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Die Schlacht von Sedan

- Gedicht von Felix Dahn

Die Schlacht von Sedan

(Dem deutschen Heere zu eigen).

Endlich erreich` ich dich,
Endlich ergreifst du mich,
Lange gesuchte,
Wochenlang durch die Nächte ersehnte,
Dröhnende, heilige,
Männermordende Feldschlacht.

Hoch in den Lüften
Die weißlichen Wölklein, –
Nicht sind`s des Septembers
Nebelgespinste: –
Siehe, sie bersten:
Das sind des Feindes
Todesgeschosse!
Und das Getöse: –
Nicht von Gewittern: –
Hell ist der Himmel:
Das ist der Donner,
Der herrliche Schlachtruf
Der deutschen Geschütze.

Erjauchze, mein Herz, nun:
Dein Sehnen von Kind auf,
Dein Wunsch in den heißen
Schmerzen des Mannes, –
Alles erfüllt sich:
Denn es umtoset dich
Schrecklich und herrlich,
Vom Heer Alldeutschlands
Sieghaft geschlagen,
Die heilige Schlacht!

Auf und hinein!

Dort, von den Höh`n des
Ragenden Hügels,
Muß sich das ganze
Kampfesgefild den
Blicken erschließen. –
O Deutschland!
Welch` Schauspiel!
Rings mir zu Füßen,
Zur Rechten, zur Linken,
Da wallet und woget
In schimmernden Scharen
Ringend die Streitmacht
Deutschlands und Frankreichs!

Vor mir im Talgrund
Windet der Fluß sich,
Die Maas, durch die Nied`rung:
Dort an den Ufern,
In glitzernden Gliedern,
Das sind Franzosen:
Fußvolk und Reiter
Und brüllend Geschütz.

Und aus der Mitte
Hebt sich die Feste,
Mit Toren und Türmen,
Mit Zinnen und Zacken
Stachlig zu schauen:
Ein feuerspeiender,
Kauernder Wurm.

Aber umher auf
Waldigen Höhen
Rings in dem Halbkreis
Von Süden, von Osten
Und fern her von Westen
Die dunkelnden Massen: –
Das sind die Unsern,
Das sind die Deutschen!
Siehe, sie stoßen
Herab von den Höhen,
Gleichwie ein Adler
Mit rauschenden, schwarzen
Schwingen und Fängen
Zu würgen im Tale
Den gleißenden Wurm.

Da, hart mir zur Rechten,
Auf rasselnden Rädern
Rollt`s an den Höh`nrand:
»Halt! Halt, Batterie!«
Das sind meine Bayern:
Den Führer erkenn` ich:
Oft sah ich sie ziehen
Durchs friedliche Maintal:
Jetzt find` ich sie wieder
In tosender Schlacht.

»Zielt dort auf das Dorf mir,
Dort, dicht vor der Festung:
Da seht ihr in Masse
Geschart die Franzosen:
Dort droh`n sie den Durchbruch:
Doch sie dürfen nicht durch!«

Und neben mir Blitz und
Knall aus dem Rohre:
Wie gellt mir das Ohr!
»Seht nur, wir müssen sie
Mächtig erzürnen:
Sie richten auf uns nun
Ergrimmt die Geschütze:
Recht so! Da werden
Dort unten die Unsern,
Die wackeren Jäger,
Links von der Straße
Granatenfrei.«

Horch, da erzischt es
Sausend und schwirrend
Hoch mir zu Häupten:
Aber unschädlich
Zerschellt das Geschoß,
Dort nur die Spitze
Der Tanne zerspellend.
Horch, wieder! Und wieder!
Das fehlte nur wenig:
Deutlich den Windstoß
Fühlt` ich der sausenden
Schwirregewalt:
Sei mir gesegnet
Ob meinem Haupte,
Weihender, heilender,
Heiliger Hauch! –

Da rechts in der Ferne,
Da flammt`s aus dem Flecken
Flackernd empor:
Rauch, Feuer und Lohe
Und glühender Qualm:
»Da brennet Bazeilles!
Da brennet auch Balan!
Dort fechten die Unsern
Schwerringend seit Stunden,
Bergbayern zumal.«

Horch auf, was da knarret
Und schnarret und rasselt!
Das sind nicht Gewehre!
Nie hört` ich`s zuvor!

