A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z


zurück zu Paul Heyse

Wilfried

- Gedicht von Paul Heyse

Wilfried

(Ein Tagebuch. Oktober 1877 bis Mai 1878)

Vom Rosenstrauch die letzte Blüte fällt,
Ein böser Herbstwind schauert durch die Welt.

Wir pflegten Winters dies und das zu tun,
Das ward so müßig, so entbehrlich nun!

Zu hoffen, harren, sorgen, uns zu freun -
Das soll nun alles nimmer sich erneun.

Nicht sehn wir mehr der kleinen Füße Spur
Leicht eingedrückt der überschneiten Flur.

Nicht bei der frühen Lampe goldnem Licht
Glüht horchend auf ein kleines Angesicht.

Uns bringt der Winter nur mit Sturm und Graus
Melancholie ins ausgestorbne Haus.

Das klügste wär`, sich einzuspinnen sacht,
Wie es zum Winterschlaf die Raupe macht.

Doch da ein Mensch soll wacker sein und wach,
Komm! fliehn wir sommerwärts den Schwalben nach!

Vielleicht daß zweier Wandrer tiefverarmt
Die Bettlerfreundin Sonne sich erbarmt.


So reisen wir ins Land hinein
Bei Sonn` und Mond und Blitzesschein,
Und immer reist auf Schritt und Tritt
Ein kleiner blasser Schatten mit.

Und wo die Erde schöner blüht,
Sein Mündchen weher zuckt und glüht,
Und wo die Sonne goldner lacht,
Sucht er uns trüber heim zu Nacht.

Was suchst du, blasser Schatten, hier,
Du kleiner blinder Passagier?
Ach, dir versagt ist alle Lust,
Und uns erstarrt dein Hauch die Brust.

Wie war dein Auge warm und hell,
Ein Lebenswonnenzauberquell!
Und jetzt - o hab Erbarmen, Kind!
Du siehst ja, wie wir elend sind.

Wir drängen dich ja nicht zurück,
Doch komm mit sanftem Geisterblick,
Nicht alles Holden ganz beraubt! -
Umsonst! Er schüttelt still das Haupt.

Sein armes bleiches Mündchen bebt:
Wie habt ihr nur mich überlebt!
Nun komm` ich, wie ich kommen muß,
Nun haltet Treue bis zum Schluß. -

So reisen wir ins Land hinein
Bei Sonn` und Mond und Blitzesschein,
Und mit uns wandert unser Kind,
Bis auch wir andern Schatten sind.

Unterwegs



Verzogen,
Verflogen,
Alle Vögel aus dem Nest!
Nur die Mauern,
Sie dauern,
Überdauern die Gäst`.

Junge Zeiten,
Sie schreiten
Wie Geister vorbei.
Wo ist nun geblieben
Das Lachen, das Lieben?
Blieb keines dir treu?

Von weiten
Da läuten
Die Glocken wie einst.
Alter Träumer, entrinne,
Daß am Fenster die Spinne
Nicht sieht, wie du weinst!

Sorrent



Die Tage schleichen an uns vorüber,
Wie eine dunkle Geschwisterschar,
Die einen sanfter, die andern trüber,
Doch keiner lachend und freudenklar.

Sie tragen Gaben in bleichen Händen,
Der edeln Güter gar mancherlei,
Doch florumwunden sind ihre Spenden,
Und unbewillkommt ziehn sie vorbei.

Voran geht einer mit harten Mienen
Und scheuem Trutzblick, gesenkt das Haupt;
Er ist von gleichem Geschlecht mit ihnen,
Doch statt zu schenken, hat er geraubt.

Seitdem mißtraun wir den andern allen,
Die sonst wir arglos ans Herz gedrückt.
Auch mit den Schwestern sind wir zerfallen,
Den schönen Nächten, so reichgeschmückt.

Ein Tag wird kommen, der wird uns retten,
Ein Weltversöhner, aus allem Harm;
Mitleidig führt er zu ew`gen Stätten
Der stillsten Schwester uns in den Arm.

