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An dieselbe

- Gedicht von Justinus Kerner

An dieselbe

(Am Tage ihrer Geburt, den 30. Oktober 1835.)

O Winzerlied! wie bist du bald verklungen!
Es trägt die Traube und den Schnee die Rebe,1
Der Vogel hat sein letztes Lied gesungen.
Der äußern Welt auch ich Ade nun gebe.

Komm über mich nun, Tod! und stille Nacht!
Und nimm von mir der lauten Erde Kummer!

Indem ich also still bei mir gedacht,
Schon war es Mitternacht, sank ich in Schlummer.
Da ward in mir ein Leuchten angefacht,
Wie ich`s noch nie bei ird`scher Sonn` gesehen,
Und in ein Königshaus ward ich gebracht.
Es war ein sel`ger Traum, der mir beschieden.

Da schlief ein Kind in eines Engels Frieden,
Zwei Jahre schien es alt, ich weiß es nimmer,
Und über solches hingebeugt voll Schimmer
Sah ich ein Mutterbild aus sel`gen Höhen.
O blieb` mir so ein Wonneblick auf immer!
Dann hört` ich`s zu dem Kinde niederwehen,
In Tönen, nicht vernommen von den Ohren,
Es war ein innres geistiges Verstehen:

»Mein Kind, daß du im späten Herbst geboren,
Wo von der Erde schwinden Licht und Leben,
Damit hat Gott ein Zeichen dir gegeben:
Wo Herzen Licht gebricht und Lebenswonne,
Bist du, mein lichtes Kind, zum Licht erkoren,
Und wo die Blüten und die Saat erfroren,
Da wirst du, o mein warmes Kind! die Sonne.
Ich bleib` bei dir! « – Da kam der laute Tag,
Fort war der Traum und ich zum Schmerz erwacht. –
Verzeih, daß ich in Menschenwort gebracht,
Mißraten doch, weil das kein Mensch vermag,
Das Wort der Seligen in jener Nacht.

Fußnoten

1 Es fiel ein früher Schnee selbst noch auf die Trauben am Stock.


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