»Mitrailleusen sind`s,
Wohl viele Batt`rien.
Nun, endet das nicht?«
Drei lange Minuten!
Der Braven gedenkend,
Erbleicht` ich mit Frösteln:
Es erlag wohl da unten
Der Mordmaschine
Manch freudiger Schütze,
Dem einst auf dem Bergpfad
Im heimischen Chiemgau
Die Hand ich gedrückt.

Doch herab jetzt vom Hügel:
Denn links nun entlodert
Noch wilder und wüt`ger
Die wogende Schlacht.

Sieh, verstört aus der Stille
Der friedlichen Dörfer
Weißer Tauben
Verschüchterte Schwärme!
Sieh, wie sie ratlos
Flattern und flüchten
Von links nach rechts
Weit über das Tal hin
Hoch durch den Himmel!

Dort, jenseit des Flusses,
An steilem Gelände
Aufsteigen drei Dörfer
Mit steinernen Mauern:
Ige und Illy
Und das bergige Floing:
Da wimmelt und wogt es
Von roten Hosen;
Sie schützen, noch uner-
Schüttert, die rechte,
Die westliche Flanke:
Sie halten die Höh`n
Und die Häuser und Höfe:
Sie liegen in Gärten
Und Gräben gedeckt.
Da sammelt sich unten
Am Fuße des Bergs
Beim Schlage der Trommel
Die schwärzliche Schar:
Siehst du die Fahne
Schwarzweiß flattern?
Das sind die Preußen!

Sie trommeln zum Sturm!
Wie? Empor diesen Berghang?
Den steinigen, steilen?
Den nackten, den kahlen?
Kein Baum, kein Busch!
Entgegen dem tausend-
Schlündigen Tode?
Mir gerinnet vor Grauen
In den Adern das Blut!

Sie stürmen, bei Gott!
G`radauf! G`radan!
Entsetzen! Wie rollt das
In Knattern und Rasseln!
Rings Feuer und Blitze
Und Pulverdampf.
Gott, wie bang, wie lang!
Da verzieht sich der Rauch:
O Jammer und Wehe!
Wie besät liegt der Berg nun,
Der nackt war und leer war,
Mit schwarzen Gestalten:
Das sind die Gefall`nen,
Die tapferen Stürmer!
Wie viele! O wehe!
Ich seh` sie sich winden
In zuckender Qual.

Und die Fahne? – Zurück?
O wehe, sie weichen
Den Hügel herunter!
Gescheitert der Sturm!
Und sieh, – o Verderben! –
Aus Häusern und Höfen,
Aus Gräben und Gärten
Brechen verfolgend,
Nacheilend, nachschießend,
Die Halde herab
Die Feinde hervor:
In wenig Sekunden
Können sie hier stehn
Und durchbrochen wäre
Das deutsche Heer! – – –
Und zum erstenmal mir
Kam der Gedanke:
Wenn heute der Sieg uns
Urplötzlich versagte?
Dann – – doch nein! O Triumph! Sieh
Wie hurtig sie hasten,
Wie rasch sie da rennen,
Die roten Hosen,
Zurück und den Hügel
Wieder hinan!
Sie lösen die Glieder!
Sie werfen die Waffen
Weit hinweg:
Umgangen, gefangen!
Denn von links aus dem Walde
Mit hellem Hurra,
Mit mächtigem Marsch! Marsch!
Mit fliegenden Fahnen
Da brechen in Scharen
Die Preußen hervor!
Sieg! Heil euch, ihr Helden!
Durch Ige und durch Illy
In das flammende Floing!
Schon halten sie hoch
Auf dem Kamme des Hügels,
Schon drohn sie Geschütze
Zu fassen und Fußvolk,
Gespann und Geschirre,
Bevor sie entrinnen – –!

Kein Ende! Welch` neues,
Gewaltiges Schauspiel!

Lange gezogener
Reiterfanfaren
Freudiger Ruf
Erklinget von fern:

Und herab dort vom Hügel
Und aufwärts den zweiten,
Wo halten die Unsern,
– Welch` rasend Beginnen! –
Jagen, den Rückzug
Der Ihren zu retten,
Französische Reiter-
Geschwader heran!
Treffliche, tapfre
Rühmliche Reiter!
Hei, glitzernder Küraß!
Hei, ragende Lanzen
Und bunte Husaren
Und Jäger zu Pferd,
Wohl fünf Regimenter.
Kaum seh` ich die Preußen
Im Pulverdampf.