Sorrent



»O Herzenseigensinn!
Wie viel ist dir geblieben,
Wie viel noch kannst du lieben,
Und wirfst doch alles hin?

Seit ein Geliebtes fehlt,
Zwei Augen sich geschlossen,
Bleibt alles ungenossen?
Ist dir die Welt entseelt?« -

Und hat denn Liebe je
Gelernt vorlieb zu nehmen?
Muß Treue nicht sich schämen,
Wenn sanfter wird das Weh?

Euch ist die Welt so viel,
Mir gilt sie nur geringe,
Gleich einem goldnen Ringe,
Aus dem die Perle fiel.

Sorrent



Horch! in der dunklen Frühe
Herübersummt das Glockenerz.
Zu neuer Qual und Mühe
Wach auf, verschlafnes Herz! -

- Es ist noch viel zu frühe,
Laß schlafen mich ein Weilchen noch.
Wer weiß, ob nicht erblühe
Ein Trost im Traume doch! -

Die falschen Träume fliehe!
Sie bringen nur erträumtes Glück.
Am wachen Leben glühe
Von neuem auf dein Blick. -

- Umsonst! Dem Frohen sprühe
Das Leben seine Wonnen aus;
Mir in der dunklen Frühe
Nur einen Tropfen Taus!

Sorrent


Kein Wort, kein Blick;
Das lieblichste Glück
Verschwunden, verloren, dahin!
Nie mehr - nie mehr - -
Von den Glücklichen wer,
Wer faßt den vernichtenden Sinn?

Kein flüsternder Gruß,
Kein lächelnder Kuß,
Die scherzende Lippe verstummt;
Die süße Gestalt
Nun starr und kalt
In das traurige Laken vermummt.

Was kann und vermag,
Was will - o sag -
Die Welt, die zu trösten uns meint?
Ihre Zaubergestalt
Erbleicht alsbald,
Wenn das blasse Gesichtchen erscheint.

Ihr lockender Chor,
Nicht zieht er empor
Ein Herz, zur Tiefe gebeugt.
Wir wandeln dahin
Mit verschlossenem Sinn
Und horchen, wie er nun schweigt!

Sorrent



Es singt und klingt mir im Gemüt
Vom Morgen bis zum Abendrot:
Das Leben ist ein süßes Lied,
Sein bittrer Kehrreim ist der Tod.

Ich sang das Lieb wohl vor mich hin,
Der Kehrreim schuf mir keine Not.
Das Leben hatte klaren Sinn,
Ein dunkles Rätsel schien der Tod.

Gedämpft ist nun der lust`ge Schall,
Der mir die Brust zu sprengen droht.
Das Leben dunkelt überall,
Und hell und heller winkt der Tod.

Die falschen Töne sind verstummt,
Des Lebens irre Glut verloht -
Ich harre, daß in Schlaf mich summt
Mit sanftem Wiegenlied der Tod.

Sorrent


Die silberne Luft erglänzt so blaß
Über dem schwarzen Meer;
Die Möwe kreist, die schwanke,
Ruhlosen Flugs umher.

Ich denk` an eine Stirne so blaß,
Zwei Augen schwarz und stumm.
Ein einz`ger irrer Gedanke
Geht ruhelos drin um.

Zwischen Sorrent und Capri



Warum zwitschert ihr mich
Um meinen Morgenschlaf
Mit scharfem Weckruf,
Grausame Vögel!

Ach, ihr scheuchet
Mir von der Seite
Den einz`gen Freund und Erbarmer,
Der bei mir aushielt,
Da vom Haupte
Des Götterverfemten
Entsetzt hinwegflohn
Alle guten Geister.

