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Kein Wort Wahrheit - Märchen von Raimund Friedrich Kaindl: Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina


Kein Wort Wahrheit

Vor vielen, sehr vielen Jahren lebten drei Brüder. Von diesen waren die zwei älteren Jäger oder vielmehr Wilddiebe, während dem jüngsten keine einzige Liebhaberei nachgerühmt werden konnte, denn er galt ja als ein Blöder. Die beiden älteren Brüder hatten aber die ihren Weibern besonders unliebsame Gewohnheit, nie etwas von dem heimzubringen, was sie an Wild erlegt, sondern sie thaten sich daran immer im Walde, am lustig prasselnden Feuer für die Beschwerlichkeiten des Jägerlebens recht gütlich. Die Frauen der beiden Jäger waren aber dieser bösen Gewohnheit bereits übersatt und kamen nach vielem Herumdenken überein, ihre Männer zur Jagd ohne Feuerzeug ausgehen zu lassen.

Nach wenigen Tagen machten sich die beiden älteren Brüder wirklich jagdbereit und gingen auch aus, ohne nur zu ahnen, dass das Feuerzeug aus den Ledergurten abhanden gekommen war. Diesmal gesellte sich auch der blöde Iwan den beiden Brüdern bei, was ihnen garnicht unlieb war, zumal er ihnen viel Belustigung verschaffte.

Der Erfolg der Jagd war überaus günstig, und die drei Brüder hatten sich tief im Walde unter einer Rieseneiche niedergelassen, wo sie ein köstliches Mahl sich bereiten wollten. Wie gross war aber ihr Erstaunen, als sie in den breiten Ledergurten vergeblich nach dem Feuerzeug herumstöberten! Alle Mühe und aller Unwille half nichts. Das Feuerzeug wollte sich durch Schelten und Fluchen in die Gurte nicht zaubern lassen. Endlich aber ward der älteste Bruder Rauchwolken gewahr, woraus er mit Gewissheit auf Feuer tief, tief im Walde schloss. Erfreut beredete er seinen jüngeren Bruder dahinzugehen, was dieser auch willig that. Der älteste war in Gesellschaft des blöden Iwan zurückgeblieben, der teilnahmslos in den nahen Waldbach hinstarrte.

Der Zweitgeborene war alsbald an die Stelle gekommen, woher sie den Rauch hatten aufsteigen sehen. Hier sass auf einem riesigen Holzstamme ein greises Männchen, dessen Augen hinter den buschigen Brauen kaum zu bemerken waren.

»Grüss Euch Gott, Alter!« redete ihn der Angekommene an. »Dank, lieber Sohn!« brummte das Männlein. »Möchtet Ihr mir nicht ein bisschen Feuer geben?« fragte der Jäger bittend. »So viel Du willst, aber nur unter der Bedingung, wenn Du mir ein Märchen erzählst, darin kein Wort Wahrheit sein soll.«

Der Jäger ging den Vorschlag ein und begann ein drolliges Märchen zu erzählen. Es war aber nicht nach dem Wunsche des Männleins mit den Schirmdachbrauen und der Jäger musste statt mit Feuer mit einer Tracht Prügel abziehen. Auf der Heimkehr zu den beiden Brüdern durchdachte er sein Erlebnis und sah wohl ein, dass es nicht ratsam sei, den wahren Sachverhalt zu sagen. Er gab daher vor, lange herumgeirrt zu haben, ohne die bezeichnete Feuerstelle finden zu können.

Die Geduld des Ältesten war heute ein klein wenig mehr auf die Probe gestellt, als er sich sonst hatte gefallen lassen. Er machte sich daher selbst auf den Weg, in gerader Richtung auf die Rauchsäule losgehend. Bald kam aber auch er ohne Feuer zurück, und wenn er auch nichts von seinem Unglück verlauten liess, so wusste der jüngere Bruder sehr wohl, wie es dem Älteren ergangen. Drum kamen sie überein, dem blöden Iwan die ihm gebührenden Prügel auch zu teil werden zu lassen. Wie gross war ihre Freude, als Iwan unaufgefordert sich auf den Weg machte, um Feuer zu holen.

Nach wenigen Minuten begrüsste auch Iwan das greise Männlein nicht minder artig, wie es seine beiden Brüder kurz vorher gethan, und bat, der Greis möchte ihm gestatten, von seinem Herde Feuer nehmen zu dürfen.

»Nicht eher, als bis Du mir, mein Sohn, ein Märchen wirst erzählt haben, darin kein Wort Wahrheit ist. Wo nicht, erhältst Du statt Feuer Schläge«, erhielt Iwan zum Bescheide.

Damit war Iwan einverstanden, er stellte sich dem Männlein gegenüber und begann: »Bevor ich noch geboren war, schickte mich meine Mutter aus, damit ich ihr einige Spatzen zum Nachtmahl bringe. Ich begab mich in den Wald, erblickte bald einen hohlen Baum, wo ich Spatzen zu finden glaubte. Als ich den Baum näher betrachtete, sah ich wirklich eine ganze Brut junger Spatzen. Ich kroch mit Mühe durch das enge Loch in den Baum, nahm die Spatzen in meine Taschen und versuchte herauszukriechen; konnte aber nicht. Ich eilte daher nach Hause und brachte eine Axt mit, machte die Öffnung grösser und ging nun nach Hause. Auf dem Wege begegnete mir ein Pferd. Ich setzte mich auf dasselbe, um der Mutter schneller die Spatzen zu bringen. Während ich so ritt, hieb die Hacke, die in meinem Riemen war, das arme Pferd unter mir in zwei Stücke. Was war zu machen? ich nahm meine Hacke und ein Stück Holz, schlug die beiden Hälften zusammen und ritt weiter. Als ich mich plötzlich umschaute, sah ich, dass aus dem Stückchen Holz, mit dem ich die beiden Hälften zusammengenagelt hatte, ein hoher Baum aufwuchs, der bis zum Himmel reichte. Ich kroch den Baum hinauf und kam im Himmel an, dort besah ich mir alles und wollte heruntersteigen. Als ich aber zur Stelle kam, wo ich heraufgekommen war, sah ich zu meiner grössten Bestürzung, dass das Pferd mit dem Baume weg war. Ich besann mich nicht lange, sondern drehte ein Seil und liess mich damit herunter. Da fehlte noch ein gutes Stückchen bis zur Erde; ich riss daher ein Stück von oben ab und stückelte unten an1; und so kam ich herab, lief schnell nach Hause und brachte der Mutter die Spatzen. Als sie sich vollgegessen hatte, gebar sie mich.« Er erhielt hierauf Feuer und wurde entlassen.

Fußnoten

1 Die Ähnlichkeit mit dem Abenteuer Münchhausens ist unverkennbar; aber Münchhausens Witz wird hier noch übertroffen.


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