine Last für ihre Mutter ist, ist daher vorherbestimmt kein glückliches Leben finden zu können. Der Pfarrer entscheidet über das Schicksal aller Bewohner des Pfarrhauses, da er gesellschaftlich den höchsten Rang aufweist. Die Themen Liebe und Sex sind in der bürgerlichen Gesellschaft ebenfalls streng geregelt. Jeder Verstoß, wie bei Anne und Hans, führt zu einem tragischen Ende.