Wie qualvoll lang
Im purpurnen Abgrund der Nacht,
Zu dem hinunter
Kein Strahl des Friedens tauchte,
Lag ich mit fieberbangen Sinnen,
Aus furchtbarn Träumen
Zurückgeschreckt
Ins schreckenvollere
Wache Bewußtsein
Meines Unglücks,
Bis endlich nachgab
Der leidermattete Leib
Und ein Tropfe Vergessen
Auf die lechzende Seele taute.

Den mißgönnet ihr mir,
Schadenfrohe Vögel!

Ach, vorzeiten
Meintet ihr`s gut,
Wenn ihr den schlummerberauschten
Knaben und Mann
Hinaus in die lodernde
Pracht des Morgens riefet.
Da war Welt und Leben
Des Wachens wert.

Jetzt ist der dichteste Schleier,
Den Träume weben,
Nur wie ein Spinnweb,
Gelegt auf frische Wunde:
Nur leicht das Blut
Zu hemmen vermag`s;
Doch voll durchtränkt
Mit dem quellenden Naß,
Wird das Gespinst
Wieder hinweggespült,
Und heißer rieselt die Welle
Am grauen Morgen.

Daß ein Morgen käme,
Der sie stocken machte,
Müßte mit ihr auch
Mein Leben stocken -
Denn, all ihr Götter,
Übermenschlich
Ist diese Pein!

Sorrent



(Fragment)

Des ungewordenen
Allvaters Kronos
Weltalte Zwillingstöchter,
Natur und Schicksal -
Feindlichere Schwestern
Sah nie das Licht.

Wenn die Jüngere,
Die Lebengebärerin,
Kräftesprühend
Ihre Geschöpfe
Mit mannigfaltigen
Gaben gesegnet,
Oder gedankenlos
Ihr Geschenk
Durch Widerstreitendes
Wieder zerstört:

Nicht Tück` und Neid,
Nur der Unbedacht
Spielender Kraft
Macht sie furchtbar
Ihren Geschöpfen.

Den Lieblingen, wie
Den Stiefgeborenen
Teilt sie launisch aus
Heilsames und Verderbliches
Und läßt ihrer Kinder
Oft die verwöhntesten
Am eignen Herrlichsten
Zugrunde gehen.

Aber die ältere,
Die nie ein Götter-
Und ein Menschenauge
Lächeln sah,
Die finstere Heimarmene, -
Was sie tut,
Ist immer unhold,
Ob es auch gut wäre;
Denn alles Seelenvolle,
Gütige, Zarte
Ist ihr fremd.

Doch sieht sie wen,
Dem ihre Schwester
Liebgesinnt war,
Den sie mit ihrer Gaben begehrtesten,
Liebenswertesten ausgestattet,
Ergrimmt die Arge,
Da, wer geliebt wird,
Ihrer spotten mag.
Solche zu verderben
Sinnt sie tückisch,
Und gleich dem Fischer,
Der nachts um Uferklippen
Lautlos lenkt mit der Fackel
Den dunklen Nachen
Und über Bord geneigt
Späht in die Tiefe,
Der Fische glückliche Brut
Heraufzulocken,
Daß die Harpune dann
Ihr Spielen ende:
So lauert nächtlich
Das Schicksal der Betrogenen,
Denen wohl ist in kühler Wonne.
Denn kindisch sind
Die Lieblinge der Natur.
Glänzendes lockt sie,
Und arglos bieten sie
Den Hals der Schärfe des Eisens ...

Sorrent


Wie so wund nun bist du, arme Seele,
Blutest, ach, verblutest dich nach innen!
Gleich der Taube, der das Rohr des Jägers
Ihren Nestling in die Brust getroffen,
Ihn durchs Herz und sie mit gleichem Schusse
Nicht zum Tode, nur zu Lebensunmacht.
Nun mit welkem, eingeknicktem Flügel
Nicht mehr kann sie durch die Wipfel streifen,
Nicht die sonnewarmen Dächer suchen.
Überm feuchten Grund, dem moderkühlen,
Der das Blut gesogen ihres Lieblings,
Wankt sie flatternd hin und her; verloren
Ist der Lenz für sie, vergällt die Liebe,
Leben Todesqual. O hilf und heile,
Wenn du Macht hast, mütterliche Sonne!
Hab Erbarmen mit der Mutterseele,
Der unheilbar zärtlichsten von allen!

