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Die Fälinger wollen Licht in ihr Rathaus tragen - Märchen von Vermischte friesische Märchen und Sagen


Die Fälinger wollen Licht in ihr Rathaus tragen

Die Fälinger hatten einst ein Rathaus (andere erzählen auch, eine Kirche) gebaut und dabei vergessen, Fenster einzusetzen. Nun hielten sie alle eifrig Rat, wie sie der Finsternis abhelfen könnten.

Der eine schlug vor, das Dach abzudecken, damit das Licht von oben hineinkäme, ein zweiter riet, die Giebelwand abzureißen, ein dritter wollte sogar das ganze Haus umgebaut haben.

Da kam ein Schiffer daher, der auf dem Heimweg war. Eine Weile hörte er sich den Spaß mit an. Er war aber ein gewitzter Bursche, und dachte, da gibt es etwas zu verdienen.

Er trat vor die Fälinger hin, bot seinen Rat an und forderte dafür ein Oort Stüber. Die Fälinger waren einverstanden. Da sprach der schlaue Schiffer: »Eure Ratschläge sind nichts wert. Denn reißt ihr das Haus ein, so müßt ihr draußen sitzen. Deckt ihr aber das Dach ab, so schneit 's im Winter auf eure Schädel, und nehmt ihr die Giebelmauer fort, so pfeift euch der Wind um die Ohren. Wollt ihr aber in eure Finsternis Licht hineinbringen, so holt Bütten, Eimer, Säcke, Tonnen und Schaufeln herbei!«

Als nun jeder eilends das Verlangte herangeschleppt hatte, stellte sich der Schiffer mit einem Sack in den schönsten Sonnenschein, nahm eine Schaufel, grub damit in den Strahl hinein und schob das Licht in den Sack, so lange bis der Sack bis obenhin mit Licht gefüllt war. Dann hob er den Sack auf die Schulter, ging ins Rathaus und öffnete ihn dort wieder.

»Seht! So müßt ihr 's machen«, rief er, »und jetzt alle Mann an Deck! Hoiho!«

Das leuchtete den Fälingern ein, und es begann sogleich ein Laufen und Schaufeln, Tragen und Öffnen, daß es schier eine Lust war, dabei zuzusehen.

Als sie sich schließlich müde gearbeitet hatten, sagte der Bursche:

»So, für heute ist 's genug. Kommt, laßt uns in den Krug gehen und eins trinken.«

Da ging die ganze Schar in den Krug, und je sieben Fälinger machten sich lustig bei einem Glas Bier. Der Schiffer aber trank allein soviel, wie alle andern zusammen.

Als sie aber munter geworden waren, hielt der Schalk es an der Zeit, aufzubrechen. Er sagte, er müsse nun weiterwandern, um noch bei Tage seine Heimat zu erreichen und bat um sein Geld.

Damit waren sie einverstanden und wollten die Stüber abmessen. Als sie aber im Säckel nachsahen, waren nur eitel Dukaten darin. Da meinten sie, Dukaten seien so gut wie Stüber, und er wäre wohl auch damit zufrieden.

Er aber sprach: »Mitnichten! Stüber habe ich ein Oort ausbedungen, und das Maß ist mir zugesichert. Dukaten sind größer als Stüber und gehen ihrer weniger auf ein Oort. Darum, wollt ihr mir Dukaten auszahlen, so müßt ihr ein größeres Maß nehmen.«

Seine Worte überzeugten die Fälinger. Sie maßen eine Kanne Dukaten ab, und der Schiffer segelte lustig davon.

Die Fälinger aber schleppten noch wochenlang Sonnenstrahlen ins Rathaus, bis ihnen endlich die Augen aufgingen und sie einsahen, daß Sonnenlicht nur bei offenen Türen Helligkeit brachte.



Sundermann, Friedrich: Der Upstalsboom. Ostfrieslands Volksüberlieferungen 1. Aurich 1922, S. 166–168.


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