Doch horch! welche Stille!
Auf wenige Schritte noch
Lassen sie rasen
Die Reiter heran: – –
Da, Salve nach Salve!
Salve nach Salve!
Und niedergeschmettert,
Wie Ähren vom Hagel,
Wie Garben vom Schnitter,
Bevor Bajonett sich
Und Säbel gekreuzt,
Stürzen sie nieder,
Die Reiter, die Rosse,
In Scharen, in Reihen,
Dicht, wie sie geritten,
Und abwärts den Hügel
Zurück mit Entsetzen
Jagt, was sich gerettet
Von fünf Regimentern!

Sie fielen für Frankreich!
Doch Heil euch, ihr Helden!
Euer soll ehrend
Deutschland gedenken!

Und nun unaufhaltsam
Wogt das Gewirre
Von Geschützen und Fußvolk,
Dahinter die Reiter,
Den rettenden Toren
Der Festung zu.

Nicht lange mehr rettend!
Denn schon aus den Dächern
Bricht flackernder Brand,
Und in den Straßen
Des Städtleins staut sich
Chaotisch` Gedräng,
Und die deutschen Granaten
Schlagen hinein.

Und fern auf den Hügeln
Im Norden auch endlich
Fahren, wo lang
Mitrailleusen geknarret,
Deutsche Geschütze
Donnernd nun auf:
Dort, wo die Wälder
Belgiens dunkeln,
Reichen sich Preußen,
Reichen sich Sachsen,
Allumklafternd
Den Feind, die Hände:
Dort bei Givonne
Schließt sich der Ring:
Siehe, da stürzen
Die letzten Franzosen
Verzweifelnd ins Tal sich,
Verfolgt von dem Sturmschritt
Der preußischen Garde!

Jetzt ununterbrochen
Rollet der Donner
Von tausend Kanonen
Aus allen Wäldern,
Von Hügeln und Höhn:
Auf allen Seiten
Des Tales zugleich
Blitzt es und kracht es
Und dröhnet und schlägt:
Wie wenn sich im felsigen
Kessel des Hochlands
Zwei Wetter verfingen
Und unaufhörlich
Gegeneinander
Rollen und grollen
Und Felsen und Berge
Hallen es nach: –
So donnert und dröhnt es
Von allen Seiten:
Es bebet die Erde,
Es zittert die Luft:
So ward er geschmiedet
Mit Blitz und mit Donner,
Der Schicksalsring.

Es neigt sich die Sonne.
Ich suche die Freunde.
Dort, hoch auf dem Hügel,
Der auf Frênois schaut,
Da halten versammelt
Viel Führer und Fürsten: –
Auf scharrendem Rappen
Ein hoher Greis: –
Er lüftet den Helm: –
Das ist der Preußen
Ehrwürdiger König.

Aber mir war, als
Säh` ich, geformt aus
Den goldenen Strahlen
Der sinkenden Sonne,
Ob seinem Haupte
Schimmernd schweben
Hochgewölbt
Eine Kaiserkrone. –

Und als am Abend
Wir die Gespanne
Der Wagen entschirrten,
Dort auf des Städtleins
Donchéry Markt,
Fragte wohl sorgend
Einer den andern:
»Heute geschlagen
Zwar ist der Feind:
Aber ob morgen
Nicht sich erneut das
Verzweifelte Ringen?
Ob nicht der Kaiser,
Ob nicht sein Marschall
Morgen von Metz her
Zum Entsatze der Seinen
Rächend heranrückt?
Denn, wo sie weilen,
Kaiser und Marschall,
Keiner ja weiß es.«

Horch, da erschallt von
Der Brücke der Maas her
Freudiges Rufen:
Und auf den Marktplatz,
Wo sich der Deutschen
Wohl Tausende drängen,
Sprenget ein Reiter,
Ein roter Husar:
Hält in der Linken
Zügel und Mütze,
Schwingt in der Rechten
Ein beschriebenes Blatt,
Moltkes, des Feldherrn,
Tagesbefehl:
»Hurra, Kameraden,
Stimmt ein,« rief der Reiter:
»Gefangen der Kaiser,
Mac Mahon, der Marschall,
Gefangen das ganze
Französische Heer!«

Da stieg in die Lüfte
Ein Jubeln, ein Jauchzen,
Wie ich es nimmer
Gehört noch geahnt:
Mancher umarmte
Mit Tränen den Nächsten.
Ich aber drückte,
Schweigend und schauernd,
Fest auf das pochende
Herz die Hand mir
Und ich dachte:
»Nun magst getrosten
Mutes du sterben,
Da du geschaut hast
Diesen Schlachttag,
Da du erlebt hast
Diese Stunde.
Heil, mein Deutschland.«


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