Sorrent



Wie schon jahrlang abgeschieden,
Wandelnd allvergeßne Pfade,
Atm` ich reinen Jenseitsfrieden
Am geliebtesten Gestade.

Nächtens seh` ich Barken fahren
Weit ins Meer bei Fackelscheine,
Daß ich stiller Geisterscharen
Hadesfahrt zu schauen meine.

Tags, wie haben Luft und Welle
Alle Zauber ausgegossen!
Von des Empyreums Helle
Fühl` ich selig mich umflossen.

Kaum ein Gruß wird mir geboten,
Höchstens winkt ein Kinderhändchen,
Und so leb` ich meinen Toten
Und verschalle den Lebend`gen.

Sorrent



Die Sonne gleitet still hinab
Ins Wellengrab.
Ein feiner falber Schleier fällt
Rings auf die Welt.

Am blauen Bergeshorizont
Glüht auf der Mond.
Es hellt sein düsterwildes Licht
Die Trübe nicht.

Wir wandeln traurig Hand in Hand
Durchs Totenland.
Was jedes denkt so weit von Haus,
Spricht keines aus.

Ein Nachglanz von verlornem Glück
Blieb uns zurück -
Es hellt sein rotverweintes Licht
Die Trübe nicht!

Pompeji




»Bezwingst du nicht den dunklen Gram?
Am Firmament
Wie lockt das Licht so wonnesam!« -
Die Wunde brennt.

»Wer ward nicht schon vom liebsten Glück
Unsanft getrennt!
Wer leben will, schau` nicht zurück!« -
Die Wunde brennt.

»Und du, dem so viel reiche Gunst
Ein Gott gegönnt,
Die Seele voll Natur und Kunst -!« -
Die Wunde brennt.

Neapel



Der Tag verging mir,
Der Abend kam
Aug` in Auge
Mit meinem Gram.

Freuden pochten
Ans öde Haus;
Er hielt die Wache
Und schloß sie aus.

Träume nachten
Bei Sternenschein;
Die trostbegabten
Ließ er nicht ein.

Er wich und wankte
Vom Bett mir nicht;
Ich sah durch Tränen
Sein starr Gesicht.

Die Nacht verging mir,
Der Morgen kam
Aug` in Auge
Mit meinem Gram.


Neapel




Kennst du die Tränen,
Die nie versiegen,
Das wunde Sehnen,
Wie Fieberglut?

Mit unterirdisch
Geheimer Welle
Rinnt dieses Kummers
Wühlende Quelle,
Und jäh zutage
Bricht ihre Flut.

Heut unter lachend
Azurnem Himmel,
In des Toledo
Glanz und Getümmel
Plötzlich zum Herzen
Stürmt mir das Blut:

So viel üppiges
Leben ergossen,
Und du, mein Knabe,
Hast nichts genossen.
So lebenswürdig,
So schön und gut!

Wehe den Tränen,
Die nie versiegen,
Dem wunden Sehnen,
Das nimmer ruht!

Neapel



Hab` ich denn schon Schmerz gelitten,
Eh` ich dieses Glück verlor?
Ward mir schon ins Herz geschnitten
Mit so rauher Hand zuvor?

Stockt mir doch der Quell des Lebens
Wie verschüttet in der Brust.
Nun umschmeichelt sie vergebens
Liebeslockung, Lebenslust.

Wenn ein Tagwerk mich beschwerte,
Wer erquickt mich nun am Ziel?
Und wo ist mein Spielgefährte,
Wenn die Stunde kommt zum Spiel?

Lange Bogenzeilen tragen
Vom Gebirg den reinen Quell.
Lorbeerhaine seh` ich ragen,
Licht und Luft wie süß und hell!

Golden blitzt des Stromes Welle,
Und ich blicke starr hinein,
Wie vom hohen Fußgestelle
Fühllos jenes Bild von Stein. - -

Rom




Der Mond stand überm Palatin. Wie ich
Hinaufkam, weiß ich nicht. Das hohe Tor
War offen, ohne Wächter. Eine Stimme
Sprach in mir: Geh hinauf! Du findst ihn dort!
Doch langsam, denn mir klopfte stark das Herz,
Stieg ich die dunkle Treppenflucht hinan
Und stand nun auf der Höhe, rings um mich,
Was von der Hofburg der Cäsaren blieb:
Nur Stein und Schutt, der Gold- und Marmorhülle
Beraubt, wie nacktes Knochenwerk, von dem
Hinweggemodert längst das blühnde Fleisch.
Gewaltig in den veilchenblauen Äther
Zur Rechten mir erhob das Kolosseum
Die dunkle Stirn, durch seine leeren Bogen
Quoll goldner Schein; genüber ragt` empor
Des Friedenstempels dreigeteilte Cella,
Geheimnisdunkel; dran vorüber sah ich
Mondblitze, schlanken Silberpfeilen gleich,
Von Säul- zu Säulenstumpf des alten Forums
Sich schwingen und vom steilen Kapitol
Abprallend in der Nebeldämmrung schwinden.
Das sah ich mit dem äußern Auge nur
Und ungerührt. Stieg ich doch nicht hinauf,
Mich am Erhabensten der Welt zu weiden,
Nur weil es in mir sprach: du findst ihn dort!

So wandt` ich mich und wandelte den Pfad
Vorbei dem Hause des Caligula
Und dem Palast der Flavier, bis zum Rand
Des Hügels, wo in sanften Duft gehüllt
Das Haupt des Aventin herübersah.
Wie Geisteratem leise ging die Luft,
Und jeder Stein und jeder zarte Sproß
Der Bäum` und Sträucher schien zugleich dem Blick
So deutlich und so märchenhaft, daß mir
In wunderlichem Graun die Seele bebte.

Da, wie die Augen ziellos sich ergehn,
Auf jener Wiese, zwischen Lorbeerbüschen
Und wilden Rosen - heil`ge Götter! was
Erblick` ich! - Ist er`s? - Das geliebte Kind -
Es sitzt mir abgewandt - mit blassen Händchen
Pflückt`s auf dem mondbeglänzten Rasenteppich
Die zarten Anemonen und Tazetten,
Der Totenblume glockengoldne Sprossen,
Und windet eifrig sie in einen Kranz.
Ein Schrei entringt sich mir - da wendet er
Das Haupt - er ist`s! - und sieht mich, und die Blumen
Vom Schoße schüttelnd springt er hastig auf
Und mir entgegen, steht dann plötzlich still,
Scheu, als besänn` er sich auf ein Verbot.
Ich aber fasse mir ein Herz: Mein Kind,
Mein holdes Leben! stamml` ich. Doch er schüttelt
Wehmütig ernst das Haupt, als woll` er sagen:
Was sprichst du! Leben? Das ist hin! - Und langsam
Nimmt er die Blumen auf und ordnet sie
In einen Strauß, winkt dann geheimnisvoll
Und geht voran.
Auf einmal ward das Herz
Mir seltsam leicht und froh, als gingen wir
Wie sonst spazieren und betrachteten
Mit hellen Augen rings die Welt. Wo willst du
Nur hin? begann ich. Willst du deinen Strauß
Der Mutter bringen? - Und er nickt` und sah
Mit einem traurig stillen Blick mich an -
Es war, als wollt` er plötzlich an die Brust
Mir stürzen, mich zu bitten: nimm mich mit,
Zurück ins Leben! Wo ich jetzt verweile,
Ach, ist`s so schaurig kalt und liebeleer! -
Doch er bezwang sich, hob das Fingerchen,
Wie um zu mahnen: denk nicht drüber nach,
Wie all das ist; es bräche dir das Herz! -
Und so verstummt` ich. Ach, die Augen hingen,
Sich nicht ersättigend, an dem lieben Antlitz.
Noch feiner schien es, reifer noch, zugleich
Noch weit unschuld`ger, rührender, nur daß
Es nicht mehr glänzt` in süßem Übermut.
Und näher schmiegt` er sich an mich. Doch nur
Der Duft berührte mich von seinem Strauß,
Nichts von ihm selbst. So, unvermerkt hinab
Vom Palatin hatt` er mich weggeführt,
Und scherzend sagt` ich: Weißt du denn Bescheid
Im fremden Rom? Willst du am Kapitol
Die Wölfin sehn? Er aber schwieg und ging
Voran mit leichtbeschwingtem Schritt, das Haar
Umwehte Stirn und Schläfen seidenweich -
O wie er lieblich war! - So schritten wir
Die totenstillen Gassen traulich hin.
Nur meines Schrittes Echo klang, und dort
Der große Brunnen rauschte. Sieh nur, sagt` ich,
Dies ist der Trevibrunnen. Möchtst du wohl
Auf diesen Wasserpferden reiten, Kind? -
Da lächelt` er, zum erstenmal. Und weiter
Rastlos den langen Corso ging`s hinab.
Und als wir jetzt dem Hause nahten, wo
Die ärmste aller Mütter schlief, - doch nein,
Sie wachte; durch die Läden schimmerte
Die Lampe noch - da blieb er stehn und sah
Still zum Balkon hinauf. Unschlüssig schien er,
Ob er die Schwelle wohl betreten dürfe.
Und ich: ach, wenn die Zwei sich wiedersehn,
Er nimmt sie mir mit fort! - Da sah ich, wie er
Rasch vor der Tür die Blumen niederlegte,
Dann, gleich als ob er Eile habe, winkt` er
Mir zu, und durch das monderhellte Tor
Des Volkes führt` er mich und nach der Villa
Borghese, und wir schritten frei hinein.
Wie zauberherrlich breiteten die Wiesen,
Von Pinienwipfeln dunkel überschattet
Und rings von Säulen, Brunnen, Marmorbildern
Durchschimmert, weit sich aus! - Hier ist es schön,
Nicht wahr, mein Liebling? Sieh nur die Narzissen
Dort auf der Halde. Willst du wieder pflücken? -
Er aber spähte still umher. Da sahn wir
Im Stadium, wo Zypressen rings wie Wächter
Den Plan behüten, schöne Pferde frei
Sich tummeln oder weiden durch das Gras.
Die schlanken Nüstern schnoberten, es flogen
Die langen Schweife, wie sie ihre Sprünge
Fast wie im Reigen machten. Und auf einmal
Kam aus der Koppel zu uns hergelaufen
Ein weißes Füllen. Fromm-geduldig stand`s
Vor meinem Knaben, ließ das krause Fell
Von seinen dreisten Händchen willig streicheln,
Und eh` ich`s dachte, saß er auf dem Rücken
Des schlanken Tiers, und nun begann das Spiel,
In leichten Sprüngen erst, dann wild und wilder,
Daß ich in Angst erschaudernd rief und bat
Und warnt` - umsonst! In plötzlich tollem Rasen
Ausbrach der Wildling, wie gepeitscht mit Dornen,
Und mein Geliebter, wie ein Federball
Hinab, hinaufgeschnellt, kaum noch die Mähne
Fest hielt er - zwischendurch aus seinem Auge
Traf mich ein banger Strahl. - Ach, rief ich, hättst du
Es nicht gewagt! Das Leben ist zu wild,
Es wirft dich ab! - Da hört` ich einen Ton
Wie Ächzen - drauf ein schadenfrohes Wiehern -
Und als der Nebel meiner Ohnmacht wich,
Sah ich auf feuchtem Abhang hingestreckt
Den holden weißen Leib, die Strahlenaugen
Erloschen, ach, die Blumenglieder nackt
In eine rote Decke halbverhüllt -
Und sinnlos stürzt` ich hin. - -

Doch aus der Wiese,
Darauf er lag, sproß eine Blumensaat
Von gelben Totenblumen und Narzissen
Und frühen Veilchen, und sie wuchsen hoch
Und höher, überwuchernd die erblichnen
Geliebten Glieder, bis ich nichts mehr sah
Von meinem toten Glück. Ins Auge drang
Mir scharf und schmerzend erste Morgenglut
Des neuen Tags, in lautem Weinen brach
Die Qual mir aus, und seinen Namen rufend,

Erwacht` ich.

Rom im März




Ich weiß, ein Wahn ist`s und zum Wahnsinn bringt`s,
Ihm nachzuhängen. Dennoch, jeden Tag,
Sobald versank der Sonnenball und noch
Der Trost des Sternenschimmers nicht erblüht,
Nur bleiern bleiches Zwielicht auf dem plötzlich
Entseelten Angesicht der Erde ruht,
Tritt vor mich hin dasselbe Graungespenst.
Mir ist, mein Knabe sei in weiter Ferne
Verirrt und finde nicht nach Haus. Ich seh` ihn
Durch graue Gassen einer fremden Stadt
Hineilen, seine kleinen Füße wanken,
Von kühlem Tau und kaltem Schweiße klebt
Sein braunes Haar, die Augen suchen irr
Umher, ob sie das Haus nicht wiederfinden,
Wohin er soll, wo ihm das Bettchen steht,
Die Mutter tödlich sich um ihn zerbangt
Und trostlos sie der Vater trösten will.
Und fremde Leute, hastig teilnahmlos,
Gehn ihm vorbei - er ruft sie an - er fleht:
Bringt mich nach Hause! - Keiner hört auf ihn;
Nicht eine Pforte tut sich ladend auf,
Nicht eine Hand zieht ihn ins Wohnliche.
Und so von Tür zu Türe, hingejagt
Von Hunger, Angst und Sterbensmüdigkeit,
Sucht er und sucht - und keine Zuflucht winkt,
Und dichter, kühler, schauriger umdunkelt
Die Nacht sein banges Leben - schwer und schwerer
Den Atem ringt er aus beklemmter Brust -
Und jetzt - die Kraft versiegt - mit leisem Ach
Hinsinkt er auf den kalten Stein.

Da sendet
Ein güt`ger Dämon, der das Herz mir nicht
Will springen lassen im lebend`gen Leibe,
Ihm Helfer in der höchsten Not. Ich seh`
Zwei andre Kinder um die Ecke biegen,
Stillgleitend wie mit Flügeln. An der Hand
Führt ein halbwüchs`ger Knab` ein zierlich Mägdlein,
Das kaum erst trippeln lernte. Stolz und ernst
Glüht unter blasser Stirn das Knabenauge
Und rastet plötzlich auf dem Hingesunknen.
Das Mägdlein aber stutzt und zeigt auf ihn,
Und jetzt, mit holdem, unhörbarem Lachen
Läuft`s auf ihn zu und tupft ihn auf den Kopf,
Und wie er aufsieht, streichelt sie ihm sanft
Das taubetriefte Haar. Doch ihr Gefährte
Faßt brüderlich den Kleinen unterm Arm
Und richtet ihn empor. Da sehn die Drei
Sich an mit Kinderneugier, rasch vertraut,
Und flink das Mägdlein in die Mitte nehmend,
Gehn sie dahin; mir ist, ihr Lachen hört` ich,
Ihr kindisch Plaudern, - und wie Flötenhauch
Dringt`s an mein Ohr. So blick` ich ihnen nach,
Bis vor dem übertauenden Aug` ihr Bild
Zerrinnt, und dort am Dachesrande glüht
Der goldne Mond empor und übergießt
Mit Balsam mir die angsterlöste Seele.

Rom


Anzeigen